Medienbehörde kassiert Frequenz? Das freie Budapester Tilos Radio vor dem Aus
Das freie Budapester Tilos Radio steht nach 23 Jahren vor dem Aus: Die Medienbehörde hat den Antrag auf Wiedervergabe seiner Frequenz aus „formellen Gründen“ abgelehnt – die leeren Rückseiten des 467 Seiten-Antrags waren nicht mit eingescannt worden. Sollte die Frequenz in der aktuellen Ausschreibung dem kommerziellen, fidesz-nahen Mitbewerber zugeteilt werden, ist für Tilos am 1.1.2015 Sendeschluss.
[Update 3.12.2014: Die Medienbehörde hat Tilos‘ Budapester Frequenz 90,3 MHz bis 6.3.2015 verlängert (Tilos-Facebookseite). Wie es danach weitergeht, ist unklar.]
Wie schon im Fall des ursprünglich landesweit sendenden oppositionellen Senders Klubrádió, dem alle Frequenzen bis auf die Budapester genommen wurden, geht die ungarische Medienbehörde nun mit missverständlichen Frequenzausschreibungen und ihrer nachträglichen willkürlichen Auslegung gegen den freien nonkommerziellen Sender Tilos Rádió vor.
Tilos wurde Anfang der 90er Jahre als Piratensender gegründet, erhielt später eine Frequenz als freies Radio, war aber im rechten politischen Lager immer als unliebsam liberal und „verjudet“ (ein Beispiel hier) verschrien. Unter der ersten Orbán-Regierung wurde ihm einmal die Frequenz aberkannt. Nun ist seine Frequenz Budapest 90,3 MHz wieder abgelaufen und wurde von der Medienbehörde für sieben Jahre neu ausgeschrieben.
Tilos steht schon lange auf der Abschussliste der Regierung; 2011 hatte die damals neu gegründete Medienbehörde wegen eines Stückes des Rappers Ice-T ihr erstes Verfahren gegen Tilos eingeleitet, vgl. n-tv, beatpunk.org.
In der Vergangenheit hatte die Medienbehörde neu gegründeten Fidesz-nahen Firmen ohne Radioerfahrung Frequenzen zugesprochen und altgediente Radiostationen abgedreht (vgl. Post Frequenz des letzten linksliberalen Radiosenders von Strohfirma aufgekauft? 22. Dezember 2011).
Anfang September wurde Tilos von der Medienbehörde von Mängeln in ihrem Antrag um die Frequenz in Kenntnis gesetzt; die notwendigen finanziellen Mittel für den Betrieb des Radios für die ersten drei Monate nach einer etwaigen Frequenzzuteilung seien nicht gesichert (die geforderte Summe wurde darauf von Tilos bereitgestellt; wohlgemerkt sendet es seit 23 Jahren), bzw. den Unterlagen liege keine Bescheinigung bei, aus der hervorgehe, dass die Summe der freien Verfügung durch die Betreiber entzogen sei, d.h. auch wirklich für den Betrieb des Radios aufgewendet würde.
Die Aufforderung zur Nachreichung sowie die Art der geforderten Bescheinigung war weder für die Mitarbeiter der Bank, den eigenen Anwalt noch den Anwalt der Bank eindeutig interpretierbar. Auf Anfrage um genauere Erläuterung teilte die Medienbehörde dem Radio lediglich mit, die nötigen Informationen seien in der Aufforderung zur Nachreichung enthalten.
Wie sich nun herausstellte, lag das eigentliche Problem anderswo:
Die Bewerbungsunterlagen von 467 Seiten mussten in zweifacher Ausführung und eingescannt auf 6 CDs eingereicht werden. Die Behörde erklärte die Bewerbung von Tilos Radio nun aus „formellen Gründen“ für ungültig, weil auf den CDs die leeren, unnummerierten und durchgestrichenen Rückseiten des Antrags fehlten.
Aus ähnlichen „formellen“ Gründen hatte die Medienbehörde bereits 2012 einen Antrag von Klubrádió um die Wiedervergabe einer Frequenz abgewiesen; dort war bemängelt worden, dass die leeren Rückseiten nicht unterschrieben waren, vgl. Hungarian Spectrum.
Im letzten Monat war Tilos Rádió von der Steuerbehörde NAV – gegen deren Leiterin Ildikó Vida die USA laut ungarischen Medienberichten gerade ein Einreiseverbot wegen Korruption verhängt hat (s. ausführlich beim Pester Lloyd und faz.net) – schikaniert worden.
Die Tilos-Betreiber hatten schon früher einen Antrag auf Verlängerung der im November auslaufenden Frequenz gestellt, der auch genehmigt wurde; somit kann Tilos bis Ende des Jahres senden.
Endet die aktuelle Ausschreibung ergebnislos, kann Tilos sich erneut um die Frequenz bewerben. Sollte die Frequenz in der aktuellen Ausschreibung jedoch dem kommerziellen, fidesz-nahen Mitbewerber Gazdaság Rádió („Wirtschaftsradio“) zugeteilt werden, ist für Tilos am 1.1.2015 Sendeschluss.
Gazdasági Rádio sendet derzeit auf Budapest 105.9 MHz; warum es sich auf die Tilos-Frequenz bewarb, ist unklar.
Das weitere Schicksal von Tilos hängt laut Beobachtern auch von gesellschaftlichen Protesten ab.
(Quellen: Blog Republik Schilda (interne Tilos-Mailingliste, 444.hu, tilos.hu, cink.hu) – PR dankt! – , Tilos.hu, cink.hu, Budapest Beacon)
Radio Wüste Welle:
Tilos Radio ist ein langjähriger und geschätzter Partner der Wüsten Welle bei verschiedenen internationalen Medienprojekten. Erst in diesem Monat startete unser neues Jugendprojekt „YouEdiT“, bei dem wir mit Tilos kooperieren. In einem Telefongespräch mit dem Sender konnten wir erfahren, dass Tilos ohne Frage im Internet weitersenden wird. Wenn sie jedoch auf ihrer gewohnten UKW-Frequenz nicht mehr empfangbar sind, müssen sie damit rechnen, einen erheblichen Teil ihrer Hörerschaft zu verlieren. Damit wurde eine weitere Stimme für Freiheit und Demokratie in Ungarn endgültig mundtot gemacht.
Freies Radio Wüste Welle: Tilos Radio Budapest verliert Lizenz: Ein weiteres Opfer der rechts-konservativen Regierung Ungarns, 19.10.2014
Kontakt Tilos Rádió:
- Englische Webseite, radio[at]tilos.hu
- Tilos auf Facebook
- tel: +36 (1) 476-8491 fax: +36 (1) 476-8492
Kontaktadressen der ungarischen Medienbehörde:
- Englischsprachige Webseite; E-mail: info@nmhh.hu
- Pressekontakt: sajto@nmhh.hu
- 24-Stunden-Bereitschaft: fougyelet@nmhh.hu, fougyelet@oihf.hu, ugyelet.nhh@t-online.hu
- Facebookseite von Medienbehörde, Medienrat
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Faschisten im Staatsfunk und freie Konkurenz abdrehen – das paßt zusammen…