Holocaustleugner wird Ehrenbürger
… des IV. Budapester Bezirks Újpest; auf Initiative von zwei Fidesz-Parlamentsabgeordneten und Fidesz-Kommunalpolitikern.
Tibor Erkel, Professor an der Budapester Musikakademie, Nachfahre des ungarischen Komponisten Ferenc Erkel (Begründer der ungarischen Nationaloper, Komponist der ungarischen Nationalhymne), ist neuer Ehrenbürger des IV. Budapester Bezirks Újpest.
Tibor Erkel war seit 1996 Mitglied der rechtsextremen antisemitischen Partei MIÉP von István Csurka, ab 1999 im Vorstand. 1998-2002 war er MIÉP-Parlamentsabgeordneter, 2002-2006 MIÉP-Abgeordneter im Budapester Stadtrat. Bei den Parlamentswahlen 2006 kandidierte er für das Wahlbündnisses mit Jobbik, „MIÉP-Jobbik, der dritte Weg“ (wiki) für den 6. Budapester Wahlbezirk (IV. und XV. Stadtbezirk).
Während der Schweigeminute zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz 2005 im Budapester Stadtrat hatte die vierköpfige MIÉP-Fraktion, inklusive Erkel, geschlossen den Saal verlassen – der damalige liberale Oberbürgermeister Gábor Demszky habe in seiner Rede „Geschichtsverfälschung betrieben“ und „Reichsverweser Horthy beleidigt“. Demszky hatte auf Horthys Verantwortungen an den Deportationen hingewiesen. (Index 2005)
(Tibor Erkel, Bild von 168ora.hu)
Erkel war auf Vorschlag dreier ziviler Organisationen für die Ehrenbürgerschaft nominiert worden; im Juni wurde seine Nominierung vom Fidesz-dominierten Gemeinderat von Újpest auf Vorlage des Fidesz-Bezirksbürgermeisters und Fidesz-Parlamentsabgeordneten Zsolt Wintermantel beschlossen.
Der Rabbi der jüdischen Gemeinde Újpest, Ervin J. Szerdócz, bezeichnete die „Ernennung eines Holocaustleugners zum Ehrenbürger“ als „unakzeptabel“. (168ora, Budapester Lokalnachrichten)
Nachdem die Budapester Sozialisten gegen Erkels Ernennung protestiert hatten, reagierten die drei nominierenden zivilen Organisationen – der „Verein für öffentliche Bildung und Kultur Újpest“, die „Stadtschützer Újpest“ und die „Stiftung für Lokalgeschichte Újpest“ – mit einer gemeinsamen, auf der Seite des Bezirks veröffentlichten Stellungnahme (pdf):
Die Angriffe der MSZP seien „falsch und unwürdig“; ihre Nominierungen für die Ehrenbürgerschaft erfolgten immer ausschließlich aufgrund der Verdienste des Kandidaten und seien niemals von politischen Erwägungen beinflußt gewesen. Von mündlichen oder schriftlichen Äußerungen oder Aktivitäten Erkels, die ihn des Ehrenbürgertitels unwürdig machten, hätten sie keine Kenntnis, und unterstützten darum weiterhin seine Ernennung.
Hier wird wie bei der staatlichen Rehabilitierung des faschistischen Schriftstellers József Nyírő argumentiert – die Würdigung künstlerischer Leistungen oder gesellschaftlicher Verdienste erfolgt in einer „überpolitischen“ Sphäre, unabhängig von politischen Aktivitäten der zu würdigenden Person, die von Kritikern beanstandet werden (siehe Post, vgl. Focus). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen erfolgt nicht, sie werden lediglich als Manipulationsversuche der politischen Gegner bewertet.
Auch der Fidesz-Fraktionsvorsitzende von Újpest, Béla Bartók, wies die Vorwürfe zurück. Fidesz habe hier nicht etwa den Rechtsextremen Zugeständnisse gemacht, wie von der MSZP vorgeworfen, sondern vielmehr habe der Újpester Gemeinderat mit dem Nominierungsvorschlag die Arbeit der drei nominierenden zivilen Organisationen gewürdigt und anerkannt. (ujpest.hu)
„Gewürdigt und anerkannt“ wird hier wiederum lokale Fidesz-Prominenz: Antal Hollosi, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins für öffentliche Bildung und Kultur Újpest (Újpesti Közművelődési Kör), seit 2010 Fidesz-Parlamentsabgeordneter, war 1998-2010 Újpester Fidesz-Gemeinderat; ein weiteres Vorstandsmitglied, der Richter und Újpester Ehrenbürger Dr. András Kőrös, ist Vorsitzender des Rates für Familienrecht am Obersten Gerichtshof (seit 01.01.2012 “Kurie”).
