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Eger: Auftrittsverbot für jüdischen Schauspieler, Israels Botschafter sagt Besuch ab

10. Mai 2012

Die Stadt Eger hat ihren internationalen Skandal:

ORF: Israels Botschafter sagt Besuch ab

Der israelische Botschafter in Budapest, Ilan Mor, hat wegen eines antisemitischen Vorfalls einen geplanten Besuch in der ungarischen Stadt Eger abgesagt.
Der Diplomat reagierte damit auf die Tonaufzeichnung einer Sitzung des Ausschusses für Kultur und Tourismus des Stadtrates von Eger.

Jüdischer Schauspieler durfte nicht auftreten

Dort wurde der Auftritt des Schauspielers Jozsef Szekhelyi wegen dessen „Judentums“ abgelehnt. Der Botschafter betonte in einer Aussendung, angesichts einer „solch schweren Diskriminierung“ hege er nicht die Absicht, Eger einen Besuch abzustatten, und versicherte Jozsef Szekhely zugleich seiner „vollen Solidarität“.
In der Tonaufnahme vom Vorjahr, die jetzt an die Öffentlichkeit gelangte, heißt es, Szekhelyi könne nicht auftreten, da alle meinten, er sei ein „stinkender Jude“ der liberalen SZDSZ-Partei. Der Verband der Ungarischen Jüdischen Gemeinden (Mazsihisz) erstattete Anzeige, da die „Diskriminierung aus rassistischen Gründen“ gegen das ungarische Grundgesetz verstoße. Zugleich sei der Verdacht der Hetze gegen die jüdische Gemeinschaft und Amtsmissbrauch gegeben.
(…) Der Bürgermeister von Eger, László Habis, vertritt die Regierungsparteien Fidesz-MPSZ und Christdemokraten (KDNP). (…)


József Székhelyi

Siehe auch Pester Lloyd: Nur ein Ausrutscher? Politiker der Regierungspartei in Ungarn beschimpfte Schauspieler als „stinkenden Juden“, Hungarian Spectrum: „Kulturkampf“ in Hungary: The case of Eger

Was ist da genau passiert?

Sowohl die Tonaufnahme als auch ein Script dieser Sitzung sind im Netz abrufbar, im Volltext unten.

Der Schauspieler József Székhelyi, 2003-2008 Direktor des Nationaltheaters Szeged, sollte bei der Veranstaltung „Mittelaltermarktplatz“ im Juli auftreten und Francois Villon rezitieren; als das Programm bereits gedruckt war, wandten sich die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Tourismus, Ibolya Orosz (Fidesz-KDNP), und der Vorsitzende des Ausschusses für Personalmanagement, Antal Csákvári (Fidesz-KDNP), an die Veranstalterin, die Leiterin des Hauses der Künste, Zsuzsa Pataki, und sagten ihr, Székhelyi dürfe in Eger nicht auftreten. (stop.hu)

 
Ibolya Orosz                                                                     Antal Csákvári

Pataki hält Székhelyi für einen hervorragenden Schauspieler, aber sagt selbst in der Ausschusssitzung, „sobald die erste Kritik wegen seiner politischen Identität (sic), seiner (politischen) Zugehörigkeit kam, haben wir ihm sofort abgesagt.“ Darauf bat sie Csákvári und später den Ausschuss (wie sie später sagte: „ironisch“), um eine Liste der Künstler, die in Eger nicht auftreten dürften, um solche „Fehler“ in Zukunft zu vermeiden, da sie mit ihrer Qualifikation und in ihrer Position lediglich eine fachliche, aber keine politische Einschätzung von Künstlern vornehmen könne.

György Várkonyi, der diese Aussage machte, ist kein Abgeordneter (Liste hier), sondern der Leiter der kommunalen Vermögensverwaltungs- und Fernwärmeversorgungsgesellschaft EVAT Zrt. Er plädierte eigentlich dafür, fachliche Fragen den Experten zu überlassen und Personalien nicht auf politischer Grundlage in diesem Ausschuss zu entscheiden. Mit seiner Äußerung sprach er aus, wie vom Fidesz-Mainstream in Eger über Székhelyi gedacht wird; aus der Aufnahme (Volltext unten) wird deutlich, dass er Székhelyi als Schauspieler schätzt und ihn gegen dieses Klima in Schutz nehmen will. Das eigentliche Problem ist die Ausschussvorsitzende Ibolya Orosz. Sie sagt klar, dass man es sich in Eger unter den gegebenen politischen Verhältnissen leisten kann, nur noch die „eigenen“ Leute auftreten zu lassen.

