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Gewaltmonopol im öffentlichen Raum: Ordnungsamt gegen Bürger 2. Klasse

5. Oktober 2013

Nicht nur gegen Obdachlose (vgl. Post), sondern auch gegen andere vermeintliche Straftäter darf vom kommunalen Ordnungsdienst nunmehr per Gewaltanwendung  durchgegriffen werden. Der folgende Fall erregt gerade große Aufmerksamkeit im Netz, weil es ausnahmsweise keinen Obdachlosen oder Roma traf, sondern eine Budapester Diplompädagogin, die einer Schwarzfahrerin helfen wollte und in klassischer Täter-Opfer-Umkehr wegen „Gewalt gegen Amtspersonen“ von gleich drei Beamten des Ordnungsdienstes festgehalten und zu Boden geworfen wurde, laut Behörde „völlig sachgemäß und korrekt“. Auf die Hemmschwelle der Beamten wirkte sich offenbar die gelbe Signalweste aus, die die Pädagogin zufällig an diesem Tag trug. Es ist die Uniform der kommunalen Zwangsbeschäftigten.

(Zum neuen Gesetz s. Berliner Zeitung: Gesetz gegen Obdachlose-Ungarns schwarzer Sheriff, 1.10.2013)

Budapest, 1. Oktober, Mittags, Tramhaltestelle Oktogon. Beim Aussteigen sieht die Diplompädagogin, wie gleich drei Beamte des kommunalen Ordnungsdienstes ein junges Mädchen mit Gewalt festhalten und an ihr herumzerren. Die Vorgeschichte hat sie nicht mitbekommen. Der Ordnungsdienst sagt später, man habe die junge Frau beim Schwarzfahren erwischt. Die Diplompädagogin findet die Behandlung unwürdig und beschließt, sich einzumischen.
Laut Ordnungsdienst hat sie das Mädchen befreit, den Beamten ihren Arm aus den Händen gerissen. Das Mädchen verschwindet. Darauf wird sie selbst von den Beamten festgehalten. Zu welchem Zweck, erfährt sie nicht. Später wird das Vorgehen damit begründet, sie habe sich der „Gewalt gegen Amtspersonen“ schuldig gemacht. Nunmehr erfährt sie dieselbe Behandlung wie die Schwarzfahrerin. Im Gerangel fällt sie auf den Boden, die Beamten öffnen ihre Jacke und versuchen, sie ihr auszuziehen. Zu welchem Zweck, ist unklar. Dabei wird die Jacke zerrissen.

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„Sie haben nicht mal nach meinem Namen gefragt, nur gesagt, dass sie mich anstatt der Schwarzfahrerin festhalten. Sie haben mich angegriffen, ich habe mich gewehrt. Das ist mein Land, nicht nur ihres, so können wir hier nicht miteinander umgehen. Es kann nicht angehen, dass man  Leute tätlich angreift, die sich über etwas beschwert haben.“
Sie forderte die Umstehenden auf, die Polizei zu rufen. Diese kam zuerst lange nicht und nahm die Personalien aller Beteiligten auf, auch die von umstehenden Zeugen. Mehr geschah nicht. Die Diplompädagogin erstattete Anzeige auf der  nächstgelegenen Polizeiwache und wandte sich an die Bürgerrechtsorganisation TASZ.

István Miklós, der Vizedirektor des Hauptstädtischen Ordnungsamtes, erklärte,  die Beamten hätten sich dem neuen Gesetz ensprechend absolut sachgemäß und korrekt verhalten.
(Quellen: hir24, 444.hu, parameter.sk)

Ein Zeuge, den der Vorfall amüsierte, filmte mit und stellte das Video unter „Alle anschauen!! So kann es euch auch gehen, wenn ihr keine Fahrkarte habt!! :D“ auf Facebook ein. Es wurde über 13.200 mal geteilt.

