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Orbán mobilisiert die „Nation“ gegen das „internationale Großkapital“

1. Oktober 2013

In seiner Rede auf dem Fidesz-Parteitag mobilisierte Premier Viktor Orbán die „Nation“ gegen das „internationale Großkapital“ („die Bankiers, die gierigen Multis, die Brüsseler Bürokraten, die in ihrem Sold stehen (…) wir sind und werden keine Diener Europas sein“) und beschwor das Feindbild des ‚ewigen Kommunisten‘, dessen ‚Schuld‘ gegenüber den „ungarischen Menschen“ immer aktuell bleibt („Sie sind es, und immer sind sie es, die bereitstehen, um Ungarn wieder seinen wirtschaftlichen Kolonisatoren zu übergeben.“) Laut der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky sind das klar antisemitische Argumentationsstrukturen. Ein Kommentar.

Zum Parteitag siehe ausführlich Pester Lloyd: Generalmobilmachung. Premier Orbán bereitet Ungarn bei Parteitag auf „Krieg gegen äußere und innere Feinde“ vor.

Aus Orbáns Rede

(Übersetzung PR, Video s.u.)

„Haben wir keine Zweifel daran, dass alle, alle gegen uns aufmarschieren werden. Die (…) Bankiers, die gierigen Multis, die Brüsseler Bürokraten, die in ihrem Sold stehen, und natürlich ihre Lakaien hier im Land. (…)
(0:39) 2002 haben wir es (…) gesagt: Wenn die Linken an die Regierung kommen, kommt hier in Wirklichkeit das internationale Großkapital an die Regierung, und dann werden dieses Land und die Magyaren einen üblen, hohen Preis dafür zahlen. Und genauso kam es auch. (zählt Sparmaßnahmen der Vorgängerregierungen und die Verschuldung auf) (…)
(1:22) Vergesst niemals, dass Ungarn und die magyarischen Menschen (magyar emberek, dieser völkisch konnotierte Begriff wurde von Jobbik geprägt) von den ehemaligen Kommunisten an die Banken und Multis ausgeliefert wurden. Das ist die Wahrheit. (Applaus)
(1:33) Meine Freunde, die Kommunisten von damals (Puffajkák) haben ihre Rote-Armee-Jacken durch Anzüge ersetzt, aber ihre Mentalität ist dieselbe geblieben. Manchen meinen, dass es heute leeres Geschwätz sei, Kommunisten anzuprangern. Die Kommunisten würden allmählich aussterben, und die heutigen Sozialisten seien jünger als wir. Das kann schon sein. Aber ich denke, wo es Dinosaurier gibt, gibt es auch Babysaurier. (1:59) (Gelächter) Die Alten tragen ihre Rote-Armee-Jacken, die Jungen elegante Anzüge, immer der Mode der Welt entsprechend (lies: „international“). Aber das Wesentliche ändert sich nicht. Sie sind es, und immer sind sie es, die bereitstehen, um Ungarn wieder seinen wirtschaftlichen Kolonisatoren zu übergeben.
(2:17) Ungarn lässt sich nicht unterkriegen. Wir sind keine, und werden keine Diener Europas sein. (Applaus) Wir sind es nicht, und werden es nicht sein. Wir sind und werden nicht die Diener der Banken und großen Konzerne sein. Wir Magyaren sind unsere eigenen Herren, und wollen nicht, dass uns andere sagen, wie wir vor unserer eigenen Türe zu kehren haben. (…)
(3:00) Seit einem Vierteljahrhundert läuft der Kampf um die wirtschaftliche Unabhängigkeit unseres Vaterlandes. Wir haben ernstzunehmende Erfolge erzielt. Jetzt müssen wir nur noch eine Schlacht, eine letzte Schlacht für die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die wirtschaftliche Selbstbestimmung gewinnen. (…) Es gibt viele hier in diesem Saal und noch mehr außerhalb, die seit fünfundzwanzig Jahren dafür kämpfen (sinngemäß). Reden wir klare Worte: Wer die Arbeit nicht ehrenhaft macht, wer nicht alles dafür gibt, und nicht tut, was die Situation erfordert, der schuldet mir 25 Jahre. Es lebe Ungarn, es leben die Magyaren. „

