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Die neue ungarische Verfassung als sakrales Kultobjekt/Theaterrequisite

9. November 2012

Während die ungarische Regierung die neue Verfassung im Ausland als juristischen Text diskutiert wissen will (so unlängst auf einer Fachkonferenz „über Europas jüngste Verfassung“ in München), wird der Gesetzestext im Land von Anfang an als sakrales Kultobjekt inszeniert (vgl. Post Die neuen Verfassungsaltäre in den ungarischen Rathäusern, 8. September 2011).

Aktuelles Beispiel ist ein Auftritt von Imre Kerényi, dem Sonderbeauftragten des Ministerpräsidenten zur Popularisierung der neuen Verfassung, in Debrecen.

Für die illustrierte Ausgabe wurden von Kerényi 2011  Historiengemälde in Auftrag gegeben, siehe Post “Staatskunst ist auch Kunst” – die letzten 150 Jahre der ungarischen Geschichte jetzt in zeitgenössischen Ölgemälden 7. November 2011.

Laut Regierungsseite werden diese Gemälde im April 2014 (Parlamentswahlen!) ihren endgültigen Platz im ungarischen Parlament finden; so lange reisen sie als Wanderausstellung durch 18 größere ungarische Städte.

(vagy.hu)

Aktuelle Station der Wanderausstellung ist Debrecen; bei der Eröffnung am 8.11.2012 präsentierte Kerényi sein Projekt in einem spirituellen Sinnzusammenhang, als er sagte:

„Wir alle stehen spirituell in Verbindung mit Viktor Orbán“.

(Video, vagy.hu, hir24.hu).

In dieser esoterischen Weiterentwicklung des klassischen Personenkults konstituiert sich „Nation“ durch die spirituelle Verbindung der einzelnen Mitglieder zum Ersten Mann des Staates, die wiederum Gemeinschaft stiftet. Es scheint nicht allzu weit hergeholt, daran zu erinnern, dass die „Heilige Ungarische Krone“ von einigen völkischen Esoterikern als Empfangsantenne für kosmische Energieströme betrachtet wird, die ihren Träger befähigen, die ungarische Nation gemäß eines göttlichen Programms zu verkörpern und zu regieren.

(Shalom Blog)

Die illustrierte Ausgabe der Verfassung als Symbol der „Nation“ bekommt als Requisit bei der Inszenierung des Nationalen selbst ikonische Qualität. Theaterregisseur Kerényi in Debrecen (links im Bild):


(vagy.hu; rechts: Internet)

Die Pose kam bereits auf dem ersten „Friedensmarsch“ im Januar zum Einsatz. Auf diese Weise inszenierten sich die beiden rechtsextremen Organisatoren als Volkstribunen gegen die „Feinde der Nation“: “Unsere Botschaft an die Europäische Union: Das ist unsere Verfassung, sie gehört uns!”


Links András Bencsik, einer der Väter der verbotenen Ungarischen Garde, Chefredakteur des Magyar Demokrata, in dem 2009 zur Vernichtung der Werke jüdischer Autoren aus den ungarischen Bibliotheken aufgerufen wurde (Welt); rechts  der antisemitische Publizist Zsolt Bayer (Post Hunderttausende demonstrierten für Orbán: Antisemiten, neues Trianon, Jubel-Székler, Dank von der EVP 23. Januar 2012)

Die illustrierte Ausgabe der Verfassung ist ein „Kind“ des Magyar Demokrata; sie wurde konzipiert von András Bencsiks Bruder Gábor, dem kaufmännischen Leiter des Blattes, und von der hauseigenen Grafikabteilung produziert. (demokrata.hu)

*

Zu Kerényis Wirken auf diesem Blog:

  • Denkmäler für Antisemiten  4. November 2012: Bei der Einweihung einer Gedenktafel für die antisemitische Schriftstellerin Cécile Tormay in Budapest sagte Kerényi, sie sei Antisemitin gewesen, allerdings habe es sich in ihrem Fall “um den Salonantisemitismus der besseren Kreise” gehandelt, “der nie zu tätlicher Gewalt gegen Juden geführt” habe (fn.hir24.hu). Die ungarischen Judengesetze bleiben unerwähnt.
  • Imre Kerényi 2010 im Wahlkampf: “Wenn wir an die Macht kommen, machen wir die letzten hundert Jahre rückgängig.” (Post Hundert Jahre zurück , 22. August 2012Video bei Blog Kettös Mérce 2011).

Zum Thema Sakralisierung der Nation:

In den letzten Jahren nehmen die strukturellen Analogien zwischen religiösen und nationalen Inszenierungen und damit die Tendenz zur Sakralisierung der Nation eindeutig zu. Einmal wird die völkisch verstandene Nation gepriesen, einmal wird die Religion in kirchlichen Predigten nationalisiert, dann wieder wird(…) das Volkstum der Magyaren beschworen.
Die für das völkische Denken typische Suche nach dem “Urvolk” und nach der “Urreligion” führt zu immer neueren Konstruktionen der Geschichte und zur Zunahme eines symbolischen Politisierens, das sich sowohl in der Tätigkeit von zivilen Initiativen als auch in der Kultur- und Bildungspolitik der Regierung niederschlägt.“

One Comment leave one →
  1. Don Kichote permalink
    15. November 2012 14:29

    Jetzt fehlt noch Orbán, der das Meer teilt und zwei steinerne Tafeln im Arm hält und auf der in ungarischer Runeninschrift, mit dem Datum 2011, ungarische Verfassung zu lesen ist. Es ist unwirklich wie Ungarn sich ein-singt und sich der Trance übergibt. Mit einem gewissen Abstand kann man das nur durch eine Defizit in Leistung erklären.

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