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„Von einem Romaghetto ins nächste“: Zwangsräumung in Miskolc (Fotoreport)

3. Oktober 2014

Die Stadt Miskolc löst derzeit ihre Romasiedlungen auf: „Wir führen den Kampf gegen die Ghettokultur unter allen Umständen zu Ende!“, so der Fidesz-KDNP-Fraktionsvorsitzende vor dem Abrissbagger. Für die Stadt benötigen Roma keine menschenwürdige Unterkunft und sollen langfristig die Stadt verlassen – so die Message des folgenden Fallberichts von abcug.hu, Fotos von András D. Hajdú. — Plus Veranstaltungstip: Am 8.10. kommt der Roma-Bürgerrechtler Aladár Horváth nach Leipzig. 

Miskolc räumt seine Romasiedlungen, s.Pester Lloyd: Ethnische Säuberung zur „Stadtverschönerung“: Behörden in Ungarn beginnen mit Zwangsumsiedlung von Roma und PBS: Fearing eviction, Hungary’s Roma wonder ‘are we next?’.

Aus dem Békeszálló-Viertel werden die Familien nach und nach geräumt und ihre baufälligen Häuser abgerissen; anders als beim Viertel „Nummerierte Straßen“, das gerade dem Bau des neuen Luxusstadions weichen muss, war hier von Wegzugprämien nie die Rede.

[Update 5.10.: Laut aktueller Quellen aus Miskolc wird mittlerweile auch dort ohne Wegziehprämien oder Ersatzwohnungen zwangsgeräumt.]

Die Familie Horváth, die seit 18 Jahren dort wohnte, bekam im September einen fristlosen Räumungsbescheid wegen Baufälligkeit; sie wußten nicht, wohin, dann stellte die Stadt ihnen eine andere Sozialwohnung für drei Monate. Sie bekamen einen Schlüssel und eine Adresse.

Lajos und Kata Horváth leben zusammen mit einer erwachsenen Tochter, zwei minderjährigen Söhnen und drei Enkeln, der kleinste noch ein Säugling. In der Wohnung im Békeszálló-Viertel herrschten sehr beengte Verhältnisse, aber Kata sagt, sie kamen zurecht. Die Eltern schliefen in der Küche, die Söhne auf dem Sofa im Wohnzimmer, die Tochter mit den Enkeln in einem eigenen Zimmer.

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Lajos, gelernter Maurer, und Kata arbeiten beide im öffentlichen Beschäftigungsprogramm und verdienen zusammen nur 106 000 HUF (ca. 340 EUR) im Monat (womit ihr Familieneinkommen knapp über dem Mindestlohn (101.500 HUF) bzw. unter dem Mindestlohn für Facharbeiter (118.000 Ft) liegt).

Der älteste Sohn Lajos besucht die 9. Klasse der Facharbeiterschule für Gastronomie. Im Sommer suchte er vergeblich nach einem Praktikumsplatz, er wurde nirgends genommen. Nicht einmal für die 20 Tage, die die Schule als Minimum für die Versetzung fordert. „Überall hieß es, wäre ich nur gestern gekommen, alle Plätze sind schon weg.“ Seine Mutter vermutet, dass man ihn als Roma nicht nehmen wollte.  Er schloss das Schuljahr mit einem guten Notendurchschnitt ab, doch nun muss er die 9. Klasse trotzdem wiederholen.

Der jüngere Sohn Sanyi sorgt sich, wie er von der neuen, weit entfernten Wohnung in Zukunft zur Schule kommen soll, wahrscheinlich wird er eine Monatskarte (3900 HUF, ca. 12,50 EUR) brauchen.

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Die neue Wohnung befindet sich im Hinterhof eines unbewohnten Hauses mit zugemauerten Fenstern; in dem Komplex wurden seither wieder neue, ebenfalls zwangsgeräumte Mieter provisorisch untergebracht. „Du lieber Himmel, von einem Romaghetto (cigánytelep) ins nächste“, sagte Kata.

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Bei der neuen Wohnung handelt es sich um eine Einzimmerwohnung mit Küche, WC und Bad, ähnlich der alten. Doch sie ist völlig heruntergekommen, der Garten voller Müll. Eigentlich unbewohnbar. Laut der Nachbarn mussten die Vormieter gehen, weil sie das Haus so heruntergewirtschaftet hatten.

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„Wir führen den Kampf gegen die Ghettokultur unter allen Umständen zu Ende!“, sagt der Fidesz-KDNP-Fraktionsvorsitzende im Miskolcer Gemeinderat János Kiss vor dem Abrissbagger im Békeszálló-Viertel.

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(Gekürzte und ergänzte Version des Originalartikels auf abcug.hu, Fotos András D. Hajdú.)

Der Roma-Bürgerrechtler Aladár Horváth bezichtigt die Stadtregierung nicht nur der „Vetreibung der Armen“, sondern einer „ethnischen Säuberung“ (Pester Lloyd).

*

Am 8.10. kommt Aladár Horváth nach Leipzig.

Veranstaltungstip:

„Roma im heutigen Ungarn – auf der Suche nach Freiheit und Demokratie“

Diskussion mit Aladár Horváth und Magdalena Marsovszky (deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin), Moderation Petra Čagalj Sejdi (Vorstand Romano Sumnal e.V. und Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen Leipzig).

Mittwoch, 8. Oktober, 19.00 Uhr, Erich Zeigner Haus, Zschochersche Straße 21, 04229 Leipzig.

„Wie leben Roma in Ungarn? Welchen Vorurteilen und Stereotypen werden sie ausgesetzt? Warum trägt die ungarische Regierung so viel zur Unterdrückung bei? (Wie) hilft die EU? Und wie kann die Minderheit in Ungarn und Europa gestärkt werden?

Vor dem Hintergrund des 9. Oktobers und der Einladung des ungarischen Präsidenten als Ehrengast zum Leipziger Lichtfest, möchten wir am 08.10.2014 um 19.00 gemeinsam mit dem ungarischen Bürgerrechtler und Rom Aladár Horváth und der deutsch-ungarischen Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky über diese und andere Fragen sprechen.“ (Facebook)

3 Kommentare leave one →
  1. 3. Oktober 2014 09:54

    Hat dies auf Sascha's Welt rebloggt und kommentierte:
    Leider ist hierzulande über das profaschistische Regime Ungarns nur wenig bekannt. Nicht nur die Verhältnisse in Budapest (mit Schlangen vor kostenlosen Armenspeisungen), auch die Verfolgung und Vertreibung der ungarischen Sinti und Roma ist so ein grauenvolles Kapitel, das an die deutsche Judenverfolgung während der Nazizeit erinnert! Danke für den wichtigen Beitrag!

  2. 3. Oktober 2014 11:44

    Hat dies auf ARTBRUT rebloggt.

Trackbacks

  1. dROMa-Blog | Weblog zu Roma-Themen | Ungarischer Roma flüchten in die Schweiz

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