Kommentar der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky:

Orbans Sätze sind antisemitisch.
In diesem Antisemitismus werden die ökonomischen Vorgänge nicht als ein subjektloser wirtschaftlicher Prozess gesehen, sondern als Ausbeutungsprojekt, das von „bösen Menschen“ vollzogen wird. In seiner Rede stellt Orbán die Produktion, das Handwerk, d.h. die güterproduzierenden Magyaren im völkischen Sinne – der Code für das positiv gemeinte „schaffende Kapital“ – gegen die „Ausbeutung“ durch Handel, Banken und Börsen – der Code für das negative „raffende“ Kapital. Diese Art Reduktionismus und Aufspaltung ist typisch für den Antisemitismus, nach dem also hinter dem Kapitalismus „die Juden“ vermutet werden: Sie würden die internationale Wirtschaft beherrschen, sie seien verantwortlich für die wirtschaftlichen Krisen und Verschuldungen. Wertschaffende „magyarische Arbeit“ stünde in dieser Deutung gegen „jüdische Ausplünderung“ und „jüdischen Parasitismus“.

Typisch für den Antisemitismus ist auch die Annahme, dass hinter dem Sozialismus „die judeobolschewistischen Juden“ steckten. Die Anspielung auf die Rote-Armee-Jacken ist ein Code dafür im Antisemitismus in Ungarn und meint, die „judeobolschewistischen“ Sozialisten stünden als „Handlanger“ der Internationalisten (Brüsseler Bürokraten, Bankiers usw.) hinter den Kulissen, steuerten alles und bestimmten die Vorgänge. Diese Form von Antisemitismus wird auch „Der Jude als Dritter“ (Begriff von Klaus Holz) im Hintergrund genannt, der „die Völker“ gegeneinander ausspielt oder „das Volk“ „fremden Interessen“ ausliefert und quasi als lachender Dritter im Hintergrund daraus profitiert. Fachbegriff dafür, wenn eine Regierung oder Partei quasi fremdbestimmt ist, ist auch „zionistic occupied“ (d.h. zionististisch besetzt). In dieser antisemitischen Deutung seien „die Juden“ die wahren Herrscher im Hintergrund, die durch ihre Finanzmacht die Politik der Staaten und die Regierungen wie Marionetten an unsichtbaren Fäden steuerten.

Der Gegensatz in Orbáns Rede zwischen dem positiven „Nationalismus“ und dem negativen „Internationalismus“ ist in diesem Sinne zu verstehen. Der „Internationalismus“ ist deshalb negativ, weil er quasi die völkische Einheit untergraben würde, die „Internationalen“ seien die Zersetzer und Verräter der Nation, wie man oft auch von Orbán und anderen Mitglieder der Regierung selbst hört.

Strukturmerkmal dieses antisemitischen Weltbildes, wie bei Thomas Haury beschrieben, ist die Personifizierung, in der alle gesellschaftlichen Verhältnisse und Prozesse als das bewusste Werk böser Menschen erklärt wird. Das notwendige Korrelat zu dieser Personifizierung ist die Verschwörungstheorie, in der ein weltweiter Feind konstruiert wird, der nahezu alles steuert und omnipotent sein muss. Werden gesellschaftliche Verhältnisse personifizierend erklärt, landet man zwangsläufig im verschwörungstheoretischen Denken und damit beim Antisemitismus.

Die Gegenüberstellung vom „schaffenden“ Industriekapital und „raffenden“ Finanzkapital kennt man von den nationalsozialistischen Politikern sehr gut, so z.B. von Joseph Goebbels und Adolf Hitler.