Ebenfalls interessant ist der Umgang mit dem Protokoll in einer eigentlich öffentlichen Sitzung. Várkonyis Äußerung stand nicht im Protokoll und kam erst durch die Tonaufnahme ans Licht; es wurde schon während der Sitzung bestimmt, bestimmte Aussagen nicht ins Protokoll aufzunehmen.

(…)
Ibolya Lászlóné Orosz, Ausschussvorsitzende (…): Weißt du, wenn der Ausschuss signalisiert bekommt, dass auf dem Mittelaltermarktplatz ein Herr XY… wie heisst dieser Vorleser, der ins Haus der Künste eingeladen wurde und… (Anm.: Das legt nahe, dass sie ein Auftrittsverbot verlangte, ohne Székhelyi überhaupt zu kennen.)

Zsuzsa Pataki (Leiterin des Hauses der Künste): József Székhelyi.

Orosz: … dass also unser Genosse (sic) József Székhelyi auftreten wollte und darum unser Ausschuss Angriffen ausgesetzt ist, dass uns gesagt wird, wie stellt ihr euch das vor, dass wir dafür Geld ausgeben, (…)

Várkonyi: (ans Protokoll) Das bitte nicht aufschreiben!

Orosz: Das bitte nicht aufschreiben!

Várkonyi: Sei mir nicht böse, Ibolya. (unverständlich) Hör mal zu! Von hier an ist das Politik.

Orosz: Gut, dann schließen wir das ab und fangen erst gar nicht damit an.

Várkonyi: … weil alle sagen, dass Székhelyi nicht hier herkommen darf, weil er…

Orosz: Der darf nicht hier herkommen!

Várkonyi:  … weil er ein stinkender Jude von der SZDSZ ist, das ist einfach…

Orosz:  Das hast du gesagt. (unverständlich)

Judit Gál (Fidesz-KDNP): Wegen seiner Äußerung. (Anm.: Details s.u.)

Várkonyi: Aber seinen Villon kann er verdammt gut. Na kann sein, dass man selektieren muss, dass so jemand nicht herkommt, sondern nur meine eigenen Leute herkommen dürfen, aber…

Orosz:  Zum Beispiel. Jetzt können wir das tun. (Lies: Mit unserer 2/3-Mehrheit lassen wir nur noch unsere eigenen Leute auftreten.)

Várkonyi: Das hat mit Tourismus, (…) der Kultur (Anm.: Wir sind im Ausschuss für Tourismus und Kultur) nichts zu tun.

Von Gál wird in der Sitzung mehrfach gesagt, dass es nicht um Székhelyis Person oder politische Einstellung, sondern um seine „Äußerung“ ginge, die als allgemein bekannt vorausgesetzt wird.

Was war das für eine Äußerung?

Székhelyis „Hymnenschändung“ 2005

Der Grund, weshalb Székhelyi nicht in Eger auftreten darf,  ist eine Äußerung von ihm aus dem Jahr 2005. Auf dem Landeskongress der liberalen Partei SZDSZ („Judenpartei“) im März 2005 hatte er die ungarische Nationalhymne mit verändertem Text deklamiert und sie dadurch „geschändet“.

Dem rechten und rechtsextremen Spektrum ist die Nationalhymne „heilig“, Veränderungen von Text und/oder Musik oder ihre Verwendung in nicht-nationalistischen oder gar kritischen Kontexten wird als „Hymnenschändung“ wahrgenommen, hier ein Beispiel von 2011.

Was sagte Székhelyi genau? Im Text der ungarischen Nationalhymne (wiki) heisst es, „Tokaj szőlővesszein nektárt csepegtettél“, „Von den Tokaijer Hängen (wörtlich: Weinreben) lässt DU (Anm.: Gott) Nektar tropfen.“

Im Tokajer Weingebiet wird der berühmte Tokajer angebaut. Wohlgemerkt ist auch Eger ein wichtiges ungarisches Weingebiet.

