Jobbik-Verbot abgelehnt – aber…
Die Süddeutsche heute:
Budapest – Die oberste Staatsanwaltschaft Ungarns hat den Antrag eines lokalen Vereins auf Auflösung der rechtsextremen Parlamentspartei Jobbik abgelehnt. Eine Unabhängigen-Bewegung aus der nordungarischen Kleinstadt Nyiregyhaza hatte Jobbik wegen gesetzwidriger Propaganda angezeigt, wie die ungarische Nachrichtenagentur MTI berichtet. Als Beleg wurde ein Artikel aus einem Jobbik-Propagandablatt vorgelegt, in dem der Holocaust geleugnet wird. Die Staatsanwaltschaft befand jedoch, dass dies nicht gesetzwidrig sei, da in Ungarn das Leugnen des Holocaust erst im März 2010 verboten worden sei – nach Erscheinen des Artikels. Die für ihre rassistischen Ansichten bekannte Partei Jobbik war mit zwölf Prozent der Mandate bei der Wahl im Frühjahr erstmals ins Parlament gekommen. dpa
Detaillierter bei Nachrichten.at: „Ungarn: Antrag auf Auflösung von Jobbik abgelehnt“ ; ORF Volksgruppen: „Antrag auf Jobbik-Auflösung abgelehnt“ ; Ungarisch auf Galamus.hu.
Die links-liberale Kleinpartei „SZEMA für ein Ungarn der freien Bürger“ hat diese Woche auch ein Verbot von Jobbik gefordert, siehe unten. Nicht wegen Holocaustleugnung (hätten sie auch machen können, aber das will die Initiative in Nyíregyháza weiter versuchen); sondern wegen der Äußerungen von Jobbik-EU-Abgeordneten Csanád Szegedi, daß sie Roma internieren wollen (siehe mein Post). Man darf gespannt sein, ob es von offizieller Seite Reaktionen gibt, ich werde ein Auge drauf haben.
Mehr zu SZEMA:
Von SZEMA bekommt man hierzulande noch kaum etwas mit; es gibt sie noch nicht lange, und letztes Jahr wurden sie noch nicht ernst genommen. Ins Parlament haben sie es nicht geschafft, aber sie stellen doch immerhin einige KandidatInnen bei den ungarischen Kommunalwahlen, trotz der neuen Änderungen im Wahlrecht, das es Kleinparteien und unabhängigen Kandidaten erschwert, zu den Kommunalwahlen überhaupt anzutreten:
Bisher mussten sie binnen fünf Wochen die Unterstützungsunterschriften von zumindest 0,3% der Wahlberechtigten ihres Wahlkreises (also der Gemeinde, dem Kreis oder dem Komitat) vorlegen um Kandidatenstatus zu erreichen. Nun bedarf es bereits 1% Unterstützern, deren Unterschriften in lediglich 15 Tagen zusammengetragen werden müssen. Dieses Prozedere bevorzugt ganz eindeutig Parteien mit einer hohen Organisationsstruktur und Bekanntheit, während es vor allem unabhängigen Kandidaten schwerer fallen wird, das Quorum zu erreichen. In Budapest ändert sich die Zahl der Unterstützer sogar von 0,5% auf 2% der Wahlberechtigten, was bedeutet, dass ein Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung nun binnen 15 Tagen wenigstens 26.000 gültige Unterschriften vorweisen muss, bisher genügten 7.000 in 35 Tagen. (Pester Lloyd)
Im Juni hat SZEMA sich deswegen an das ungarische Verfassungsgerichts gewandt, die Anträge wurden vom Verfassungsgericht aber ignoriert bzw. verschleppt bis nach dem Stichtag (ausführlicher bei galamus.hu, ungarisch).
SZEMA bei den Kommunalwahlen
Ich persönlich beobachte SZEMA mit großer Symphatie. Wer sich ihren Internetauftritt anschaut, wird merken, warum. Meinen LeserInnen aus dem deutschsprachigen Raum, die bei den ungarischen Kommunalwahlen wahlberechtigt sind und in den unten genannten Wahlbezirken wohnen, empfehle ich, sich ihre Website von SZEMA anzuschauen (haben sie auch auf Englisch) und sich über die KandidatInnen zu informieren.
Sie stellen KandidatInnen im
- I. Budapester Bezirk (5 KandidatInnen);
- Jászladány, Komitat Jász-Nagykun-Szolnok (Bürgermeisterkandidat, 3 Gemeinderatskandidaten);
- Sajókaza, Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén (Bürgermeisterkandidat, 4 GemeinderatskandidatInnen);
- Uszka, Komitat Szabolcs-Szatmár-Bereg (Bürgermeisterkandidat – der aktuelle Bürgermeister in einem von Roma bewohnten Dorf und soweit ich weiß der einzige Roma-Bürgermeister Ungarns).
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SZEMAs Aufruf zum Verbot von Jobbik:
(szema.hu, galamus.hu hat es auch)
Übersetzung Pusztaranger, wie üblich mit disclaimer, dass ich kein Profi bin und mich gerne korrigieren lasse.
6. September 2010
SZEMA ruft die Regierung und die Staatsanwaltschaft dazu auf, von Amts wegen die Auflösung der Partei Jobbik, Bewegung für ein besseres Ungarn einzuleiten.
Jobbik – wie Csanád Szegedi auf seiner Pressekonferenz vom 1. September ankündigte – will im Sinne der kurzfristigen Lösung der „Zigeunerfrage“ ungarische Staatsbürger in doppelt eingezäunten öffentlichen Sicherheitscamps (közrendvédelmi telepek) einsperren, zuerst in Miskolc. Zudem wollen sie dort eine lokale Gendarmerie einrichten. Solche Camps (telepek) wurden von der ungarischen Gendarmerie zum letzten Mal im Frühling 1944 errichtet, in Miskolc und landesweit. Unmittelbar nach dem Fall des Faschismus wurde die ungarische Gendarmerie von der ungarischen Regierung aufgelöst, und zwar wegen dem Massenmord an den hinter doppelter Umzäunung eingesperrten ungarischen Staatsbürgern. Auf Grundlage des Friedensvertrags nach dem 2. Weltkrieg schreibt das ungarische Recht im Gesetz XVIII/1947 fest, daß die Weiterführung/Existenz (fennállás) und Betreibung faschistischer Organisationen im Land nicht erlaubt sind. Aus ähnlichen Gründen wurde Jobbiks paramilitärische Organisation, die Ungarische Garde, vom Obersten Gericht bereits aufgelöst. Jetzt ist die Partei selbst an der Reihe. Die Zeit des Handelns ist gekommen.