Nazi-Kriegsverbrecher Csatáry: Rechtsextremes Hetzportal setzt Kopfgeld auf jüdische Aktivisten aus
Am 18.7. wurde in Budapest der mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher László Csatáry festgenommen. Csatáry lebte seit 17 Jahren unbehelligt in Budapest; den Behörden war seine Rückkehr nach Ungarn seit 1997 bekannt. Bei seiner Festnahme spielte die internationale Öffentlichkeit und internationaler Druck eine wesentliche Rolle, siehe Spiegel: NS-Kriegsverbrechen Der rüstige Herr Csatáry blamiert Ungarns Justiz; tagesschau.de, SZ, Pester Lloyd, Pester Lloyd).
Viktor Orbán erklärte, dass bereits seit September 2011 Ermittlungen gegen Csatáry laufen, und „trat (…) zugleich Vermutungen entgegen, die ungarische Justiz könne den 97-Jährigen auf politischen Druck hin von Strafe verschonen.“ (focus.de)
Mit Csatárys Hausarrest rund um die Uhr ist es allerdings nicht weit her: Am 21.7. kam ein Reporter unproblematisch zu ihm ins Haus; der vor dem Haus postierte Streifenwagen war bei seiner Ankunft gerade weggefahren (youtube).
Kopfgeld auf jüdische Aktivisten
Am 16.7. demonstrierte ein von der The European Union of Jewish Students organisierter Flashmob vor Csatárys Budapester Wohnung und forderte seine Festnahme.
Darauf setzte kuruc.info, das meistgelesene rechtsextreme Portal Ungarns mit direktem Draht ins ungarische Parlament (siehe ausführlich Spiegel.de: Rechtsextreme Hetze im Netz Ungarns Un-Demokraten, 5.2.2012) eine Belohnung von 100 000 HUF (ca. 350 EUR) für die Identifizierung der Teilnehmer und ihre Kontaktinformationen aus. (Zum Vergleich: Das Durchschnittsnettoeinkommen liegt derzeit bei 155.000 HUF / ca. 545 EUR, s. Pester Lloyd).
75 000 HUF (ca. 263 EUR) davon wurden von einem US-amerikanischen Unterstützer namens Bela Varga gestiftet (atv, siehe auch Jerusalem Post: Hungary neo-Nazis: Cash for info on Jews at protest).
Der Aufruf wurde in 48 Stunden von über 93 000 Personen gelesen. Inzwischen sind die meisten Teilnehmer identifiziert. Sie werden im Internet und telefonisch massiv belästigt und bedroht und haben darum Anzeige erstattet. (atv)
Tenor der Drohungen: Hier belästigen „Juden“ aus „Geldgier“ „ehrliche unschuldige Magyaren“, bzw. „einen Soldaten, der nur seine Pflicht getan hat“, und müssen darum aus dem ungarischen Volkskörper „ausgemerzt“ werden (s.u.).
Inzwischen hat auch der Verband jüdischer Glaubensgemeinschaften in Ungarn (MAZSIHISZ) bei der Obersten Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet – die Veröffentlichung persönlicher Daten und Drohungen dienten dem Ziel, Bürger in ihrer Versammlungsfreiheit einzuschränken. (Index/MTI, atv)
Bislang scheiterten alle Versuche, das Hetzportal wegen mißbräuchlicher Veröffentlichung persönlicher Daten zu belangen. So wurde der frühere Chefredakteur Balázs Molnár, der 2006 wegen der Veröffentlichung von Kontaktinformationen von Richtern angezeigt worden war, im November 2011 in zweiter Instanz mangels Beweisen freigesprochen. (mandiner)
Flashmob-Organisatoren sehen sich bestätigt
Eszter Garai-Édler ist eine der Hauptzielscheiben der Rechtsextremen. Kuruc.info veröffentlichte ihre gesamten geschäftlichen und privaten Kontaktinformationen sowie ihre Wohnadresse; am 19.7. erhielt sie innerhalb einer halben Stunde über 300 antisemitische Kommentare auf ihrer Facebookseite und Drohungen per Email und SMS; als sie Anzeige erstattete, riet die Polizei ihr, ihre Wohnung einige Tage nur in Begleitung zu verlassen. (vasarnapihirek.hu)
Der Népszabadság gegenüber sagte Garai-Édler, sie bereue die Aktion trotzdem nicht, und die Reaktionen der Neonazis bestätigen für sie vielmehr die Notwendigkeit solcher Aktionen: „Es verrät viel über den Zustand des Landes, über die Verbreitung extremistischen Gedankengutes, dass ausgerechnet ein früherer Ghettokommandant, der Kriegsverbrechen verdächtigt wird, mit dieser beispiellosen Vehemenz in Schutz genommen wird.“ (NOL)
Facebook-Kommentare des Artikels (Auswahl, öffentlich einsehbar):
- Rudolf Strucz: Solche Demonstrationen sind sehr wichtig. Wenn die Zeit gekommen ist, wird man anhand dieser Fotos die Personen genau identifizieren können, die sich zusammen mit den Zigeunern aus dem Land entfernen müssen. Gefällt mir: 206 · Di., 17.7., 7:32
- Bálint Mester: Ungarn den Magyaren! Juden raus!!! Di., 17.7., 7:28
- LastNomad Lőczi Gábor Ferenc: Dreckige Juden (…) man hätte euch aneinandergefesselt in die Donau stoßen sollen (…) Gefällt mir: 49 Di., 17.7., 7:27 (Anm.: Im Oktober 1944 wurden tausende ungarische Juden von den Pfeilkreuzlern in die Donau geschossen.)