Székhelyi ersetzte den „Wein“ in „Weinrebe“ (bzw. wörtlich Traube, szőlő ) mit „biologisch männlich“, hím, und macht damit aus dem Wort szőlővessző das Wort hímvessző  – Penis („Männerrute“). Somit klang der Hymnentext bei ihm so:

„…mint Tokaj hímvesszeje, nektárt fog csöpögtetni – mindenhová“, „als Penis von Tokaj wird er (gemeint ist Viktor Orbán) Nektar tropfen lassen – überall hin.“

Dies ist eine Anspielung auf die Präsenz der Familie Orbán im Tokajer Weingeschäft. 1997 hatte Orbáns Frau Anikó Lévai dort Weinberge unter Wert gekauft; 2001, unter Ministerpräsident Orbán, erhielt ihre Firma die zweithöchste staatliche Fördersumme für den Ausbau dieser Weinberge. (Von den 570 Antragstellern erhielten  481 weniger als 10 Mio. HUF und nur zwei über 40 Mio HUF von Staat und Komitat, die höchste Fördersumme betrug  44,6 Mio; die zweithöchste, 34,3 Mio., ging an Lévais Firma, siehe ausführlich bei Hungarian Spectrum: To refresh our memories: The prime minister of Hungary (1998-2002) and Tokaj. Der Bericht der Untersuchungskommission „Die Bereicherung der Familie Orbán aus staatlichen Quellen, mit besonderem Hinblick auf den Grundbesitz von Weinbergen“ vom November 2005 ist auf der Seite des ungarischen Parlaments abrufbar.)

Damals wurde wegen Verunglimpfung eines nationalen Symbols Anzeige erstattet, die Polizei stellte die Ermittlungen jedoch bald wieder ein. (mno)

Das heißt, József Székhelyi hat damals nicht nur als „Jude“ auf dem Kongress der „Judenpartei“ die ungarische Hymne „geschändet“, sondern auch Viktor Orbán obszön beleidigt. In der Fidesz-Weingegend Eger reicht das 2012 für ein Auftrittsverbot.

*

Skript der Tonaufnahme

Es sprechen:

György Várkonyi (sagt sinngemäss, dass seiner Meinung nach fachliche Fragen nicht in diesem Ausschuss entschieden werden sollten, weil er dafür nicht zuständig sein kann.)

Ibolya Lászlóné Orosz: Ja. Da hast du völlig recht, aber weißt du, wenn der Ausschuss signalisiert bekommt, dass auf dem Mittelaltermarkt ein Herr XY… wie heisst dieser Vorleser, der ins Haus der Künste eingeladen wurde und…

Zsuzsa Pataki: József Székhelyi.

Orosz: … dass also unser Genosse (sic) József Székhelyi auftreten wollte und darum unser Ausschuss Angriffen ausgesetzt ist, dass uns gesagt wird, wie stellt ihr euch das vor, dass wir dafür Geld ausgeben, (…)

Várkonyi: (ans Protokoll) Das bitte nicht aufschreiben!

Orosz: Bitte nicht aufschreiben!

Várkonyi: Sei mir nicht böse, Ibolya. (unverständlich) Hör mal zu! Von hier an ist das Politik.

Orosz: Gut, dann schließen wir das ab und fangen erst gar nicht damit an.

Várkonyi: … weil alle sagen, dass Székhelyi nicht hier herkommen darf, weil er…

Orosz: Der darf nicht hier herkommen!

Várkonyi:  … weil er ein stinkender Jude von der SZDSZ ist, das ist einfach…

Orosz:  Das hast du gesagt. (unverständlich)

Judit Gál: Wegen seiner Äußerung.

Várkonyi: Aber seinen Villon kann er verdammt gut. Na kann sein, dass man selektieren muss, dass so jemand nicht herkommt, sondern nur meine eigenen Leute herkommen dürfen, aber…

Orosz:  Zum Beispiel. Jetzt können wir das tun.

Várkonyi: Das hat mit Tourismus, (…) der Kultur (Anm.: Wir sind im Ausschuss für Tourismus und Kultur) nichts zu tun.

Orosz: Das sagst ausgerechnet du? (unverständlich)

Zsuzsa Pataki: Darauf würde ich gerne reagieren und es kann auch gerne ins Protokoll aufgenommen werden, (…) Ich denke, dass es als Leiterin des Hauses der Künste und Expertin für Kultur durchaus meine Aufgabe ist, mir über die fachliche Qualifikation von József Székhelyi oder Schauspieler XY im Klaren zu sein. Ich muss wissen: Hat er den Jászai-Preis, hat er ihn nicht, ist er Amateur, ist er nicht gut, ist er schlecht, etc. Aber darüber muss ich nicht unbedingt im Klaren sein, wo er politisch steht, welche Ansichten und Prinzipien er vertritt. Ohne das zu wissen, und (…) weil ich denke, dass er ein hervorragender Schauspieler ist und Villon wirklich sehr gut kann, haben wir ihn für die Veranstaltung angenommen, aber sobald die erste Kritik wegen seiner politischen Identität (sic), seiner (politischen)Zugehörigkeit kam, haben wir ihm sofort abgesagt.