Leider wird dieser Art Antisemitismus in Ungarn kaum wahrgenommen, was wohl aus der noch immer vorherrschenden orthodox-marxistischen Deutung der gesellschaftlichen Vorgänge resultiert. Im Gegenteil. Selbst der größte Teil der Opposition argumentiert kapital- und kapitalismusfeindlich und personifiziert die Ökonomie. So warf neulich die größte Oppositionspartei der Sozialisten Viktor Orbán vor, er würde mit dem „Kapital paktieren“, und die grüne LMP warb bei einer kommunalen Wahlveranstaltung damit, dass „das Kapital bekämpft werden könne“.

9 Kommentare leave one →
  1. peter permalink
    1. Oktober 2013 14:27

    Ich habe mal die Homepage der deutschen Sozialdemokraten aufgeschlagen. Zwei „Klicks“ waren genug, um (nach obiger Lesart) zu einem Beweis des Antisemitismus zu gelangen:

    „Arbeit ist die Grundlage unseres Wohlstandes – und nicht die Zockerei auf den Finanzmärkten. Die Menschen verdienen für ihre Arbeit Anerkennung, Respekt und einen ordentlichen Lohn.“

  2. Hunor permalink
    1. Oktober 2013 22:54

    Das hast Du gut beschrieben, Peter. Mal schauen, wie lange Dein Beitrag hier noch zu sehen sein wird.. Denn der Blogbetreiber mag es, Kommentare unter den Tisch fallen zu lassen, die nicht seinem judeo-hysterischen Weltbild entsprechen. Ansonsten findet man hier fast nur Schreiberlinge, die untertänigst und pflichtversessen die Antisemitismus-Keule schwingen. Typisch ist die „Kulturwissenschaftlerin“ Marsovszky, die ihren pseudowissenschaftlichen Senf dazu geben muß.

    • Karl Pfeifer permalink
      3. Oktober 2013 11:42

      Hunor, die völkischen Anführer in Ungarn schwingen diese von Ihnen erwähnte Keule, denn einerseits leugnen sie den weit verbreiteten Antisemitismus in Ungarn (z.B. in den Artikeln des Zsolt Bayer) andererseits betonen sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Juden schützen zu wollen.

  3. Karl Pfeifer permalink
    2. Oktober 2013 07:15

    peter. man sollte schon lesen, was oben steht. Gerade M. Marsovszky machte darauf aufmerksam, dass auch Linke gelegentlich antikapitalistische Demagogie benützen.
    „Selbst der größte Teil der Opposition argumentiert kapital- und kapitalismusfeindlich und personifiziert die Ökonomie. So warf neulich die größte Oppositionspartei der Sozialisten Viktor Orbán vor, er würde mit dem “Kapital paktieren”,
    Die ungarische Opposition behauptet im Gegensatz zu Orbán nicht, dass es eine Weltverschwörung gegen Ungarn gibt. Das Gegenüberstellen von Nation und Internationalismus ist eine implizit antisemitische Argumentation.
    Was die SPD nicht getan hat: Sie hat nicht zweit,dritt und fünftrangige antisemitische Schriftsteller in den deutschen Lehrstoff genommen. In Ungarn ist das geschehen (Nyirö, Tormay, Wass)

  4. peter permalink
    3. Oktober 2013 21:42

    Was die Schriftsteller angeht, haben Sie natürlich recht. Wobei ich nicht glaube, dass sie wegen Ihres Judenhasses in den Kanon aufgenommen wurden. Wenn Politiker in Ungarn wie auch anderswo auf der Welt den Menschen einreden, dass man sie beschützen werde vor den Auswirkungen des Globalen, dann impliziert das höchstens Populismus, nicht jedoch Antisemitismus (während früher sicher häufig die Juden gemeint waren, sind es heute die internationale Konzerne etc.).Diese Gerede von den „Chiffren“ geht einem doch auf den Zeiger. Ich bestreite allerdings, dass das Schimpfen auf die „Kosmopoliten“ in Deutschland milder ausfällt. Man denke nur an die Schimpftiraden der Linken in Deutschland gegen die sog. Heuschrecken oder die Banken, gerade im Zusammenhang mit der Bankenkrise oder die Wohlhabenden ganz generell.

