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15. Budapest Pride 2010, wieder unter Fidesz: Nur nicht einschüchtern lassen!

17. Juli 2010

Vom 4.-10. Juli fand in Budapest das 15. Budapest Pride-Festival statt,  ich war wieder dort. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren verlief alles relativ friedlich. Inzwischen gibt es schon Einiges auf Deutsch dazu (Blogger Useless auf Indymedia, Jungle World, Budapester Zeitung, Sabotnik Erfurt, Indymedia Österreich , Radio Z Nürnberg… ), da könnt Ihr Euch die Basics holen.

Der Budapest Pride ist seit 2007 Indikator für die innenpolitische Situation. Er wird von Politik und Medien instrumentalisiert, wie es ihnen innenpolitisch in den Kram paßt; dabei wird mit teils abstrusen Feindbildern operiert, die mit der Lebenswirklichkeit der ungarischen LGBT (international gängige Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender, ungarisch „LMBT“), die trotz der ultrarechten Angriffe weiter jedes Jahr für ihre Rechte auf die Straße gehen, absolut nichts zu tun haben.

Daß es dieses Jahr weitgehend friedlich blieb, liegt meiner Ansicht nach nicht etwa daran, daß die neue Fidesz/KDNP-Regierung den LGBT wohlgesonnener wäre als die vorige sozialistische Regierung (so wurde von Fidesz bereits im Wahlkampf angekündigt, die noch von den Sozialisten verabschiedete Rechtsinstitution der Eingetragenen Lebenspartnerschaft auszuhöhlen, worüber derzeit konkret nachgedacht wird (Stop.hu, Origo),  sondern weil die Parade dieses Jahr auf die Zeit zwischen zwei Wahlen fiel, den Parlamentswahlen im April und den Kommunalwahlen im Herbst, und Jobbik die eigenen Leute zurückgehalten hat, um keine Wähler zu vergraulen. Entsprechendes war auf rechtsextremen Portalen zu lesen (hunhir.hu). Von Jobbik war nichts Offizielles zu hören – reichlich merkwürdig angesichts der Tatsache, dass sie den Pride letztes Jahr noch „mit allen Mitteln verhindern“ wollten. Ich vermute, sie haben die Übergriffe an eine Neonazigruppe outgesourct (s.u.)

Wie jedes Jahr wurde im Internet wieder heftig diskutiert, ob die Pride-Parade unter den gegebenen Umständen überhaupt noch sinnvoll oder nicht völlig kontraproduktiv sei. Die TeilnehmerInnen nehmen sich seit letztes Jahr ziemlich zurück, um keinen Anstoss zu erregen, aber man sieht mittlerweile, daß es gar nichts nützt, den Rechten und Ultrarechten wäre die Veranstaltung auch dann noch zu anstößig, wenn die TeilnehmerInnen sich braune Papiertüten überziehen würden, denn allein schon ihre Existenz ist ein Ärgernis. Das beginnt man bei den TeilnehmerInnen allmählich auch einzusehen, vielleicht trauen sie sich 2011 wieder mehr.

Trotz allem (s.u.) war es wieder mal ein absolut gelungenes Festival und Parade, die Stimmung war definitiv besser als im letzten Jahr.  Eine Teilnehmerin sagte es so:

„Diesen Pride haben wir nicht einfach bloß überlebt, sondern auch mal wieder genossen.“

Mein Fazit vorneweg:

Am Budapest Pride läßt sich immer wieder beispielhaft der Umgang der ungarischen Gesellschaft mit ihren ungeliebten Minderheiten beobachten. Der „ungarische Volkskörper“ scheidet derzeit seine Schlacken aus, und wer dazugehört und wer nicht, wird von der „Mehrheit“ definiert; sie weist den als störend, schädlich und zersetzend empfundenen Minderheiten ihren Raum zu, und der ist definitiv „draußen“. LGBT sollen in die Unsichtbarkeit der Privatsphäre zurückverbannt werden wie damals im Kommunismus; Juden sollen sich in der Öffentlichkeit nicht mit Kipa zeigen, weil das die Ultrarechten nur provoziert (sagte die Budapester Polizei, so geschehen im April diesen Jahres, als eine jüdische Privatveranstaltung von Ultrarechten angegriffen wurde), oder doch am besten gleich nach Israel auswandern; und als „Lösung“ für die Roma schwebt diversen Ultrarechten schon vor, sie alle komplett ins arme strukturschwache Nordostungarn umzusiedeln und das ganze dann „Autonomen Zigeunerstaat Cigánia“ zu nennen. (kuruc.info/r/7/61939/)

Der Budapest Pride als politisches Event ist deshalb so wichtig, weil er gegen die Ausgrenzungstendenzen im rechten Spektrum der Gesellschaft protestiert; zumindest im linken Spektrum der Gesellschaft  Bewußtsein dafür schafft und gesellschaftliche Solidarität im In- und Ausland mobilisiert. Dieses Jahr stand das Festival explizit unter dem Zeichen, sich anderen Minderheiten gegenüber zu öffnen. So fanden die Workshops im jüdischen Kulturzentrum Bálint ház statt, und auch Romathemen wurden im Programm berücksichtigt.

Auch in den wohlgesonneren Medien wird immer wieder die Frage gestellt, ob eine chronisch bedrohte Demo ohne Publikum mit sinkenden Teilnehmerzahlen überhaupt noch Sinn macht (so auch vom Pester Lloyd, dem ich da mehr Einblick zugetraut hätte: „Marschieren im Hamsterkäfig: Lesben und Schwule demonstrierten isoliert in Budapest“).
Ich meine, es ist wichtiger denn je, den Rechten und Ultrarechten nicht kampflos den gesellschaftlichen Raum und die Definitionsmacht darüber zu überlassen, wer dazugehört und wer nicht, wer den öffentlichen Raum besetzen und dort ungehindert seine Hasspropaganda verbreiten darf, und wer sich gefälligst unsichtbar zu machen hat, weil es sonst auf offener Straße eins auf die Fresse gibt – mit Duldung der Polizei. (s.u.)