In Kürze werden die Beamten des kommunalen Ordnungsdienstes Budapest auch mit Handschellen ausgestattet. (mancs)

Freiwild Zwangsarbeiter?

Die Diplompädagogin trug an diesem Tag als Symbol der Pädagogendemonstration am 5. Oktober eine gelbe Signalweste, wie sie die zwangsbeschäftigten Teilnehmer der öffentlichen Beschäftigungsprogramme (közmunkás) bei der Arbeit tragen müssen, vor allem Arme, Obdachlose, Roma. Dass diese Weste stigmatisierend wirkt, wurde im Juni vom Ombudsmann Máté Szabó konstatiert. (hvg)

„Wer so eine Weste trägt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er für einen  Közmunkás gehalten und zusammengeschlagen wird“, kommentiert ein Blog den Vorfall. „Das zeigt uns, dass in Ungarn jeder auf offener Straße tätlich angegriffen werden darf, der Schwarzfahrern hilft, und außerdem aussieht wie ein Közmunkás.“
Außerdem wird dort von folgendem aktuellen Fall berichtet: Am Budapester Batthyány tér versuchte der Notarzt erfolglos, einen Obdachlosen wiederzubeleben. Eben hatte ein Polizist dem Leblosen einen gelben Scheck für die Geldstrafe auf die Brust gelegt. Die Sanitäter versuchten, ihn dem Polizisten zurückzugeben, doch der war zur Rücknahme nicht berechtigt, „das ist Befehl“.


(„Wenn die Schule nicht funktioniert, funktioniert gar nichts!“ Pädagogendemo, Facebook)

Bürger 2. Klasse:


(Quelle)


(forum.portfolio.hu)


(nol.hu)

*

Bürger 2. Klasse unter Horthy 1939-1944: Der Arbeitsdienst.

Mehr dazu hier.


Bild von der Seite „Der Holocaust in Ungarn“.

(degob.hu)

4 Kommentare leave one →
  1. Hunor permalink
    5. Oktober 2013 20:34

    Einfach grotesk, wie hier sinnlos Meinungsmache betrieben wird. Der allergrößte Witz ist aber, wie mit dem Argument der Täter-Opfer-Umkehr argumentiert wird. Ja, geht’s noch??? Das, was hier in diesem Artikel betrieben wird, DAS IST die klassische Täter-Opfer-Umkehr. Allerdings ist mir dies keineswegs überraschend, denn die ganze Linie dieses Blogs geht immer entlang dieser Linie vor. Halten wir mal die Fakten ganz einfach fest: Eine Schwarzfahrerin wird von 3 Beamten des kommunalen Ordnungsdienstes festgehalten. Was ist daran überhaupt erwähnenswert?? Rein GAR NICHTS! Die Pädagogin hat ja selbst zugegeben, dass ihr die Vorgeschichte unbekannt war. So what the fuck?? Was passiert wohl hierzulande mit einem Schwarzfahrer?? Wenn der das Ticket nebst Strafgeld nicht bezahlen kann oder will, oder seine Personalien nicht angeben kann oder will, dann werden die Kontrolleure auch hierzulande handgreiflich, speziell wenn der Täter nicht freiwillig zur Feststellung der Personalien mitkommen will. Hundert Prozent! Also war die junge Schwarzfahrerin offensichtlich nicht bereit, zu kooperieren. Man kann getrost davon ausgehen, dass die Kontrolleure nicht lediglich wegen des fehlenden Tickets handgreiflich geworden sind, schließlich sind das ja Beamte, keine Rabauken. Kommen wir zu Punkt zwei. Da kommt also eine Außenstehende, bezeichnenderweise eine Pädagogin, und erdreistet sich, sich einzumischen. Das ist aber der reinste Hohn, dass die Handlung dieser Frau auch noch positiv bewertet wird. Ja Leute, wo leben wir denn?? Was würde wohl hierzulande passieren, wenn bei ähnlichen Aktionen der Polizei oder eines Ordnungsdienstes jemand von außen eingreift und Personenbefreiung betreibt?? Aber klar, dass diese Person zur Rechenschaft gezogen werden würde, und zwar zu Recht! Die Frau hat sich also absolut nicht zu beklagen, dass sie ergriffen wurde. Empörend finde ich allenfalls, wie hier wieder mal die Realität dreist verzerrt dargestellt wird. Die Pädagogin kann sich freuen, dass sie nicht einiges auf die Schnauze bekommen hat, denn verdient hat sie sich das reichlich!

