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Freier Meinungsäußerung entgegensteuern

22. Juni 2014

Bleiben zur Information und Mobilisierung der Bürger immer noch soziale Netzwerke – doch die Mediensteuer soll laut L. Simon auch auf soziale Netzwerke ausgedehnt werden. Und wie es um die Datensicherheit der ungarischen Internet- und Handynutzer bestellt sein wird, wenn die Telekom langfristig quasi zum Staatsprovider avanciert, ist abzuwarten.

Der folgende Artikel erschien stark gekürzt in der Jungle World Nr. 25, 19. Juni 2014, hier die Langfassung.

Freier Meinungsäußerung entgegensteuern.

In Ungarn wird die Pressefreiheit von der Regierung weiter eingeschränkt. Von pusztaranger

Proteste für die Pressefreiheit in Budapest

Am Pfingstmontag demonstrierten in Budapest mehrere tausend Menschen für die Pressefreiheit. Anlass war die Entlassung des Chefredakteurs des unabhängigen Nachrichtenportals Origo nach regierungskritischen Berichten, sowie die geplante Einführung einer hohen Reklamesteuer für kommerzielle Medien, die dann am Dienstag vom Parlament mit 144 von 199 Stimmen bei 30 Gegenstimmen verabschiedet wurde. Im Vorfeld hatten oppositionelle und erstmals auch regierungsnahe Medien mit weißen Seiten bzw. 15 Minuten Sendepause protestiert; die Nachrichtenredaktion von Origo trat aus Protest geschlossen zurück.

Der Origo-Telekom-Skandal

Origo hatte überhöhte Hotelrechnungen von Auslandsreisen von Kanzleramtsminister János Lázár, Orbáns Nr.2, aufgedeckt und auf Akteneinsicht geklagt. Diese ersparte sich Lázár, indem er die zwei Millionen Forint (ca 7000 EUR) an den Staat zurücküberwies. Auf Origo war wegen regierungskritischer Berichte schon früher politischer Druck ausgeübt worden; den Ausschlag für die Kündigung des Chefredakteurs gab laut Medienberichten, dass Origo die Anzeige gegen Lázar kurz vor den Wahlen gestellt hatte.

Origo.hu gehört der Ungarischen Telekom, diese wiederum mehrheitlich der Deutschen Telekom. Auf Medienanfragen und nach einen Shitstorm auf ihrer Facebook-Seite erklärte diese, personelle Veränderungen bei Origo seien Resultat interner Umstrukturierungen gewesen, auf die man zu keiner Zeit Einfluss genommen habe. Die Ungarische Telekom wies jede politische Einflussnahme zurück.

Kurz darauf erklärte János Lázár, bis 2018 solle jeder ungarische Haushalt Zugang zu mobilem Breitbandinternet bekommen. Im Februar hatten Telekom-Chef Timotheus Höttges und Viktor Orbán eine strategische Partnerschaft zum Breitbandausbau in Ungarn unterzeichnet. Zudem hat die ungarische Regierung Ende Mai überraschend und ohne Begründung die Preise für die aktuell ausgeschriebene Mobilfunkfrequenz 1800 Mhz, auf die die Magyar Telekom sich bewirbt, um die Hälfte gesenkt. Laut Medienberichten ist die Magyar Telekom eines der wenigen Unternehmen, mit deren Vorsitzenden Orbán sich regelmäßig trifft, vier Mal in den letzten drei Jahren. Die Kontakte vertieften sich seit April letzten Jahres, nachdem die Gründung eines neuen staatlichen Mobilfunkanbieters gescheitert war.

Reklamesteuer

Die am 10.6. verabschiedete Reklamesteuer wird auf den Umsatz – nicht den Gewinn – kommerzieller Medien erhoben. Ab 1,6 Millionen Euro Umsatz fallen 10 bis 30 Prozent Steuern an, bei über 65 Millionen Euro Umsatz bis zu 40 Prozent. Dies ist zugeschnitten auf den Umsatz von RTL Klub, dem größten Privatsender in Ungarn, im Besitz der deutschen Bertelsmann AG, laut Medienberichten das einzige betroffene Medium, für das 40 Prozent Steuer anfallen.

RTL Klub, mittlerweile das letzte von der Regierung unabhängige große Medium, wird von Fidesz und Jobbik seit 2010 wegen seiner Trashformate torpediert; in diesem Sinne deutet die ungarische Regierung jetzt die Pressefreiheit um.

Keine Pressefreiheit für Boulevardmedien

János Lázár erklärte kürzlich, RTL bedrohe das Land, betrüge die Zuschauer und die Politiker. “Es wäre besser, sie tun das zu Hause in Deutschland, nicht in Ungarn”, zitiert ihn der Pester Lloyd.

Ähnlich äußerte sich der Vizepräsident des ungarischen Parlaments Gergely Gulyás (Fidesz) im Staatsfernsehen: Die Reklamesteuer betrachte er “als eine Art Gesundheits-Produktsteuer” – also wie auf Zigaretten und Alkohol -, denn die zwei privaten Fernsehsender (RTL-Klub und TV2) verursachten “große gesellschaftliche Schäden.” (Wie die unabhängigen Medien hämisch berichten, hatte er sich 2011 noch eine Freikarte für das Finale der RTL-Castingshow X-Faktor erbeten.)