Auf dem Abschlußworkshop am Sonntag sagten die Veranstalter des Pride, sie werden weiter auf die Straße gehen, und zwar so lange es nötig ist, ob mit 2000 Leuten oder nur mit 20.


(Eine Videozusammenfassung auch mit „Gegendemonstranten“ von mandiner.hu)

Im Folgenden nun mehr zu:

·    den ultrarechten Übergriffen (es gab sie auch dieses Jahr) und der Rolle der Polizei
·    Internationaler Solidarität, und wie sie ankommt
·    einer christlichen Gegenveranstaltung
·    LGBT und nationalen Symbolen versus LGBT als gesellschaftlichem Kostenfaktor
·    Pride-Festival als potentielle Keimstätte für solidarischen Minderheitendiskurs?

Ultrarechte Angriffe: Jobbik betreibt Outsourcing

Die Proteste dieses Jahr gingen von ultrarechten Gruppen aus, die Jobbik ideologisch nahestehen, vor allem der „Betyársereg“ (etwa „Banditenhorde“, die ungarische Neonaziversion von Robin Hoods tapferen Mannen) des Rechtsextremen László Toroczkai. Hier ist in der letzten Zeit definitiv eine neue Jungmänner-Subkultur entstanden. Rechte Glatzen waren früher in Budapest so gut wie nie zu sehen; letzte Woche waren auf dem großen Ring ständig Gruppen von kahlrasierten Jungmännern in schwarzen T-Shirts mit entsprechenden Symbolen unterwegs. Das dürfte am „Klub 64“, Toroczkais neuer Nazikneipe am Großen Ring liegen. Er hat nämlich im Mai ein schwules Szenelokal aufgekauft, das schon als Veranstaltungsort des Pride Festivals geplant war, und darin eine „nationale Disco“ eingerichtet. (Dafür hat er nur die Deko ausgetauscht, statt Freddie Mercury & Co hängen dort nun schnurrbärtige ungarische Banditen des 19. Jahrhunderts an der Wand, siehe mandiner.hu).

In derselben Straße befindet sich noch eine andere schwule Szenekneipe, und gewalttätige Übergriffe ließen nicht auf sich warten. Zwei Wochen nach der Eröffnung wurde dort schon der erste Schwule angegriffen – Nasenbeinbruch.
Toroczkai und seine „Betyársereg“ machen gemeinsame Veranstaltungen mit Jobbik, so veranstalten sie heute einen gemeinsamen Familientag in Gyula.

Es liegt nahe, daß man sich dieses Jahr wegen der Kommunalwahlen im Herbst geeinigt hat, die Angriffe auf den Pride an die jungen Nazifreunde von Betyársereg & Co outzusourcen, um Jobbiks Kritikern keine Munition zu liefern und keine Wähler zu vergraulen (hunhir).

Einer der drei Neonazis, die auf der Parade randalieren wollten, auf dem T-Shirt das Logo der „Betyársereg“. Fotos Pusztaranger.

Polizei im Vorfeld: Mal wieder Sittenalarm

Wie schon letztes Jahr hat die Polizei wieder einen juristisch dubiosen, aber medial umso wirkungsvolleren Aufruf an die Veranstalter des Pride herausgegeben, um der Bevölkerung zu signalisieren, daß auf der Andrássy út am 10.7. zwei Stunden lang Sodom und Gomorrha tobt:

 

Bekanntmachung der Budapester Polizei (police.hu)
Samstag, den 10.7.2010, 11:33
(=dreieinhalb Stunden vor dem Beginn der Parade):
Das Budapester Polizeipräsidium hat (…) die von der Stiftung Regenbogenmission (Szivárvány Misszió Alapítvány) für den 10. Juli 2010 in Budapest auf der Andrássy út angemeldeten Parade zur Kenntnis genommen. (Anm.: Die Veranstaltung wurde schon Anfang April angemeldet).
Bei den diesbezüglichen Absprachen mit den Veranstaltern haben wir sie aufgerufen, dafür zu sorgen, daß die Teilnehmer der Parade sich aller Verhaltensweisen enthalten, die geeignet sind, die allgemeine Sittlichkeit zu verletzen. (Anm.: Bei den Absprachen war davon nicht die Rede,  das wurde in letzter Minute durch diese Bekanntmachung kommuniziert).
Sollte die Polizei auf der Veranstaltung solches Verhalten beobachten, wird sie die Veranstalter dazu auffordern, umgehend  dafür zu sorgen, daß das gesetzwidrige Verhalten beendet wird. Sollten die Betreffenden der Aufforderung nicht nachkommen, wird die Polizei  mit der Härte des Gesetzes einschreiten, um die gesetzliche Ordnung zu wahren.  (…)

Der Straftatsbestand des „Verstoßes gegen die allgemeine Sittlichkeit“, gegen den hier mit der ganzen Härte des Gesetzes vorgegangen werden soll und der ganz klar als Begründung gedacht ist, um die ganze Veranstaltung spontan aufzulösen zu können, beinhaltet die öffentliche Entblößung der Genitalien, sowie sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit. Beides ist auf dem Budapester Pride in 15 Jahren nie vorgekommen. Es handelt sich hier um ein symbolisches Zugeständnis an die rechte Politik und Öffentlichkeit.