- Strooper Ye Keller: Maschinengewehr? (…) das wäre zu einfach für die. Ihnen Hände und Füße abhacken, sie Säure trinken lassen, und dann alles mit einem reinigenden Feuer verbrennen. Das würde den übrigen Kretins die Lust nehmen, (andere, d.h. Csatáry) zu belästigen. Do., 19.7. 0:06
- Id Szemők István: IN ISRAEL SOLLEN SIE SCHLANGE STEHEN KUGELHAGEL FÜR ALLE JUDEN!!! Di., 17.7., 20:19
- Gábor Plavecz (…) bald fahren die Waggons ab und das werden die Ersten, die einsteigen!! (…) Fr., 20.7.
- Sándor Varga: So viel genetischer Abfall… Di., 17.7., 20:16
- Angyal Zsolt · Alle reif für die Gaskammer! Do., 19.7. 7:43
- Vadasi László ·Die werden allesamt gejagt und zur Strecke gebracht!!!!! Do., 19.7. 8:28
- Jákói Attila Dreckige Liberale und Juden, (…) ins Gas mit euch! (…) in der nahen Zukunft müssen mehr Lampengestelle produziert werden. Di, 17.7., 19:54
- Attila Pajerszki · Diesen jüdischen Parasiten läuft der Geifer aus dem Maul! Alle in die Donau schießen! Do., 19.7.
- Andrew John Almady · Canberra Institute of Technology: (…) man müsste sie lebendig begraben, es wäre schade, die Donau mit ihnen zu verschmutzen. Fr., 20.7.
- Zoltán Szepesi · JUDENSCHWUCHTELN ALLE AUFHÄNGEN!!! Fr., 20.7.
- Zoltan Buzas · Wir vergessen auch nie! Je mehr Fotos (es von denen gibt), desto besser. So wissen wir, welche als Erste in die Donau kommen. Ekelhafte dreckige Parasiten. Die hat man im Lauf der Geschichte nicht umsonst ausgerottet. Solange die nicht ausgerottet sind, wird es hier keinen Frieden geben. Di., 17.7., 21:35
„Antisemitische Provokation aus den USA“
Für Viktor Orbán handelt es sich bei kuruc.info in erster Linie um eine „antisemitische Provokation aus den USA“. Weil die „ungarische Zentrale des Antisemitismus“ über einen Server in den US betrieben wird, ist die ungarische Regierung machtlos – so Viktor Orbáns Retourkutsche an 50 Mitglieder des Washingtoner Kongresses, die die ungarische Regierung aufgefordert hatten, „ihre Stimmen gegen den Antisemitismus und jede Form des Fanatismus zu erheben“, siehe Der Standard: Orban fordert Stopp antisemitischer Provokationen aus USA, 4. Juli 2012
Dabei wäre dem Hetzportal auch ohne die diplomatische Ebene oder Geheimdienste beizukommen.
Steuerfreie Werbeeinnahmen
Der Journalist Tamás Bodoky, der inzwischen das ungarische WikiLeaks atlatszo.hu betreibt, konnte im November 2010 nachweisen, dass das Hetzportal die Zahlungen seiner zahlreichen Anzeigenkunden an der Steuer vorbei entweder in bar über ein rechtsextremes Geschäft in Budapest (Turániá / Sabir Bt.) oder über das Bankkonto eines gewissen Bela Varga in den US abwickelt – wie auch der Kuruc-Unterstützer heißt, der jetzt die Belohnung aussetzte.
