Neue Schulbücher II: „Todsünde“ Homosexualität, Roma „deviante Minderheit“
Rassismus gegen Roma und Homophobie in ungarischen (Pflicht)Schulbüchern; auch psychische Krankheiten werden stigmatisiert.
Im April wurde die Liste der von der Regierung empfohlenen Lehrbücher für die staatlichen Schulen veröffentlicht, pro Schuljahr und Fach stehen 2-3 Lehrbücher zur Auswahl. Die Auswahl wird von den Direktoren der 198 Schulbezirke getroffen. Auf der Liste stehen mehrheitlich Bücher von zwei Ende März verstaatlichten Schulbuchverlagen, Apáczai und Nemzedékek Tudása. In einigen der vorgeschriebenen Bücher fanden sich antisemitische und geschichtsrevionistische Inhalte, s. Post Neue Pflichtschulbücher: Glaubwürdiger Hitler, Märtyrertod, 13. April 2014.
Homosexualität als „Todsünde“ und „psychische Krankheit“
Das Lehrbuch „Leben im Glauben“ für den Religionsunterricht der 4. Klasse (nicht Bestandteil der Liste von der Regierung empfohlener Bücher) sorgte bereits letztes Jahr für Schlagzeilen. Darin heisst es: „Homosexuelle Handlungen (…) sind schwere Todsünden.“ (S.79)
Die Autorin Dr. Mária Erdő Fülöpné ist die Rektorin der Katholischen Hochschule Apor Vilmos in Zsámbék und die Schwester des ungarischen Kardinals Péter Erdő. Staatssekretärin für Bildung Rózsa Hoffmann von den Christdemokraten KDNP hatte letztes Jahr aufgrund der Proteste erklärt, auf die Inhalte der von den Kirchen herausgegebenen Schulbücher habe der Staat keinen Einfluss.
Der Verlag des Buches – die St.-Stephan-Gesellschaft, der Verlag des Heiligen Stuhls – gelobte damals Korrekturen; ob diese seither vorgenommen wurden und welche Version 2013/2014 für den Unterricht eingesetzt wurde, ist nicht bekannt.
Homophobe Inhalte finden sich auch in einem Pflichtlehrbuch für Biologie, das Homosexualität als psychische Krankheit im Kontext von HIV/Aids, Geschlechtskrankheiten und Risikoverhalten darstellt, so EUobserver.
“Und das in Biologie, nicht im Religionsunterricht. Das bekommt man in den naturwissenschaftlichen Kernfächern, in dem von der Regierung für den Schulunterricht empfohlenen Buch“, so Tamás Dombos von der NGO Háttér.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Homosexualität 1990 von der Liste psychischer Krankheiten gestrichen.
Das beanstandete Lehrbuch wird bei EUobserver nicht genannt, aber nach der Regierungsliste dürfte es sich um das Biologiebuch 8. Klasse des kürzlich verstaatlichten Verlags Nemzedékek Tudása (s.u.) handeln.
Roma als „deviante Minderheit“
Das Portal vs.hu berichtet von Rassismus gegen Roma als Abiturstoff 2014: Das Schulbuch „Gesellschafts- und Staatsbürgerkunde für Mittelschüler“, – ebenfalls vom kürzlich verstaatlichten Schulbuchverlag Nemzedékek Tudása, Ausgabe 2008 – steht auf der Liste der von der Regierung zur Abiturvorbereitung 2013/2014 empfohlenen Schulbücher. Darin heißt es:
„In Ungarn ist das Phänomen der Subkultur in erster Linie bei der Roma-Minderheit zu beobachten [lies: „Subkultur“ als per se minderwertige Abweichung von der „Mehrheitskultur“]; ihre Lebensweise wird von eigentümlichen Regeln und Gesetzmäßigkeiten bestimmt. 1893 lebten auf dem heutigen Staatsgebiet etwa 65 000 Personen der Nationalität Zigeuner [sic]. Seither hat sich ihre Anzahl um das elffache erhöht. [Der Holocaust an den ungarischen Roma wird ausgeblendet.] 1994 gab es nach Schätzungen 94 Ortschaften (größtenteils kleine Dörfer) mit einem Roma-Anteil von über 25%. Arbeitslosigkeit und deviantes Verhalten sind in viel größerem Maß für die Roma charakteristisch als für die übrigen Bürger unseres Vaterlandes. [Lies „deviante Roma“ vs. „wir patriotische Bürger“].
Kriminalität, Hunger, Prostitution (d.h. deviante Lebensformen) sind der Nährboden von Absonderung und Diskriminierung, und verdienen darum besondere Aufmerksamkeit. [lies: Hunger und Armutskriminalität als „deviante Lebensform“ legitimieren Ausgrenzung und Diskriminierung durch die „Mehrheitsgesellschaft“.] Devianz ist eine Verhaltensform, die von den in der gegebenen Gesellschaft akzeptierten Normen abweicht; sie kann auch als normverletzendes Verhalten bezeichnet werden. Bei sozial benachteiligten Gruppen ist sie überproportional nachweisbar. [Zu deviantem Verhalten] zählen Kriminalität, Selbstmord, Alkoholismus, Drogenkonsum und psychische (…) Krankheiten.“
Auffallend die übergreifende Stigmatisierung auch psychischer Krankheiten als „deviant“.
Laut vs.hu wurde das Buch für das nächste Schuljahr überarbeitet und ergänzt, der rassistische Grundton („Subkultur“ etc.) bleibt jedoch unverändert.
Hat dies auf ARTBRUT rebloggt.
Das ist wirklich eine Schande, dass so etwas in die Schulbücher kommt. Was für armselige Machthaber. Sie müssen große Angst haben vor den von ihnen Diffarmierten.
Was mich bei diesem allerdings Beitrag stört, sind die in Klammern gesetzen, erklärenden Interpretationen für den Leser. Ich bin mündig genug, um einen Text zu erfassen. Manipulation – egal in welche Richtung nützt niemandem wirklich.
Was dort im grauen Kasten steht ist eindeutig eine Verletzung der Menschenwürde. Es ist abstoßend und widerlich.
Hat dies auf inklusionsgerecht rebloggt und kommentierte:
Nicht das irgendwer glaubt, dass diese Haltungen in Deutschland nicht auch weitverbreitetet wäre.