Die Veranstalter des Pride wollen sich wegen dieser absurden Verwarnung, die immer nur anläßlich dieser einen Veranstaltung ausgegeben wird, an die ungarische Gleichstellungsbehörde wenden. Die Kontakte dorthin sind gut, ihre Vorsitzende Judit Demeter hat auf dem Festival auch einen Workshop gegeben.

Sodom & Gomorrha:  „Der Lesbosaurus stirbt nicht aus“

Zwei echte Heldinnen:

200% mehr Tunten als letztes Jahr!

Problematisch: Die Halbierung der Marschroute

Die Marschroute wurde im Vorfeld durch die Polizei mit der Begründung halbiert, daß wegen der Hochwassersituation nicht genügend Absperrgitter verfügbar seien. Darauf ließen die Veranstalter sich ein und kommunizierten die neue Sachlage an die Medien, worauf die Polizei wiederum über die Medien zurückkommunizierte, daß das gelogen sei (so die Veranstalter auf dem Abschlußworkshop) – reichlich dubios, und die Polizei reagierte auch nicht auf die Rückfragen der Medien zu den Absperrgittern, siehe Origo.

Vor der Parade: Die Einschüchterungstaktik des neuen Polizeipräsidenten

Budapest hat im Juli seinen neuen Polizeipräsidenten bekommen, und die Veranstalter bekamen sofort zu spüren, daß der politische Wind sich gedreht hat. Zwei Stunden vor dem angemeldeten Beginn der Parade kündigte die Polizei die seit Anfang April vereinbarten Bedingungen auf, bzw. veränderte sie so, daß sie von den Veranstaltern kurzfristig nicht mehr zu erfüllen waren. So wurden plözlich statt der vereinbarten 200 Ordner 400 verlangt. Und dann erfuhren die Veranstalter, daß es Absperrgitter zwar geben würde, diese jedoch nur bereitgestellt und nicht geschlossen würden, und die Polizei an allen abgesperrten Straßen Anwohner und Touristen zur Parade einlassen würde. Für die Veranstalter bedeutete das, dass die Sicherheit der TeilnehmerInnen nicht mehr gewährleistet war, sie werten das als klare Erpressungsstrategie der Polizei, um sie zu nötigen, die Parade in letzter Minute aus Sicherheitsgründen abzusagen.

Als die Veranstalter sich dann entschieden hatten, das nicht zu tun, war auf einmal wieder alles so wie ursprünglich vereinbart und die Parade fand ohne größere Probleme statt.
Das Vertrauensverhältnis der Veranstalter zur Polizei ist gründlich zerstört, in Zukunft werden sie ihr keine Zugeständnisse mehr machen.

„In Europa werden Länder, die LGBT-Paraden verbieten, nicht als demokratisch betrachtet. Wenn wir die Parade selbst absagen, ist das für die Polizei und die konservative Regierung sehr bequem: Dann gibt es keine Pride-Parade, was ihnen innenpolitisch sehr gelegen kommt,  und so vermeiden sie auch den internationalen Skandal, denn schließlich haben sie kein offizielles Verbot ausgesprochen,“ so Gábor Kuszing der Rechtschutzorganisation Patent in der Presseerklärung der Veranstalter von gestern. (Edit: Hier nochmal auf Englisch.)

Sicherheit – im Großen OK, im Einzelnen problematisch

Im Großen und Ganzen kann man sagen, daß die Parade im Unterschied zu den letzten Jahren sehr sicher verlaufen ist, und daß sich dadurch hoffentlich viele ermutigt fühlen, nächstes Jahr wieder mitzumarschieren. Die Lösung mit den offenen Absperrgittern wirkte zwar zuerst bedrohlich, aber bedeutet auch, daß in Zukunft vielleicht gar nicht mehr hermetisch abgesperrt werden muß wie im letzten Jahr, und die Polizei mit den Störern fertig wird. Es gab durchaus etwas Publikum, AnwohnerInnen und TouristInnen, zwar nicht viele, aber doch mehr als letztes Jahr – das kann man durchaus positiv werten.
Problematisch war die mehrfache, teilweise absurde  Verwarnung von TeilnehmerInnen durch die Polizei, die Ultrarechten „nicht zu provozieren“ (s.u.). Und bei den einzelnen Übergriffen haben einzelne PolizistInnen sich extrem unprofessionell verhalten.

Einzelne Übergriffe: Polizei gibt Opfern die Schuld

So, wie die Budapester Polizei sich bei den gewalttätigen Übergriffen verhalten hat, entsteht der Eindruck, daß sie bei Gewaltdelikten gegen LGBT tendenziell die Angegriffenen verantwortlich macht und nicht die rechtsextremen Täter.

Eröffnung am 4.7.: Zwei Übergriffe

Laut Presseerklärung der Veranstalter und Berichten meiner Bekannten tauchten nach der Eröffnungsveranstaltung am 4.7. gegen 19:00 Uhr ein Dutzend Neonazis vor dem Mûvész-Kino auf, beschimpften und bespuckten die BesucherInnen und versuchten, die außen am Kino angebrachte Regenbogenflagge abzureißen. Die vor dem Kino postierten Polizisten haben das verhindert, aber dann folgte die Gruppe einem Besucher in eine Nebenstraße beim Kino und schlugen ihn ins Gesicht. Laut Augenzeugen waren das zwei ganz junge Burschen, etwa vierzehn und sechzehn, und die Erwachsenen in der Gruppe sahen zu. Es dürfte sich um eine „Mutprobe“ gehandelt haben, mit dem Kalkül, daß die beiden Täter noch nicht strafmündig sind.