Zum aktuellen Verhältnis von Fidesz und MIÉP siehe:
- Budapester Fidesz-OB ernennt rechtsextremen Theaterdirektor, 7. Oktober 2011
- Rechtsextremes Theater in Budapest: Fidesz und MIÉP als gemeinsame Front gegen Jobbik 10. Oktober 2011
Jüdische Gemeinde setzt auf Vorsicht und Diplomatie statt Protest
Obwohl der Rabbi der jüdischen Gemeinde Újpest die „Ernennung eines Holocaustleugners zum Ehrenbürger“ für unakzeptabel hält, will er sich in dieser Angelegenheit „nicht gegen den Willen des Bürgermeisteramtes und des Gemeinderates stellen“ und sich „im Interesse der friedlichen (…) Atmosphäre (s)einer Gemeinde nicht in politische Angelegenheiten einmischen.“ Allerdings
„würde ich es für löblich halten, wenn der Herr, sollte er die Auszeichnung trotzdem erhalten, seine damalige, vermutlich aus Unkenntnis/irrtümlich getane „Geste“, die möglicherweise (…) in einem Augenblick der Verwirrung geschah, (…) zurücknehmen würde. (…) Es gehört (…) Mut dazu, die eigenen Irrtümer zu durchdenken und neu zu bewerten, und wenn er das tut, würde ich dies mit großer Freude und als sehr löbliche menschliche Geste betrachten. Wenn er das nicht tut und die Auszeichnung trotzdem erhält, nehme ich das mit Bedauern und einem gewissen Unbehagen zur Kenntnis (…) plane aber (aufgrund der aktuellen liturgischen Verpflichtungen) keinen Protest.“ (168ora.hu)
Im Juni war der ehemalige Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde von Budapest, József Schweitzer, auf offener Straße von einem Unbekannten attackiert und mit antisemitischen Parolen beschimpft worden, siehe Pester Lloyd: Rassistische Attacke auf Rabbiner in Ungarn, 06.06.2012
Und wer öffentlich gegen Rechtsextreme protestiert, macht sich heutzutage zur Zielscheibe:
Nazi-Kriegsverbrecher Csatáry: Rechtsextremes Hetzportal setzt Kopfgeld auf jüdische Aktivisten aus, 22. Juli 2012
Stoße gerade durch Zufall auf diesen Blog und mir stehen beim Lesen die Haare zu Berge. In Deutschland erfahren wir kaum was aus dem heutigen Ungarn, aber das ist wirklich gruselig, was da an Geschichtsverdrehung, Rohheit und Bosheit betrieben wird. Judenhass und Morde werden ja auch gar nicht geleugnet, sondern im Gegenteil ganz offen legitimiert (auch gegen Roma und andere).
Mich entsetzt es so, weil alle Nationen und Generationen doch Gelegenheit hatten, zu LERNEN, dass „Andere zu verjagen“ oder zu „vernichten“ noch nie eine politische oder gesellschaftliche „Lösung“ war. Danach folgten nur Trauma und Trauer: Die Balkankriege hatten ähnlich wie die Nazis eine ungebremste Brutalität losgelöst, aber danach gab es keine Zufriedenheit, sondern nur Zerstörung.
Das müsste doch jeder begriffen haben.
Also, wie kommt es, dass sich Fanatiker einbilden, wenn sie aggressiv gegen andere sind, gäbe es irgendeine Verbesserung? Ich kann mir Rechtsextreme nur so erklären, dass sie mit allem anderen überfordert sind und Angst vor der Welt haben. Deshalb der Wunsch, „unter sich“ zu sein und alles zu kontrollieren.
Gibt es eine politische Analyse, warum gerade jetzt in diesen Jahren in Ungarn so ein Rechtsdrall aufkommt? Ursachen?
Werde hier öfter reinlesen, sehr interessanter Blog!!
Wenn ich richtig verstehe, gehört der Geehrte zur Mehrheit der Ungarn, die den für den Holocaust die Deutschen verantwortlich machen und Horthy (anders als der seinerzeitige Oberbürgermeister offensichtlich) als Opfer der Deutschen sehen. Insofern ist es weit hergeholt, den Mann als Leugner des Holocaust darzustellen (dabei handelt es sich wohl auch nur um die Übersetzung aus dem Artikel der Zeitschrift 168ora und nicht um meine Feststellung). Auch in Deutschland, wo die Leugnung (anders als in Ungarn) unter Strafe steht, bezieht sich das Delikt nicht auf die Leugnung der Tatbeteiligung Einzelner, sondern auf die Leugnung des Mordes an den Juden an sich.