Orosz: So war das.

Pataki: Und ich habe auch den Abgeordneten Csákvári gebeten, dass er mir meine Arbeit wirklich sehr erleichtern würde, wenn er eventuell eine Liste zusammenstellen könnte, welche Künstler in Eger nicht erwünscht sind, und es ist wirklich mein Ernst, dass ich so eine Liste gerne hätte, denn dann werden wir solche Fehler nicht mehr machen.

Orosz: Gut, vielen Dank. (unverständlich) (…)

Gál: … nicht wegen seiner Person, sondern wegen seiner Äußerung…

Orosz: … genau, also nicht wegen seiner Person, aber…

Gál: Ohne seine politische Zugehörigkeit…
(…)

Pataki: Wegen seiner politischen Affilierung, nicht wegen…

Orosz: Freut mich sehr, dass du zu József Székhelyi so gut vorbereitet bist, aber ich bedaure, dass deine Kenntnisse nur bis József Székhelyi reichen.  Ich empfehle dir die Schauspieler aus Eger, die Autoren aus Eger und die Schätze der ungarischen Literatur. Danke schön, und ich hätte gerne, dass auch das ins Protokoll aufgenommen wird.

*

Update 14.5.2012:

Seither wurde ein weiterer Fall von Auftrittsverbot für Székhelyi in Eger bekannt, auf Betreiben einer kommunalen Galerie wurde er im Dezember 2011 von einer Ausstellungseröffnung wieder ausgeladen (Origo).

Nachdem der israelische Botschafter am 9.5. seinen Besuch abgesagt hatte,  reagierte Bürgermeister László Habis am 10.5. mit einer Erklärung, in der er den Vorfall im Namen der Stadt verurteilte, und Orosz und Csákvári traten als Ausschussvorsitzende zurück (hvg). Am 13.5. entschuldigten Habis und zwei Fidesz-KDNP Parlamentsabgeordnete sich auf der Solidaritätsveranstaltung für Székhelyi in der Budapester Synagoge persönlich bei ihm und Ilan Mor;  Székhelyi wird seinen Villon-Abend in Eger halten. (Erklärung des Bürgermeisters, Origo, NOL, Népszava.)

5 Kommentare leave one →
  1. peter permalink
    10. Mai 2012 15:59

    Ich hoffe, dass der israelische Botschafter weiß, dass Hintergrund der erwähnten Äußerungen in Ungarn keine religiösen Vorbehalte sind, sondern politische/weltanschauliche (die SZDSZ wird in Ungarn mit Budapest gleichgesetzt, Budapest ist das böse Gegenstück zur Provinz. und Urbanität wird gleichgesetzt mit dem Judentum so wie Fleiß manchmal noch gleichgesetzt wird mit den „smucig“-en Schwaben; also der alte Gegensatz zwischen Urbanen und Agrariern). Er wäre besser nach Eger gefahren und hätte die Leute zu einer Reise nach Israel eingeladen. Die Politik verdirbt in Ungarn alle: nicht nur die Politiker selbst, die aus materiellen Gründen um jeden Preis an der Macht bleiben müssen wie auch die Künstler, die sich wegen ihrer materiellen Probleme zu Geschmacklosigkeiten hinreißen lassen. Ich habe nicht nachgeschaut; aber ich habe Zweifel daran, dass (mit Ausnahme von rechtsextremen Publikationen) die ung. Zeitungen in diesem Zuammenhang über ein Auftrittsverbot für einen jüdischen Schauspieler berichtet haben. Denn der Schauspieler ist Ungar.

    • Judith B. permalink
      10. Mai 2012 20:12

      Vhttp://atv.hu/belfold/20120510_ujabb_reszletek_szekhelyi_nevet_egy_egri_kiallitas_meghivojarol_is_letiltottak
      Falls Sie ungarisch sprechen, Peter, e i n Beitrag. Und warum schreiben die Zeitungen, wie Sie vermuten, nicht? Sicher nicht, weil der Schauspieler Ungar ist. Ich stelle nur einige Vermutungen an: Scham, Desinteresse, Verbot, Zustimmung, suchen Sie sich etwas aus. Und noch eine Frage an Sie. Sind die Äußerungen unwesentlich, wenn es um weltanschauliche oder politische Vorbehalte geht? Ihre Einstellung, der Botschafter hätte eine Einladung aussprechen sollen halte ich für typisch „Gutmenschentum“. Und war da nicht mal eine Aufforderung vor 2000 Jahren, wer dir die eine Wange schlägt….oder so ähnlich? Nein, in solchen Fällen „klare Kante“

