Viktor Orbán in der Ukraine, Ungarns ukrainische EU-Abgeordnete
Bei einem Besuch in Berehowe/Ukraine am 26.9. stellte Viktor Orbán den Ungarn in der Karpatenukraine weitere Unterstützungen durch die ungarische Regierung in Aussicht. Dank Fidesz haben sie „ihre eigene Vertretung in der EU“: Bei den Europawahlen hatte Fidesz erstmals Auslandsungarn aus den Nachbarländern aufgestellt, so auch aus den Nicht-EU-Ländern Ukraine und Serbien. Die „einzige ukrainische EU-Abgeordnete“ Andrea Bocskor will sich in den nächsten fünf Jahren vor allem für ihre Landsleute einsetzen.
Am 26.9.2014 reisten Viktor Orbán, Vizepremier Zsolt Semjén, der im Amt des Ministerpräsidenten für die Auslandsungarn zuständige Staatssekretär Árpád János Potápi und der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Außenpolitik Zsolt Németh zum Festakt des Semesterauftakts der ungarischsprachigen Ferenc Rákóczi II. Hochschule in Berehowe/Beregszász in der Ukraine an. (Index) Unter anderem besichtigte die ungarische Regierungsdelegation die zum Großteil aus ungarischen Steuergeldern frisch renovierte Hochschule (Karpatalja.ma).
(Ungarische Blogs mokierten sich über die hohe Anzahl an Bodyguards. Foto vipera.balladium.hu / karpatalja.ma)
Die frisch renovierte ungarische Hochschule:
(Fotos: Staatliche Nachrichtenseite)
Volkskörper
In seiner Rede auf dem Festakt der Hochschule stellte Orbán den Ungarn der Karpatenukraine weitere Unterstützungen in Aussicht. Unter anderem sagte er:
„Im Hinblick auf die Ukraine ist die Sicherheit der Ungarn in der Karpatenukraine für Budapest das Wichtigste. Denn wir Ungarn glauben, dass die unterschiedlichen, in andere Länder abgerissenen und ausgewanderten Mitglieder der Nation die Teile eines einzigen Körpers bilden. Wenn eines der Glieder leidet, fühlen es auch alle anderen, und arbeiten auf eine Heilung zu. Ich sehe es so, dass das heutige Leben der Ungarn in der Ukraine eine stumme Volksabstimmung für den Frieden ist, weshalb wir jede Maßnahme und Initiative begrüssen, die den Interessen der Ungarn in der Karpatenukraine dient, und sprechen uns gegen jedwede Sanktion aus, die Ihr Leben noch schwerer macht.“ (Quelle)
Wohlgemerkt hat die ungarische Regierung der Ukraine und damit der Karpatenukraine am 26.9. den Gashahn zugedreht, vgl. Deutschlandfunk.
Zu den Mitgliedern der ungarischen Nation als Glieder eines einzigen Körpers vgl. Wikipedia „Volkskörper“:
„(…) diente (…) im politischen Sprachgebrauch als Metapher, die ein organizistisches und biologistisches Verständnis von „Volk“ und Gesellschaft ausdrückte. Sie wurde in Deutschland während des 19. und 20. Jahrhunderts vor allem in antisemitischen und rassenhygienischen Texten benutzt, um das als biologische und rassische Einheit konzipierte „Volk“ semantisch gegenüber sogenannten „Parasiten“, „Schädlingen“ und „Krankheiten“ abzugrenzen.“
Ein aktuelles Beispiel ist Parlamentspräsident László Kövérs (Fidesz) Rehabilitierung der antisemitischen Fabel des Blut-und-Boden-Dichters Albert Wass, „Die Landnahme der Ratten“.
Die Finanzierung der Renovierung der Hochschule durch die ungarische Regierung war im Frühling 2013 beschlossen worden. „Diese Vereinbarung wurde von den Ungarn im Mutterland und der Karpatenukraine im April (Parlamentswahlen) gemeinsam besiegelt“, so Orbán. „Wir Ungarn haben mit dem Wahlergebnis ausgesprochen, dass wir den Weg der Selbstachtung und des Zusammenhalts statt den der Kleingläubigleit und der Zersplitterung wählen. Und seit Mai (Europawahlen) kann man nach Beregszász nicht nur aus Budapest, sondern auch aus Brüssel blicken, die Ungarn der Karpatenukraine haben bereits ihre eigene Vertretung in Europa“, so Viktor Orbán. (Quelle)
Auslandsungarn aus Nicht-EU-Staaten im Europaparlament
Bei den Europawahlen hatte Fidesz erstmals Kandidaten aus den Nachbarländern aufgestellt, so auch aus den Nicht-EU-Ländern Ukraine und Serbien (wobei davon auszugehen ist, dass sie zuvor die ungarische Staatsangehörigkeit angenommen hatten).
