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Miskolc: Romaviertel soll Luxusstadion weichen

15. Juni 2014

In Rio mussten ganze Favelas der Fußball-WM weichen, in Miskolc will der Fidesz-Stadtrat mit Jobbiks tatkräftiger Unterstützung ein von Roma bewohntes Armutsviertel beseitigen, in dessen unmittelbarer Nähe bis 2016 ein neues Milliardenprojekt entstehen soll: Das Fußballstadion Diósgyőr soll zu einem Stadion der UEFA-Kategorie 4 ausgebaut werden.

Im Mai ging es auch durch ausländische Medien: Die Fidesz-dominierte Stadtverwaltung der Großstadt Miskolc will von Roma bewohnte Armensiedlungen beseitigen,  indem den Bewohnern eine Wegziehprämie von 1,5 bis 2 Mio. Forint (4.500 bis 6.000 EUR) pro Familie angeboten wird, wenn sie „bereit sind, subventionierte Häuser außerhalb der Stadt“ zu erwerben und diese mindestens fünf Jahre lang nicht wieder zu verkaufen (dROMa-Blog, orf,  Pester Lloyd).

Betroffen sind die Bewohner der im Volksmund „die nummerierten Straßen“ genannten ehemaligen Arbeitersiedlung (deren Straßen lediglich Nummern haben, s.u.); 2008 wohnten dort 800 Personen (Quelle). Die Bewohner haben sich mittlerweile organisiert und protestieren gegen ihre geplante Aussiedlung; sie fordern Wohnungen innerhalb der Stadt.

In den Dörfern der Umgebung gründen sich bereits Protestinitiativen gegen potentielle Neuankömmlinge aus Miskolc; in der Gemeinde Sátoraljaújhely werden ihnen per Dekret auf fünf Jahre Sozialleistungen und öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen verweigert (Nol); in Ónod wurde kürzlich ein Brandanschlag auf ein von Roma bewohntes Haus verübt, nachdem der Fidesz-Bürgermeister sich in den Medien gegen Neuankömmlinge ausgesprochen hatte.

Jobbik-Aufmarsch im Armenviertel

Am 14.6. marschierte der Jobbik-Stadtrat Péter Jakab – der letztes Jahr eine Guerillaaktion von Anwohnern unterstützt hatte, Roma-Familien von der Trinkwasser- und Stromversorgung abzuschneiden – zusammen mit dem ehemaligen Jobbik-Abgeordneten György Gyula Zagyva und etwa 60 Anhängern im Viertel auf (Roma-Pressezentrum, übernommen von HVG und atv).

Sie erklärten den Anwohnern, sie nähmen auf der Suche nach einem Drogendealer eine „Ortsbegehung“ vor und riefen die Polizei. Diese nahm lediglich die Personalien der von den Anwohnern zur Deeskalation herbeigerufenen Mitglieder des „Komittees gegen die Aussiedlung“ auf. Ob der angeblich gesuchte Drogendealer gefasst wurde, ist nicht bekannt.

„Ortsbegehungen” werden von den Miskolcer Behörden die zweiwöchentlichen Razzien im Viertel genannt, bei denen meistens keine Kriminelle verhaftet, sondern in erster Linie Meldedokumente kontrolliert werden. Bei dieser „Ortsbegehung“ handelte es sich jedoch um eine reine Jobbik-Aktion, von der auch die Behörden nicht informiert waren. Eine ähnliche Aktion hatte György Gyula Zagyva bereits Ende März in Ózd durchgeführt.

[Update 16.6.: Wie atv berichtet, hatten Jobbik sich bei der „Ortsbegehung“ auch Zutritt zu Wohnungen verschafft und „Kontrollen“ vorgenommen. Jobbik-Stadtrat Jakab erklärte der Presse, man solle den Bewohnern keine Wegziehprämien zahlen, sondern ihnen die  Mietverträge kündigen und das Viertel räumen, da dort Stromdiebstahl sehr verbreitet sei.]

Die Aktivisten des Anwohnerkomittees sehen die Aktion als Stimmungmache und tatkräftige Unterstützung der von den Fidesz-Stadtvätern kürzlich gestarteten Unterschriftenliste zur Beseitigung ihres Viertels.

Warum soll ausgerechnet dieses Viertel weichen? In den ungarischen Medien wird es bisher nur am Rande erwähnt, doch unmittelbar neben dem Viertel soll bis 2016 ein neues Milliardenprojekt entstehen.

(Jobbik-„Elendstouristen“ belästigen und filmen Anwohner. Bilder: Roma-Pressezentrum (steht auf der Schwarzen Liste der von der ungarischen Regierung als “politisch problematisch” betrachteten NGOs).

[Update 16.6.: Wie im Bericht von atv zu sehen, ist der Uniformierte mit Kamera in vorderster Front der rechtsextreme Bürgermeister von Érpatak, Mihály Zoltán Orosz, vgl. swr-Bericht). Er handelt hier klar in Amtsanmaßung.]

Luxusstadion Diósgyőr

Bis Sommer 2016 soll das Miskolcer Fußballstadion Diósgyőr zu einem überdachten Stadion der maximalen UEFA-Kategorie 4 mit 15 000 Plätzen ausgebaut werden, das auch für die Austragung hochkarätiger internationaler Wettbewerbe geeignet ist (wie Champions League, wiki). Baubeginn ist in der ersten Jahreshälfte 2015, Kosten 4,5 Mrd. Ft (ca. 14,7 Mio. EUR). (Borsod Online)

Ein Kriterium der UEFA-Kategorie 4 sind Parkplätze für mindestens 400 Busse in der Nähe des Stadions. Das Ende des Viertels „Nummerierte Straßen“ liegt genau dort, wo laut der Pläne die Parkplätze des Stadions sein werden.

Das Stadion aktuell (stadionwelt.de):

120

Das Armenviertel unmittelbar neben dem Stadion (Vasarnapi Hírek), Google Street View hier:

miskolc_szamozott

Lage von Stadion und Armenviertel (Google Maps):

miskolc_szamozott4

Die „nummerierten Straßen“ markiert: miskolc_szamozott_2

Entwurf des neuen Stadions, die höheren Gebäude links davon wirken wie Neubauten:

dvtk_stadion_latvanyterv_1

Rot markiert der Parkplatz für die Fans der heimischen Mannschaft; links schließt sich unmittelbar das Viertel an, das erste Haus rechts in der Tizedik u. ist abgerissen:

miskolc-stadion

[Update 16.6.: Der Zusammenhang der geplanten Räumung des Viertels zum Stadionbau wird auch bei RTL Klub erwähnt, das seit der Verabschiedung der Reklamesteuer letzte Woche täglich regierungskritische Nachrichten sendet. (Video) ]

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