Die Einsatztruppe der Polizei rückte sofort an, aber statt die Täter festzuhalten, umstellten sie das Opfer und forderten es auf, sich auszuweisen, während die Täter sich unbehelligt vom Tatort entfernten. Nur anderen FestivalbesucherInnen, die „Haltet sie fest!“ schrien, war es zu verdanken, daß die Polizei sie schließlich doch festhielt und ihre Personalien aufnahm. Dann ließ sie sie wieder laufen.

„Aufgabe der Polizei wäre die Festnahme der Täter gewesen, weil bei ihnen von der Verübung weiterer Straftaten auszugehen war,“ sagte Gábor Kuszing, Mitarbeiter der Rechtsschutzorganisation Patent (Patent Jogvédô Egyesület), der den Vorfall beobachtete. „Die Polizei hätte die Personalien der ultrarechten Störer schon früher aufnehmen können, womit sie möglicherweise den ganzen Angriff schon im Vorfeld verhindert hätte. Bei solchen vorhersagbaren gewalttätigen Angriffen ist entschiederes Auftreten der Polizei vonnöten.“

Einige Stunden später wurde in der Nähe des Kinos einem ausländischen Touristen von einer Glatze, die offenbar ebenfalls zu dieser Gruppe gehörte, das Nasenbein gebrochen, weil er ein pinkfarbenes T-Shirt trug; offenbar war er gar nicht schwul.

Unsichtbares Filmfestival

Bei dem Vorfall mit der Regenbogenflagge hörten mehrere Mitglieder des Orgateams mit an, wie einer der Polizisten zu einem Kollegen sagte: „Ich rufe keine Unterstützung her, sollen die doch ihre Schwuchtelflagge runternehmen.“ („Nem hívok senkit, vegyék le a köcsög zászlójukat”- „köcsög“ ist eine der übelsten Schimpfwörter für Schwule, es kommt aus dem Knastslang und bezieht sich auf Vergewaltigungen durch Mithäftlinge.)

Der Kinobetreiber Márton Szabó von Budapest Film (Hier wird er erwähnt) nahm aus Angst vor Angriffen auf sein Kino die Regenbogenflagge aus eigener Initiative ab und entfernte auch die Beschriftung außen am Kino, so daß von der Straße aus nichts mehr auf das Festival hinwies. Das bedeutet, daß das Filmfestival erstmals aus Angst vor ultrarechten Übergriffen und mangelnder Unterstützung durch die Polizei aus dem öffentlichen Raum in die Unsichtbarkeit verdrängt wurde.
Mittlerweile ist es das meistbesuchte Filmfestival des Mûvész-Kinos, doch nun denken die Veranstalter darüber nach, den Veranstaltungsort zu wechseln.

Vom Filmfestival nichts mehr zu sehen, nur noch ein Polanski-Film, der meines Wissens gar nicht lief.  (Budapester Zeitung)

Nach der Parade am 10.7.: Abzug der TeilnehmerInnen mit Sicherheitslücken

Nach der Parade wurden die TeilnehmerInnen mit der Metro zum Deák tér gebracht. Dort konnte man entweder den Ausgang nach oben ins Freie nehmen, wo Polizei postiert war und die TeilnehmerInnen sich schnell in der Menge verlieren konnten, das hat gut funktioniert; oder man konnte den Ausgang nach unten zu den beiden anderen Metrolinien nehmen. Und dort warteten schon die Neonazis, pickten sich einzelne TeilnehmerInnen heraus und folgten ihnen. So geschah es einem Teilnehmer, der am Kálvin tér ausstieg und dort noch auf dem Gelände der Budapester Verkehrsbetriebe (BKV) von drei Neonazis zusammengeschlagen wurde. Eine Teilnehmerin war dabei und rief sofort die Polizei, denn obwohl viele Leute da waren, mischte niemand sich ein. Die Polizei kam zuerst nicht, und beim zweiten Anruf wurde die Frau nach ihren Personalien gefragt. Es war kein Sicherheitspersonal der BKV zur Stelle, und später erklärte die BKV, daß es dort zwar Überwachungskameras gäbe, aber von dem Übergriff keine Aufnahmen gemacht worden seien.
So erzählt von der immer noch sichtlich erschütterten Zeugin beim Abschlußworkshop, sie bekam Applaus, weil sie die Polizei gerufen hatte.

Sprich, die Security der BKV, die sonst sofort aufs Knöpfchen drückt, sobald jemand den Streifen an der Bahnsteigkante übertritt, hat sich den Übergriff auf dem Monitor angeschaut und es für besser gehalten, sitzenzubleiben und nichts zu tun.

Vereinzelte Schlägereien und Pöbeleien nach der Abschlußparty

Hier ein paar O-Töne aus dem Umfeld der Veranstalter:

„Im ersten überfüllten Morgenbus der Linie 173 am Blaha wurde ein Mann über 40 von zwei Jungen um die 20 zu Brei geschlagen und angeschrien, was bildest du dir ein, du dreckige Schwuchtel, denkst du, daß du alles darfst?“

„Eben kam ich nach Hause, mußte mit Faschisten im Bus sitzen. An der Haltestelle vom 906er stand eine Gruppe Nazis rum, die Schwule angespuckt, mit Kronkorken und leeren Plastikflaschen beworfen haben. Sie gingen ihnen auch nach und wollten sie provozieren, aber die vier schwulen Jungs haben nichts gesagt, sondern sich nur schnell davongemacht. Als der Bus endlich kam, saßen da schon mehr von ihren Nazikumpels drin, sie haben im Bus Krawall gemacht und zum Fenster rausgeschrien, als wir schon losgefahren sind. Konkret passiert ist niemandem was, aber das Schlimme war, daß mindestens zehn Polizisten unten in der Unterführung standen, aber oben bei der Bushaltestelle, wo es doch besonders gefährlich ist, kein einziger… das war ein Fehler.“