Eingereicht wurde der Gesetzesentwurf zur Reklamesteuer vom ehemaligen Staatssekretär für Kultur László L. Simon (Fidesz), als parlamentarischer Staatssekretär des Kanzleramtes Lázár mittlerweile direkt unterstellt. L. Simon erklärte, die Pressefreiheit sei durch die Reklamesteuer nicht gefährdet, da 90% der oppositionellen Medien nicht von ihr betroffen seien, weil sie das steuerpflichtige Umsatzminimum von 1,6 Mio. Euro gar nicht erreichten.

Seit der Wahl Orbans zum Ministerpräsidenten 2010 hat sich die Situation der oppositionellen Medien dramatisch verschlechtert. Ihre Werbeeinnahmen sind drastisch eingebrochen, da sie keine staatlichen Werbeaufträge mehr bekommen; ebenso bekommen Unternehmen, die in ihnen werben, keine staatlichen Aufträge mehr. Aufgrund der katastrophalen Situation der oppositionellen Medien rangiert Ungarn auf der Rangliste der Pressefreiheit 2014 von Reporter ohne Grenzen auf Platz 64, weit abgeschlagen hinter den Ländern der Region, noch hinter Serbien und Moldawien.

Zudem, so L. Simon, beziehe die Pressefreiheit sich nicht auf Boulevardmedien: Reality-Soaps und Hodenstraffungen von Promisportlern seien “keine Frage der Pressefreiheit”. (Oppositionelle Medien erinnern genüsslich daran, wie L. Simon als Poet 2003 vor seinem Aufstieg bei Fidesz in einem Gedicht die „Ärsche zerfickter jüdischer Nutten“ besungen hatte.)

Die Erwartungen an das 2010 verabschiedete – und international heftig kritisierte – Mediengesetz, das qualitative Niveau bei den Privaten zu heben, hätten sich nicht erfüllt, so L. Simon; die Nachrichtensendungen der Privaten seien weiterhin von Verbrechen, Unfällen und Katastrophen dominiert, und die Sender verstießen laufend gegen das Mediengesetz, was Jobbik im Parlamentsausschuss für Medien ständig auf der Tagesordnung gehalten habe.

Demnach kam die Reklamesteuer zustande, weil der Regierung die Nachrichteninhalte der Privaten nicht goutiert, und auf Druck von Jobbik.

RTL wehrt sich mit regierungskritischen Nachrichten

Überraschend schlägt RTL Klub jetzt zurück und sendet seit dem 11.6. neben den üblichen Boulevard-News journalistisch korrekte regierungskritische Nachrichtenbeiträge, so in den Abendnachrichten vom 11.6. einen Beitrag zu den Machenschaften des Bürgermeisters von Viktor Orbáns Heimatort Felcsút, Lörinc Mészáros. Er ist den letzten Jahren vom einfachen Gasinstallateur auf Platz 88 der Liste der reichsten Ungarn aufgerückt; die Einnahmen seiner Baufirma, die auch das 3600-Plätze-Stadion neben Orbáns Haus in Felcsút baute und laufend staatliche Aufträge erhält, steigerten sich im Zeitraum 2006-2013 um das 500fache, so RTL Klub. Auch die Traffikkonzessionen für die Filialen der größten Hypermarkt-Kette erhielten ausschließlich Mészáros nahestehende Unternehmer und Firmen. Zudem pachtet Mészáros über 1000 Hektar staatliche Anbauflächen. Sein Amt als Bürgermeister versieht der persönliche Orbán-Freund ehrenamtlich, seine Einkommenserklärung wird den Medien nicht herausgegeben. Laut der Tageszeitung Népszabadság verdient das Ehepaar Mészáros 2014 2,6 Mio. Euro an ihrer Firma, für die lediglich 16% Einkommensteuer anfallen.

Am Freitag schließlich berichtete RTL Klub vom Vorhaben der Oppositionspartei DK, die Einkommensverhältnisse von Orbáns Vater, Győző Orbán, untersuchen zu lassen. Das Kanzleramtsministerium verurteilte dies unmittelbar als »unakzeptablen Rachefeldzug gegen die Regierung«, weil »man in Ungarn Steuern zahlen« müsse.

Welche Pressefreiheit?

Wie es um die ungarische Pressefreiheit mittlerweile bestellt ist, zeigt die Tatsache, dass auf den Titelseiten der unabhängigen Online-Medien, deren Freiheit die Demonstration verteidigen wollte, am Pfingstmontag vor Demobeginn keine Hinweise dazu zu finden waren; eine Last-Minute-Mobilisierung für Ahnungslose und Kurzentschlossene wurde somit wirksam unterbunden.

Bleiben zur Information und Mobilisierung der Bürger immer noch soziale Netzwerke – doch die Mediensteuer soll laut L. Simon auch auf soziale Netzwerke ausgedehnt werden. Und wie es um die Datensicherheit der ungarischen Internet- und Handynutzer bestellt sein wird, wenn die Telekom langfristig quasi zum Staatsprovider avanciert, ist abzuwarten.

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