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Lichtfest Leipzig 2014: Proteste gegen den Demokratieabbau in Ungarn

16. Oktober 2014

Die Anwesenheit des ungarischen Staatspräsidenten János Áder auf dem Lichtfest Leipzig 2014 wurde nicht vollkommen kritiklos hingenommen. Ein Bündnis aus verschiedenen Vereinen, den Leipziger Grünen und der Satiregruppe Front Deutscher Äpfel rief zu Protesten auf und bemühte sich, über die Situation in Ungarn aufzuklären.  Ein Lokalbericht.

Etwas Kritik am Rande

Leipzig feiert die Demokratie. Als Ehrengast mit dabei: Ungarns Präsident János Áder

Gastpost von Thyra Veyder-Malberg, Links PR.

Am 9. Oktober wurde in Leipzig mit viel Tamtam das 25-jährige Jubiläum der friedlichen Revolution gefeiert. Zu diesem Anlass war nicht nur Bundespräsident Joachim Gauck nach Leipzig gereist, um den Mut der 70.000 Demonstranten zu würdigen, die damals für mehr Freiheit auf die Straße gingen, auch eine Reihe illustrer ausländischer Gäste war gekommen: Die Staatspräsidenten Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns – Bronislaw Komorowski, Milos Zeman, Andrej Kiska und János Áder waren da und trugen sich sehr zur Freude von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung in das goldene Buch der Stadt ein.

Festakt "25 Jahre friedliche Revolution" - Eintag ins Goldene Buch
(Foto © Jens Schlüter / Stadt Leipzig)

Weder Bundespräsident Joachim Gauck, der sich gerne als kritischer Mahner gibt, noch Ministerpräsident Stanislav Tillich oder Gastgeber Jung fühlten sich bemüßigt, an diesem Festtag für die Demokratie den Demokratieabbau in Ungarn anzusprechen. Das hätte wohl die festliche Stimmung ruiniert. Dennoch wurde Áders Anwesenheit in Leipzig nicht vollkommen kritiklos hingenommen. Ein Bündnis aus verschiedenen Vereinen, den Leipziger Grünen und der Satiregruppe Front Deutscher Äpfel (wiki) rief zu Protesten auf und bemühte sich, über die Situation in Ungarn aufzuklären.

So hatte es bereits am Vorabend des Lichtfestes zwei Veranstaltungen zum Thema Ungarn gegeben. In der alten Nikolaischule diskutierten auf Einladung des Vereins Leipzig Korrektiv der ungarische Schriftsteller György Dalos und die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky  über den Zustand der ungarischen Gesellschaft 1989 und heute. Beide waren der Ansicht, dass die antidemokratischen Tendenzen, die sich heute bemerkbar machen, keine Überraschung sind, sondern schon länger in der Gesellschaft angelegt waren.

Dalos beklagte, Ungarn sei bereits in den 90ern eine „Demokratie ohne Demokraten“ gewesen. Zudem habe sich über in den vergangenen Jahren eine Hasskultur etabliert, die den Dialog zwischen den politischen Lagern unmöglich mache. Marsovszky erzählte, dass ihr bereits 1989 in Ungarn rassistische und antisemitische Tendenzen aufgefallen waren, die sich seither nur verfestigt hätten. Sie nannte die neue Verfassung, besonders das „nationale Glaubensbekenntnis“, das ihr vorangestellt ist, „völkisch“ und zeigte den darin enthaltenen Ethnonationalismus auf. Uneins waren sich die beiden über die Frage, ob es Órbán mit seiner ethnonationalistischen Agenda ernst ist oder ob er diese nur als Mittel zum Zwecke des Machtgewinns benutzt.

Kurze Zeit später informierte der ungarische Bürgerrechtler  Aladár Horváth im Erich-Zeigner-Haus über die Situation der Roma in Ungarn.  Gastgeber waren hier der Erich-Zeigner-Haus e.V. und der sächsische Romaverein Romano Sumnal e.V. Magdalena Marsovszky fand sich hier in einer Doppelrolle wieder: Zum einen dolmetschte sie für Horváth, zum anderen gab sie auch inhaltlichen Input: Sie forscht seit Jahren zum Thema Antiziganismus.

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(v.l.: Aladár Horváth, Moderation Petra Čagalj Sejdi (Vorstand Romano Sumnal e.V. und Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen Leipzig), Magdalena Marsovszky. Foto: Leipzig Korrektiv)

Horváth, der selbst Rom ist und bei den vergangenen Parlamentswahlen Kandidat der Roma Partei Ungarns (MCP – Magyarországi Cigány Párt) war, erzählte dem immer entsetzter dreinschauenden Publikum von der mangelnden politischen Repräsentation der größten Minderheit des Landes, von deren faktischem Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt, von Schikanen der lokalen Behörden, von Armut und Hunger. Aber auch er glaubt nicht daran, dass die Regierung aus Überzeugung rassistisch ist. Der Rassismus sei, vermutet Horváth, ein Mittel, um die Umverteilung von unten nach oben zu rechtfertigen. Den Zuhörern fiel es schwer zu glauben, dass in einem EU-Mitgliedstaat im Jahr 2014 derartige Zustände herrschen.

Etwas lustiger ging es dann am Jahrestag der friedlichen Revolution selbst zu: Ungarns Präsident János Áder wurde vor dem Leipziger Gewandhaus nicht nur von Gastgeber Burkhard Jung in Empfang genommen, sondern auch von einer Delegation der Satiregruppe Front deutscher Äpfel und deren ungarischem Pendant, der Magyar Foghagymafront (ungarische Knoblauchfront). „Wir sind wahre Ungarn“ behaupteten sie auf einem Transparent, während einer ihrer Führer die Regierung Orbán als „zu lasch“ kritisierte.

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(Fotos: Leipzig Korrektiv)

Abends auf dem Lichtfest, bei dem nach Veranstalterangaben rund 200.000 Besucher die Demonstrationsroute von ’89 abliefen und dabei verschiedene Lichtinstallationen bewunderten, waren Apfel- und Knoblauchfront wieder dabei und sorgten für einige Irritation bei den Passanten. Zudem gab es einen kleinen Infostand der Leipziger Grünen, der über die Situation in Ungarn informierte, und viele Bürger in Gespräche verwickelte.  Auch die Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns, die bereits im September 1989 als eine der Ersten in Leipzig demonstrierte (Spiegel.de), war mit dabei, um ein Zeichen gegen den Demokratieabbau in Ungarn zu setzen und betonte: „Ich finde es unheimlich wichtig, dass das hier (das Lichtfest) auch einen aktuellen Bezug hat und nicht nur Erinnerungsgesülze ist“.

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(Leipzig Korrektiv)

Flyer der FDÄ zum 9. Okt.

(Front Deutscher Äpfel)

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