Polizei schränkt Grundrechte der TeilnehmerInnen zugunsten der Gegendemonstranten ein:

Ein freiwilliger Helfer auf der Parade bringt es so auf den Punkt:

„Jetzt, wo ich drüber geschlafen habe, muß ich sagen, daß wir mit der Polizei überhaupt nicht zufrieden sein können, und muß leider feststellen, daß sie unsere Rechte beschneiden und damit ohne Weiteres durchkommen. Aus den Nachrichten habe ich den Eindruck, daß alle mit der Polizei wahnsinnig zufrieden sind (…). Ich aber meine, auch wenn sie es nicht geschafft haben, die Veranstaltung durch geschickte Politik absagen zu lassen, haben sie deshalb trotzdem erreicht, daß wir bei der Csengery u. umkehren mußten, um bloß die Homophoben nicht aufzustacheln.
Zusammengefaßt gesagt, die Homophoben konnten ihre gesetzlich verbrieften Rechte ausüben (…), aber wir konnten nicht einmal unsere minimalsten Rechte wahrnehmen:

1. Unsere Paradestrecke wurde halbiert.
2. Wir mußten schon bei der Csengery u. umdrehen – und man hat uns auch noch genau erklärt, warum: Weil wir nämlich die armen Homophoben aufstacheln. (Sprich: Wir haben 40 Grad und die Polizeiausrüstung ist teuer, wir haben keinen Bock zu rennen, uns zu prügeln, zu arbeiten und Tränengas und Wasser zu sprühen… und schützen können wir euch sowieso nicht.)
3. Sogar noch innerhalb des Kordons haben sie uns getriezt – die TeilnehmerInnen sollen ihre Transparente nicht in Richtung der Leute auf der anderen Seite des Kordons halten, einen Jungen mußten wir deshalb wegschicken, natürlich immer mit derselben Begründung: Weil das die anderen nur provoziert. Daß die uns provozieren, darauf pfeifen sie, obwohl doch wir  im Recht sind und nicht die mit ihren Haßtiraden und Gewalt…. Auf den Punkt gebracht, wir hatten kein Recht auf freie Meinungsäußerung, und unser Versammlungsrecht war stark eingeschränkt.
4. Was die Einschränkungen bezüglich Kleidung und Verhalten angeht, nur soviel, daß wir eines der deutschen Mädels bitten mussten, ihr T-Shirt anzuziehen, weil sie ein Bikinioberteil trug, das aussah wie ein BH… meine Güte, da kann man doch an einem normalen Wochentag noch ganz andere Sachen auf der Straße sehen!
(Klar, Großungarn-T-Shirts mit Arpadenstreifen etc. sind trendy, deshalb sagt auch keiner was dazu… ODER VIELMEHR TRAUT SICH DAS KEINER.)
Nächstes Jahr gehe ich in einem T-Shirt mit Arpadenstreifen, die über Großungarn regenbogenfarbig werden :)“

Körperverletzung und Landfriedensbruch oder Gewaltdelikte gegen Minderheiten?

Bei Gewaltdelikten gegen Minderheiten muß die Polizei auch ohne Anzeige ermitteln, und das Strafmaß ist mit bis zu acht Jahren relativ hoch. Es ist jedoch in den letzten Jahren zu beobachten, daß die Budapester Polizei tendenziell versucht, Angriffe gegen LGBT als Landfriedensbruch und/oder Körperverletzung zu behandeln, wo nur ermittelt wird, wenn das Opfer auch Anzeige erstattet. Soviel ich weiß, haben die Opfer die genannten Fälle nicht zur Anzeige gebracht, somit passiert auch nichts.
Letztes Jahr wurde nach dem Pride eine junge Frau von Ultrarechten zusammengeschlagen, und erstmals wurde tatsächlich ein Verfahren wegen Gewaltdelikten gegen Minderheiten eingeleitet. Ich habe die junge Frau auf der Parade darauf angesprochen, was sich da seither getan hat, und sie meinte, gar nichts, die Polizei hätte die Täter nicht finden können.

Die Veranstalter des Pride meinten auf dem Abschlußworkshop, daß es sich hier nicht nur um Homophobie, sondern auch um fachliche Inkompetenz der Streifenpolizisten handelt. Die Organisation Háttér hat bei der Polizei angeregt, ihnen entsprechende Schulungen für PolizistInnen zu halten, aber vom Polizeipräsidium keine Antwort bekommen.

Eine der jüngeren Teilnehmerinnen mit Amnesty-Fähnchen

Die christliche Gegenveranstaltung

Erstmals fand als Gegenveranstaltung zum Pride unmittelbar daneben ein ganztägiges christliches Event statt, ein sogenannter Familiengebetstag unter dem Motto, „Beten wir gemeinsam für die Zukunft unserer Nation!“, organisiert von diversen kleinen Gemeinden aus dem reformierten Spektrum, u. A. Pfingstgemeinde und Baptisten. Dieses im Vorfeld recht medienwirksame Event präsentierte der Öffentlichkeit das Bild, daß „christlich“ und „Familie“ mit dem sündigen Treiben der LGBT unvereinbar und diese sich  Gottes Strafe sicher seien.
Natürlich gibt es auch in Ungarn inzwischen gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern, und die LGBT-ChristInnen haben seit Jahren ihre eigene ökumenische Gebetsgruppe (Mozaik Közösség ) und wünschen vergeblich den Dialog mit ihren Mutterkirchen. Auch die Veranstalter dieses Familiengebetstages zeigten sich nicht gesprächsbereit; es gab den Versuch einer lesbischen britischen Quäkerin, mit ihnen in einen religiösen Dialog  zu treten – sie wäre gerne hingegangen und hätte einen Redebeitrag gemacht. Sie bekam keine Antwort, aber der Gesprächsversuch wurde zumindest in den LGBT-Medien gesehen und gewürdigt.