    • müller.meier permalink
      6. Oktober 2013 11:29

      Unabhängig davon, wie ich diesen blog charakterisiere, entsetzt mich Hunors Kommentar.
      Eine Schwarzfahrerin wird gleich von 3 Männern sozusagen in eine körperliche unangemessene Enge getrieben (Wozu?), eine engagierte Bürgerin hat den Eindruck, dass hier Einmischung dringend geboten ist und hat den Mut, sich einer kommunalen Übermacht erstmal verbal entgegenzustellen. Hut ab! Die Bilder sprechen für sich.
      Hunor sieht das als Erdreistung, hätte ihm bürgerliches „devotes“ Verhalten hier besser gefallen?
      Hätte Hunor der Pädagogin eins auf die Schnauze gegeben? Nazis in DE pflegten sowas schnell zu tun.

  2. Hunor permalink
    6. Oktober 2013 20:35

    Manche können halt aus ihrer verdrehten Sichweise einfach nicht herauskommen, wie man hier anhand des Blogs und der Antwort auf meine Zuschrift sehen kann. Die Kommunalbediensteten reden die ganze Zeit absolut höflich und beruhigend mit der Frau, die sich wehrt. Was würde man hierzulande sagen, wenn sich jemand bei Polizeizugriff tätlich wehrt? Die Person könnte sich hierzulande nicht beklagen, wenn es dabei zum Einsatz von Gummiknüppel, Pfefferspray oder Taser käme. Es gibt nun mal Ordnungskräfte, die bei Verstößen einzugreifen haben, denn dazu sind sie da! Bei Schwarzfahrern kann man nicht wegschauen, und oft genug werden Schwarzfahrer auch noch aggressiv (manche Zugkontrolleurin kann da einiges erzählen zum Thema..).
    Es war ja nicht so, wie bei manchen amerikanischen Cop-Einsätzen, wo wehrlose Personen, die schon am Boden waren, noch getasert und geknüppelt wurden, nur um aufgestaute Aggressionen abzuleiten.
    Die Pädagogin hat sich bei diesen absolut im Rahmen des Üblichen befindlichen Aktionen nicht einzumischen. Weder mit Sprüchen, und noch viel weniger mit Befreiungsaktionen zu Gunsten des Gesetzesbrechers. Denn Schwarzfahrer sind nichts anderes als Gesetzesbrecher. Mit denen Solidarität zu zeigen zeugt von einem bedenklich verdrehten Weltbild. Aber all dies passt ja glänzend zur hierzulande (also in Deutschland) zu erlebenden Einstellung der Polizei gegenüber, die man quasi ungestraft als Bullenschwein bezeichnen oder sie mit Steinen/Flaschen usw bewerfen darf.

  3. Barbaros permalink
    14. Oktober 2013 13:23

    Lieber Hunor,
    wenn es ein Gesetz gibt, dann heißt das nicht es ist Richtig…
    Nur wenn etwas Richtig ist sollte es zu Gesetz werden!
    Wo ist hier die Verhältnismäßigkeit, hmm?
    Also, lass die Kirche im Dorf! Die politischen und sozialen Umstände in Ungarn sind dir doch auch bekannt, also hör auf so zu tun als wärst du ein „saubermann“….
    ha az iskola nem müködik semmi sem müködik!!!

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