Die über die sog. „nationale Liste“ gewählte Fidesz-Vertreterin der Ungarn aus der Ukraine im EU-Parlament ist Andrea Bocskor, stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung, sowie unter anderem Mitglied der Delegation im Ausschuss für parlamentarische Kooperation EU-Ukraine und Stellvertreterin der Delegation im Ausschuss für parlamentarische Kooperation EU-Russland. Aktuell nimmt sie in den regierungsnahen ungarischen Medien Tibor Navracsics vor der internationalen Kritik in Schutz.
Vertreter der Ungarn aus Serbien ist Andor Deli, u.A. Mitglied der Delegation für den Parlamentarischen Stabilitäts- und Assoziationsausschuss EU-Serbien.
„Die einzige ukrainische EU-Abgeordnete“
„Dank der Nationalen Liste von Fidesz bei den Europawahlen ist auch die Karpatenukraine in der Gesetzgebung der EU vertreten“, heißt es in der Anmoderation eines aktuellen Interviews des regierungsnahen HírTV mit Bocskor (Video s.u.): „Was für die Ungarn in der Ukraine gut ist, ist auch gut für die Ukraine, erklärt Andrea Bocskor (…), die einzige Europaabgeordnete ukrainischer Staatsangehörigkeit (sic) (…).“
Sinngemäß sagt Bocskor hier, die Reaktionen der ukrainischen Öffentlichkeit auf ihre neue Position seien in erster Linie positiv gewesen, auch die der Ungarn in der Ukraine. Ihr Ziel für die nächsten fünf Jahre in den Ausschüssen und Delegationen des Europaparlaments sei es, die Situation der Ungarn in der Karpatenukraine positiv voranzutreiben und sich zu Themen und Fragen zu Wort zu melden, die auch die Ukraine betreffen, „denn was gut für die Ungarn in der Karpatenukraine ist, ist auch für die Bevölkerung der ganzen Ukraine gut, und umgekehrt.“ Sie hofft, in fünf Jahren sagen zu können, „dass ich für meine Gemeinschaft erfolgreich war.“
Auf die Frage, wie sie als Ukrainerin, die für Ungarn im EU-Parlament sitzt, mit den unterschiedlichen Erwartungen umgeht, die von beiden Staaten an sie herangetragen werden, sagt Bocskor, sie versuche, sie miteinander zu vereinbaren. „Es war von Anfang an klar, dass ich den Ansprüchen einer Doppelfunktion gerecht werden muss, einerseits an die Interessen von Fidesz/KDNP gebunden bin, was jedoch andererseits den heimischen Interessen bislang nicht zuwiderläuft.“ Und bei Rechtsverstößen gegen die Ungarn in der Karpatenukraine könne man nun entschiedener auftreten; so hätten mehrere EU-Abgeordnete gegen das Vorhaben der ukrainischen Regierung protestiert, den ukrainischen Wahlbezirk mit ungarischer Mehrheit aufzulösen (vgl. Pester Lloyd). Insgesamt ergänzten ihre beiden Funktionen einander.
Auf die Frage, was die Ungarn in der Karpatenukraine von der EU erwarten, sagt sie, die EU stelle für die Ukraine das „Land der Möglichkeiten“ dar. Die Visumfreiheit für ukrainische Staatsbürger wäre wichtig, damit auch für die Ungarn in der Karpatenukraine der Weg nach Europa frei werde, wegen der Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten, die zu Hause kaum gegeben seien.
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Auch bei den ungarischen Rechtsextremen steht das Thema Ukraine weiter hoch im Kurs:
„Der russische Bär stürzt Trianon um“
Die Krise in der Ostukraine könne eine gute Gelegenheit für die Autonomie Transkarpatiens und sogar einer Grenzrevision bieten, lautete der Tenor einer Veranstaltung des Jugendverbandes des Demokratischen Bundes der Ungarn in der Ukraine (UMDSZ) im Budapester Sitz des rechtsextremen Weltverbandes der Ungarn Mitte September, an der auch die Rechtsextremen György Budaházy und der ehemalige Jobbik-Abgeordnete Tamás Gaudi-Nagy teilnahmen. Nach der „verpassten Gelegenheit der südslawischen Krise“ (Jugoslawienkrieg) sei nunmehr eine neue Möglichkeit gekommen, „die Mauern von Trianon einzureissen“; „der russische Bär hat den Zaun umgeworfen, die Ungarn müssen nur noch durchspazieren“, so Budaházy. Der UMDSZ distanzierte sich im Vorfeld von der Veranstaltung. (Index)
(Kárpátalja ist Ungarisch für Karpatenukraine, Foto: Index)
(Der Jobbik-EU-Abgeordnete Béla Kovács (seit der Spoinageaffäre „KGBéla“), der bis vor Kurzem ein eigenes Büro in Beregszász unterhielt, und der damalige Bürgermeister von Beregszász István Gajdos weihen 2011 das Ortsschild in Széklerrunen ein (Quelle).
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