Vor der Parade hab ich mir die Sache mal angesehen. Allzuviel war dort wegen der brütenden Hitze nicht los, das einzig erwähnenswerte ist folgende Anekdote:

Am Eingang werden wir von einer netten Dame empfangen, die uns das Programm in die Hand drückt, unter anderem gibt es einen Vortrag mit dem Titel „Homosexualität und Pädophilie“. Wir geben uns als ahnungslose deutsche Touristen aus und erkundigen uns nach Einzelheiten, so frage ich, ob sich an dieser Gebetsveranstaltung gegen Sünde und Laster auch die katholische Kirche beteiligt. Die Dame scheint überrascht, und dann sagt sie: „Mit den Katholiken haben wir gar kein Problem, die können ruhig auch kommen, solange sie nur den Mund halten. Aber sobald sie mit ihrem Marienlob anfangen, ist es aus! Das ist Götzendienst, damit haben wir nichts zu tun, das STRAFT DER HERR! (kb: amíg meg nem szólalnak, nincsen velük semmi gond, jöhetnek azok is, de amikor kezdenek máriázni, akkor vége! Ez bálványimádság, ehez nekünk nincsen köze, ISTEN BÜNTETI!)
Dieselbe Empörung und dieselbe Ausschlusslogik, mit der sonst LGBT-Menschen begegnet wird – wir haben gar kein Problem mit denen, solange man sie nur nicht sieht noch hört – trifft hier die katholische Kirche, das hat mir doch Spass gemacht. Und es zeigt mal wieder sehr schön auf, wie absurd diese Ausschlußlogik ist, sobald sie einmal andere trifft.

Letztendlich war dieser groß angekündigte Familiengebetstag nur eine Missionsveranstaltung reformierter Sekten mit dem Kalkül, die allgemeine Empörung über den Pride für die Anwerbung neuer Mitglieder zu nutzen.
Bestimmt werden viele dieser guten ChristInnen im September auf dem Hetero-Pride (hier und hier) für gleiche Rechte von Heterosexuellen demonstrieren – vermutlich für ein verbindliches Heirats- und Adoptionsverbot für alle.

Diese Familie geht garantiert nicht zum Hetero-Pride

Internationale Solidarität, und wie sie ankommt

Auch dieses Jahr haben sich 17 ausländische Botschften solidarisch erklärt, darunter auch Deutschland;  die amerikanische Botschafterin war auf der Eröffnungsveranstaltung, die Britische Botschaft war einer der zentralen Veranstaltungsorte; auf der Parade waren wieder viele AusländerInnen, so eine Samba- und eine Cheeleadertruppe aus Wien; erstmals reiste auch aus Berlin ein ganzer Soli-Bus an – die engagierte Unterstützung aus dem Ausland wird gesehen und gewürdigt, sie gibt Veranstaltern und TeilnehmerInnen Mut und macht Spass.

Die „Radical Cheerleaders“ aus Wien (Edit: mehr dazu s.u.)

Auf der anderen Seite des gesellschaftlichen Grabens sieht man das allerdings anders. Im Fidesz-nahen HírTV hieß es nach der Parade, es seien „nur wenige hundert Teilnehmer“ gewesen (es waren etwa 1500), „vor allem Ausländer.“  Was im linken Spektrum der Gesellschaft als Solidarität wahrgenommen wird, macht Veranstaltungen für das rechte Spektrum tendenziell eher unglaubwürdig. Schon letztes Jahr hieß es, es seien mehr heterosexuelle Symphatisanten als „Schwule“ auf der Parade gewesen, die nun unglaubwürdig geworden sei, weil dort inzwischen „Heterosexuelle Homosexuelle repräsentieren“. Daß immer mehr Eltern und Geschwister, FreundInnen und KollegInnen auf die Parade kommen, um ihre Unterstützung für die Sache der LGBT auszudrücken, wird nicht gesehen, und ähnlich ist es dieses Jahr mit den AusländerInnen. Je mehr Ausländer, desto weniger relevant die Veranstaltung. Nach dieser Logik wäre vermutlich nur ein ethnisch homogener magyarischer „Homoblock“ von mehreren Zehntausend relevant und glaubwürdig. Vielfältigkeit und Solidarisierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen aus dem In- und Ausland wird von rechts eher als Schwächung der Veranstaltung interpretiert denn als Unterstützung, und hier verläuft eine der mentalen Bruchlinien der ungarischen Gesellschaft – hier offenes EU-Land, dort Abschottung nach innen, hier der Wunsch nach einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, dort die Beschwörung einer imaginierten einheitlichen Mehrheitsgesellschaft, die allen „anderen“ die Bedingungen diktiert.

LGBT und nationale Symbole

Dieses Jahr wurde auf der Eröffnungsveranstaltung des Pride-Festivals die ungarische Nationalhymne gesungen, und auf der Parade wurde Orbáns „Deklaration zur Nationalen Einheit“ mitgeführt.