      • peter permalink
        11. Mai 2012 08:51

        Tatsache ist, dass man (aus deutscher Sicht) in Ungarn im öffentlichen Diskurs wesentlicher geschmackloser ist als beispielsweise in Deutschland. Ein gutes Beispiel dafür ist die hier angesprochene umgedichtete Hymne Ich könnte aber auch die vielen „kurva anyatok“, „köcsög“,“baszd meg“ etc. anführen, die in Ungarn heutzutage allerorten zu hören sind. Diese Worte sind für den Ausländer nicht zu verstehen, denn sie haben mit der ursprünglich Bedeutung der verwendeten Worte nichts zu tun. Und genauso verhält es mit dem Wort „zsido“, dass nicht zuletzt häufig zusammen mit „szdsz“ verwendet wird. Es handelt sich dabei in erster Linie um ein Schimpfwort für den politischen Gegner und unterscheidet sich deshalb nicht großartig von „rohadt kommunista“, „bunko paraszt“ und „Orban cigany“ (auch wenn natürlich wie bei „zsido“ auch in den anderen Fällen auf eine negative des Wortes beim Gegenüber abgestellt wird). Etwas anderes: Im vorliegenden Wortprotokoll dient das „zsidozas“ offensichtlich einem guten Zweck und zwar dazu, Widerstand in der Sitzung anzumelden. Wenn ich richtig verstehe, will der Varkonyi ausdrücken, dass Politik und Kultur nichts miteinander zu tun haben. Er verwendet also einen starken Ausdruck für eine gute Sache. Der Skandal besteht demnach nicht in der Verwendung des Wortes durch Varkonyi, sondern in der Haltung der anderen oder in dem „Das hast Du gesagt“ der Frau Orosz.
        Fazit: Meines Erachtens bringt das Übersetzen von Sitzungen ungarischer Provinzstädte nicht viel, wenn man dem Leser nicht auch eine Ahnung von den ungarischen Zuständen vermittelt. Im Grunde verhält es sich bei dem vorliegenden Fall wie mit der „Lügenrede“ des vorletzten Premiers. Aufregung und Empörung verursacht(e) derjenige, der ausspricht, was die anderen denken.

      • pusztaranger permalink
        14. Mai 2012 09:33

        „Und genauso verhält es mit dem Wort “zsido”, dass nicht zuletzt häufig zusammen mit “szdsz” verwendet wird. Es handelt sich dabei in erster Linie um ein Schimpfwort für den politischen Gegner und unterscheidet sich deshalb nicht großartig von “rohadt kommunista”, “bunko paraszt” und “Orban cigany”“

        Sie relativieren hier eine explizite antisemitische Aussage, die genau so gemeint war. Dass die Komponenten „jüdisch“, „liberal“, „kommunistisch“, „Zigeuner“, die Sie hier aufzählen, zusammen zum symbolischen Feindbild des völkischen Spektrums in Ungarn verschmelzen, stimmt wiederum. Ein Zitat:

        „(…) Die genannten Formulierungen belegen, dass der Antisemitismus in Ungarn nicht affirmativ
        als Hass gegen eine real existierende Bevölkerungsgruppe zu verstehen ist. Die Abneigung
        richtet sich gegen symbolische „Juden“, gegen „Fremde an sich“ und zielt eher gegen
        Politiker und Medienvertreter (hier vor allem gegen sozialistische und liberale) als gegen
        reale Juden. Der ungarische Antisemitismus kann als „kultureller Code“, als „Weltanschauung“, als „irdische Metaphysik“ oder „universelle projektive Identifikation“ definiert werden und wendet sich gegen diejenigen, die im Gegensatz zum Mythos vom „magyarischen Vaterland“ und von der „durch das eigene Blut getränkten
        Heimaterde“ den Kosmopolitismus, die Urbanität und die Intellektualität verkörpern. (…) Im heutigen Ungarn gehört zu den gängigen antisemitischen Stereotypen das Bild des „Juden“ als Bösewicht, der die Hauptfeinde („jüdischer“) Liberalismus, („jüdisch“-) liberale Intellektuelle, („jüdisch“-) bolschewistischer Kommunismus, („jüdischer“) Kapitalismus und („jüdische“) Sozialdemokratie verkörpert.“ (…)
        Magdalena Marsovszky: Die fremde Besatzung ist weg, doch der „Freiheitskampf“ geht weiter. Und
        wo ist der Feind?
        (2010)

        Hier ist das Problem hervorragend zusammengefasst (ungarisch).

        Ansonsten verweise ich auf das Update von heute.

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