Laut Webaudit hatte das Portal damals 50-100 000 Besucher pro Tag; seine monatlichen Werbeeinnahmen für 2010 wurden auf 1,5 – 2 Mio HUF (zum heutigen Kurs ca. 5200 – 7000 EUR) geschätzt, plus Spendenbeträge in unbekannter Höhe, die den ungarischen und amerikanischen Steuerbehörden entgehen.
Diese Informationen sind seit November 2010 zugänglich und gingen durch die Medien (z.B. hirszerzo); die ungarischen Behörden wurden jedoch nicht aktiv.
Der Hintermann aus den USA
Bei dem mutmaßlichen Steuerhinterzieher Bela Varga aus den USA handelt es sich um einen in Healdsburg, Kalifornien ansässigen Winzer aus Mór, der 1988 aus Ungarn dissidierte. Nachdem das Hetzportal im Juli 2008 vom damaligen Provider wegen einem Verstoß gegen die Geschäftsbedingungen abgeschaltet wurde, wurde die Domain am 11. August 2008 von Bela Varga und seiner Frau Judit Pesti auf ihre Privatadresse in Healdsburg, CA 95448 US neu registriert; ein ungarisches Antifa-Portal enttarnte sie und stellte ihre Kontaktinformationen ins Netz. Das dort veröffentlichte Foto ist allerdings nicht verifiziert, und ebenso wenig eine Beteiligung Vargas an der Winzerei Varga in Mór. Auf Facebook findet sich öffentlich einsehbar Folgendes:
Dieser Bela Varga kommentiert und verlinkt das Hetzportal regelmäßig; unter seinen Facebook-Freunden ist eine Judit Pesti, und am 17.7. postete er auf Facebook einen Aufruf, ihm Informationen zu den Teilnehmern des Flashmobs an die Mailadresse jpicklerightcurve@sonic.net zu schicken:
Am 19.7. erhielt Eszter Garai-Édler von dieser Adresse eine Drohmail: Sie habe sich den Zorn von kuruc. info zugezogen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis man sie finde, und sie solle eine Lebensversicherung abschließen (englischer Volltext s.u.).
Varga hat offenbar Geschäftskontakte nach Ungarn und dürfte sich immer wieder dort aufhalten.
(Bela Varga / J. Pickler, Quelle: Facebook)
Fehlender politischer Wille
Für die ungarischen Behörden gäbe es durchaus Ansatzpunkte, gegen kuruc.info vorzugehen – wenn sie denn wollten. Auch Fidesz-Politiker schätzen das rechtsextreme Hetzportal als Informationsquelle, aktuelles Beispiel: Der Fidesz-Gemeinderat des Budapester Stadtbezirks Zugló Ádám Borbély:
(gefunden von hvg)
Und Fidesz-Parlamentsabgeordnete treten gemeinsam mit Jobbik-Abgeordneten bei Veranstaltungen auf, die kuruc.info als Medienpartner aufführen – so Zoltán Kőszegi und Ilona Ékes am 8.8.2012 auf dem völkischen EMI-Festival in Rumänien (Medienpartner hier, vgl. nepszava.com).
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From: <jpicklerightcurve@sonic.net>
Hi Eszter,
You’d done a bangup job with your associates the other day, at the apartment complex of Mr. Csatary. Was a definite winner if you asked me. Not only did you manage to make complete idiots out of yourselves in a chain-gang, but succeeded to evoke the wrath of one of the most influential nationalist websites on the planet, the fearsome kuruc.info.
Honestly, I wouldn’t wanna be in your and your group’s shoes now, since interested individuals will find you, if not tomorrow, the day after, it’s just a matter of time.
Was it worth it? I guess you never thought, you’d be walking around looking over your shoulder from now on.
I don’t even want to imagine what’ll happen should this old man be convicted, let alone died throughout the proceedings.
A friendly advice….get life insurance.
All the best,
j
(Quelle: kanadaihirlap.com)
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Sie sollten in Ihrer Überschrift anders als das erwähnte Hetzportal die Aktivisten nicht als jüdisch bezeichnen oder diese Bezeichnung in Anführungsstriche setzen, da es sich wohl um ein Zitat handelt. Aus dem Text jedenfalls entnehme ich, dass sich die Aktivisten in erster Linie als Antifaschisten verstehen. Und warum sollte man dem Hetzportal die Deutungshoheit zusprechen ?
Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass der Flashmob von der The European Union of Jewish Students organisiert wurde, ist inzwischen ergänzt.