Über die Verwendung von nationalen Symbolen auf dem Pride gab es mit meinen linken Bekannten aus Deutschland lange Diskussionen. Warum sollen sich ausgerechnet LGBT mit einer Nationalflagge identifizieren?
So verständlich diese Haltung in einem linken deutschen Kontext ist, muß man sich doch auch fragen, welche symbolischen Gegenstrategien in einer Gesellschaft möglich sind, die sich zunehmend völkisch-national definiert und Andersdenkenden die Zugehörigkeit abspricht. Ein Bekannter von mir (Akademiker, links, schwul, Menschenrechtler), hat mir die Entwicklung der letzten Jahre so erklärt:

„Vor den Wahlen 2002 sagte Orbán, wer ihn wählt, soll vom Nationalfeiertag am 15. März bis zu den Wahlen im April die Kokarde tragen – also trug ich keine Kokarde mehr. Er redete immer von „uns, den Ungarn“, da dachte ich, na gut, dann bin ich eben kein Ungar mehr. Ich kenne viele, die von sich sagen, daß sie keine Ungarn mehr sind. Später redete Orbán von „den Bürgern“ (a polgárok) – aber damit meint er nur seine Wähler. Und da wurde mir doch mulmig, weil da die Bürgerrechte ins Spiel kommen. Und auf einmal fing er dann an, von den „Menschen“ (az emberek) zu reden. Was bleibt da noch übrig für Leute wie mich? Ich kann mich bloß noch als Außerirdischen bezeichnen.“ (lacht)

Jobbik hat das noch weiter getrieben, sie reden nur noch von den „ungarischen Menschen“ (a magyar emberek), was bedeutet, daß völkisch definiertes Ungarntum semantisch an Menschsein gekoppelt wird. Roma sind für sie keine Magyaren, und auch ihr Menschsein wird so implizit in Frage gestellt. Für LGBT gilt das genauso. Am Umkehrpunkt der Parade am Oktogon stand eine hübsche junge Frau (im Video sieht man sie auch), die einem Teilnehmer mit wild verzerrtem Gesicht Hassparolen übers Absperrgitter zubrüllte, unter anderem rief sie: „Du bist also hungarophob?!“ (Te magyargyûlölô vagy?!“) Auf deutsch klingt das lächerlich, aber es ist bitter ernst gemeint. Es bedeutet, wer in Ungarn an einer Pride-Parade teilnimmt, ist dort per se nicht mehr zu Hause.

„Ungarn ist auch unser Zuhause“

Auf dem Video oben ist zu sehen, wie am Ende der Parade die Ultrarechten die TeilnehmerInnen beschimpfen, worauf diese spontan die Nationalhymne singen. Um die tonangebende gesellschaftliche „Mehrheit“ vom eigenen Mensch-und Staatsbürgersein zu überzeugen – schlimm genug, daß man das überhaupt tun muss! – mus man es wohl in ihrer symbolischen Sprache tun.

„Schwuchtelparade“ als gesellschaftlicher Kostenfaktor: Minderheiten schädigen den Steuerzahler

Das Argument, daß die „Schwuchteln“ den Staat so viel kosten und diese Mittel viel sinnvoller verwendet werden könnten, geht jedes Jahr die rechten und ultrarechten Medien rauf und runter. Die letzten Jahre prangerten sie den Pride als von der sozialistischen Regierung veranstaltete Verschwendungsaktion von Steuergeldern an; dieses Jahr ist Fidesz an der Macht, und nun wurde das Argument auf die aktuelle Hochwasserkatastrophe umgeleitet: Im Internet war vielerorts die Forderung zu lesen, daß die „Schwuchtelparade“ abgesagt und die so eingesparten Geldmittel den Hochwasseropfern gespendet werden solle (wie es übrigens auch für das Feuerwerk am Nationalfeiertag 20. August diskutiert wird.)
Vor dem Pride hat sich eine Facebook-Gruppe gegründet, die dazu aufruft, unter der Rubrik „Nur zum Spaß/Haarsträubende Aussagen“ . Dort waren Kommentare zu lesen wie „Sind das überhaupt Menschen?“, „Alle Schwuchteln abknallen!!!“, „…in Lager stecken wie im zweiten Weltkrieg,“ „Hitler hatte doch sein Gutes, immerhin hat er auch die Schwuchteln ausgerottet.“ Auf den Profilbildern dieser KommentatorInnen sind lauter nette, normale Leute zu sehen, alte und junge, Männer und Frauen. (Einige der Kommentare wurden gemeldet und sind inzwischen verschwunden, aber das mit Hitler steht noch da, es ist von einem gewissen Viktor Szöllősi 12.7., 04.28 Uhr, falls jemand Lust hat, es zu melden)
Das Jobbik-Hausblatt barikad.hu veröffentlichte online einen offenen Brief an die Pride-Veranstalter, den Pride zugunsten der Hochwasseropfer abzusagen.

Dahinter steht die Vorstellung, daß Minderheiten, die ihre Rechte einfordern (in diesem Fall das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung), die Mehrheit schädigen und zurückstehen müssen, sobald bestimmte Gruppen der Mehrheit in Not sind. Im Notfall müssen die Rechte einzelner gesellschaftlicher Gruppen gegeneinander aufgerechnet werden, und zwar immer zugunsten der „gesellschaftlichen Mehrheit“. Das ist dieselbe Logik, die sämtliche Sozialleistungen für Roma streichen will, solange in Ungarn auch nur noch eine einzige darbende magyarische Familie lebt. (Ein ganz banales Alltagsbeispiel in meinem Post „Ein Schmalzbrotskandal“ )

Jobbik hat selbst eine Sammlung für Hochwasseropfer eingerichtet, von der sich die Woche herausgestellt hat, daß sie nur Magyaren zugute kommen soll, Roma sollen nichts abbekommen (siehe mein Post ).