  5. Karl Pfeifer permalink
    4. Oktober 2013 19:12

    peter, weder M. Marsovszky noch andere seriöse Wissenschaftler leugnen, dass sich hinter „antikapitalistischen“ Erklärungen antisemitische Ressentiments verbergen. D.h. auch Linke sind nicht frei davon und Marsovszky hat das auch explizit erwähnt.
    Wenn plötzlich George Soros einiges in Ungarn unterstellt wird, so hat das einen antisemitischen Unterton. In der aktuellen Ausgabe von Élet és Irodalom hat Mária Vásárhelyi einen sehr guten Artikel über dieses Thema publiziert.
    Antisemitismus kommt heute oft genug kodiert. Ich empfehle Ihnen die Arbeiten einiger österreichischer Sprachwissenschaftler wie Ruth Wodak, die das beweisen.

    • peter permalink
      5. Oktober 2013 16:27

      Wenn die Wissenschaftler die Semiten mit dem Kapitalismus gleichsetzen, dann mögen Sie recht haben (die „Wissenschaftler“ müssen ja an die Codes und Chiffren glauben, schließlich hängt ihr Beruf davon ab. Das ist wie bei den Theologen); wobei ich mich eher an Theorien über den Ursprung des Kapitalismus in der Reformation erinnere (Katholiken haben zu viele Feiertage und sind zu fröhlich usw.). Ich kann dazu nur sagen, dass es ausreicht, Orban für das zu kritisieren, was er sagt (weil er z.B. populistisch in die Hand beißt, die ihn füttert). Die Kritik wird doch nicht dadurch wirksamer, dass man ihm unterstellt, dass er mit der EU eigentlich das Weltjudentum meint (auch wenn solche Vorwürfe gegen ihn natürlich unheimlich populär sind; in Deutschland gibt es auch kaum Personen des öffentl. Lebens, denen von der Presse noch nicht vorgeworfen wurde, ein verkappter Nationalsozialist zu sein). Dass die Situation derjenigen ähnelt, in der sich Fürsten erst bei Juden Geld geborgt haben, um sich dann der Schulden zu entledigen, indem man den Bankier umgebracht hat, liegt in der Natur der Sache.

  6. Karl Pfeifer permalink
    6. Oktober 2013 07:57

    peter ich finde Ihren Vergleich Sprachwissenschaftler mit Theologen an den Haaren herbeigezogen. Kein ernsthafter Wissenschaftler setzt Juden mit Kapitalismus gleich, wenn es auch wahr ist, dass einige Juden in den damals unterentwickelten Gebieten Europas (wie z.B. Ungarn) einen großen Beitrag zur Entwicklung des Kapitalismus und damit des Landes geleistet haben.
    Die von mir genannte Sprachwissenschaftlerin hat sich mit den Codes von Politikern befaßt. Nun kann man sich natürlich auf den Standpunkt versteifen, die kritisierte Person hat das Wort Jude oder Juden nicht in den Mund genommen. Man muß das in einem Land in dem es einen hohen Prozentsatz von Menschen mit antisemitischen Vorurteilen gibt nicht tun, die verstehen die Codes und die Anspielungen.
    Ich weiß nicht wem man in Deutschland vorwirft ein verkappter Nationalsozialist zu sein. Orbán wurde nicht der Vorwurf gemacht ein verkappter Pfeilkreuzler zu sein. Er und seine Partei stehen zwar im politischen Wettbewerb mit Jobbik, doch um rechtsextreme Wähler bei der Stange zu halten, benützen einige fidesznahe Medien (Magyar Hirlap, Demokrata, Echo TV) eine Sprache, die in Deutschland nur von Neonazimedien gebraucht wird.
    Ich bin auch dafür, die Kirche im Dorf zu lassen. Orbán und Fidesz sollte nicht unterstellt werden, sie möchten diejenigen umbringen, die ihnen Geld leihen. Was sie tun ist schon schlimm genug.

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