Die Pride-Veranstalter haben barikad.hu in einem offenen Brief geantwortet: Auch sie halten es für löblich, für die Hochwasseropfer zu spenden, sagen sie da, aber das Festival macht keinen Profit, es trägt sich finanziell selbst, und das auch nur, weil alle MitarbeiterInnen ehrenamtlich arbeiten. Auf die Verwendung des Polizeibudgets haben sie keinen Einfluß; eine Anregung zur Kostensenkung wäre jedoch, wenn die gewalttätigen ultrarechten Störer in Zukunft zu Hause bleiben würden.

Inzwischen ist in den ungarischen Medien tatsächlich hie und dort zu lesen, daß es ja wirklich die Ultrarechten sind, die die Gesellschaft so teuer kommen, und nicht die LGBT.

Pride-Festival als potentielle Keimstätte für solidarischen Minderheitendiskurs ?

In den Medien geht es immer nur um die Parade, man vergißt gern, daß es sich hier um ein einwöchiges Film- und Kulturfestival handelt. Während die Workshops in den letzten Jahren meist eine Plattform für die diversen LGBT-NGOs waren, wurde dieses Jahr explizit darauf geachtet, ein breites Themenspektrum abzudecken, auswärtige ReferentInnen einzuladen und durch Themen und Wahl des Veranstaltungsortes eine Brücke zu anderen Minderheiten zu schlagen (wobei es natürlich sowieso Überschneidungen gibt). So fanden die Workshops im ersten Teil der Woche erstmalig im  jüdischen Kulturzentrum Bálint Ház statt. Workshopthemen waren unter anderem Politik (Diskussion mit einem Vertreter der neuen grünen Partei LMP und Klára Ungár von Szema ), EU-Recht, Medien (mit der Journalistin Krisztina Bombera, der ehemaligen New Yorker Korrespondentin des Ungarischen Fernsehens); Amnesty International Ungarn; Erfahrungsaustausch mit Pride-Organisatoren aus Bratislava und Bukarest; LGBT bei der Polizei (mit Ewald Widi, dem Vorsitzenden der Gay Cops Österreich – von den angekündigen ungarischen Polizisten traute sich leider doch keiner hin. Derzeit ist mit Unterstützung des Vereins Háttér eine Community-Seite für schwule und lesbische PolizistInnen im Aufbau: );  LGBT und die Ungarische Gleichstellungsbehörde (mit der Vorsitzenden Judit Demeter, sie berichtete von den Diskriminierungsfällen von LGBT der letzten Jahre.)
Die Workshops waren fast alle gut besucht, man konnte beobachten, wie verschiedenste Leute miteinander ins Gespräch kamen und die Diskussionen auch anschließend weiterführten – großes Lob an die Veranstalter.

Besonders beeindruckend fand ich den Workshop der Fotografin Judit M. Horváth, die ihre Romaportraits vorstellte. Sie kommt selbst aus einer assimilierten Romafamilie, und beschrieb ihre Schwierigkeiten bei der Entwicklung ihrer eigenen Identität und ihrem „Coming Out“ als Roma, wie auch LGBT sie kennen.
Eine heterosexuelle Roma spricht über Gemeinsamkeiten mit LGBT bei Identitätsentwicklung und Coming Out, auf einem LGBT-Festival in den Räumen einer jüdischen Organisation – besser geht es doch fast nicht.

(Hier käme nun mein Fazit, aber ich habe es an den Anfang gestellt für den Fall, dass Leute den langen Post nicht bis zu Ende lesen.)


„Antifaschisten gegen Homophobie“, ihre Website hier.

Presselinks zum Pride

(Ungarisch, nicht komplett):

Index, Origo,Népszabadság,Heti válasz, ATV, Népszava, Stop,Hirszerzô, Delmagyar, Gazdagságrádió, Mixonline , Webbulvár

Siehe auch:

Indimediacalling

Edit 18.7.2010:

Berichtigung zu den radical cheerleaders, hat mir eine der Wienerinnen  gemailt:

Die radical cheerleader gruppe war nicht aus wien angereist, nur 2 davon, zur unterstützung. der rest: 3 in budapest lebende internationals (ö, ukraine, korea) und 4 ungarinnen (wir kannten uns aus den feministischen selbstverteidigungstrainings – wendo). es war also eine mulinationale kooperation ;-), wir haben in budapest geprobt, in der woche davor. eine freundin in wien hat uns ein bissl was gezeigt, denrest haben wir dann gemeinsam entwickelt. auch einen ungarischen cheer:
Itt vagyunk, (wir sind hier)
hangosan vagyunk, (wir sind laut)
aktivisták vagyunk, (wir sind Aktivist_innen)
feministák vagyunk, (wir sind Feminist_innen)
antifasiszták vagyunk, (wir sind Antifaschist_innen)
melegek vagyunk, (wir sind Schwule)
leszbikusok vagyunk, (wir sind Lesben)
transznemüek vagyunk, (wir sind Trans)
zsidók vagyunk, (wir sind Jüd_innen)
cigányok vagyunk, (wir sind Roma)
együtt vagyunk! (wir sind zusammen!)

und die sambagruppe war aus berliner_innen und wiener_innen
zusammengesetzt. sie nennen sich rhythms of resistance, in beiden städten, soviel ich weiß.

aus wien waren insgesamt ca. 25 leute da.

4 Kommentare leave one →
  1. Pisti permalink
    22. Juli 2010 08:13

    szia pusztaranger, danke für diesen sehr ausführlichen und vielschichtigen bericht.
    war selbst dort und kann den gesamteindruck leider nur bestätigen…als besonders obskur empfand ich den familiengebetstag. meine hochachtung den lgbt-aktivisten…ihnen kann man unter diesen umständen nur viel kraft
    und optimismus wünschen…

    minden jót
    pisti

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