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Seltsame Flugblattaktion des Staatssekretariats für soziale Integration auf der Berlinale

16. Februar 2012

3sat: Unverständnis über ungarische Flugblattaktion:

Bence Fliegauf, Regisseur des ungarischen Wettbewerbsfilms “Csak a Szél“ („Just the Wind“), hat mit Unverständnis auf eine Flugblattaktion der ungarischen Regierung reagiert. Diese hatte im Rahmen der offiziellen Pressekonferenz der Berlinale Flugblätter verteilt, in denen darauf hingewiesen wird, dass der Film über die Ermordung ungarischer Roma zwar auf einer wahren Begebenheit beruhe, aber trotzdem reine Fiktion darstelle.
Im Interview mit Kulturzeit nannte Fliegauf diese Aktion „völlig unnötig“: „Ich sehe darin keine Beleidigung meiner Person oder meines Films. So etwas ist einfach völlig unnötig. Ich treffe hier Reporter und sehe in ihre Gesichter, und merke, sie sind völlig schockiert und verstehen diese Aktion nicht. So etwas ist kontraproduktiv. Das hat nichts mit meinem Film zu tun.“
Fliegauf wies darauf hin, dass weder er noch sein Presseagent etwas von der Aktion gewusst hätten. Er nannte diese eine Form der Miss- oder Fehlkommunikation, die für die derzeitige Situation in Ungarn durchaus typisch sei. „Ich weiß nicht, wieso jemand sich durch meinen Film bedroht fühlen sollte. Er ist keine Generalisierung über Ungarn, sondern über die Mechanismen des Rassismus überall auf der Welt. Ich bin sehr stolz auf das ungarische Kulturfördersystem, ich bin sehr stolz, diesen Film hier im Wettbewerb zu haben.“ Gegenüber Kulturzeit betonte auch die Pressesprecherin der Berlinale, Frauke Greiner, man habe als Veranstalter nichts von dieser Aktion gewusst.

Was sollen die Papiere des Ministeriums für öffentliche Verwaltung und Justiz auf den Stühlen?

Laut dem Nachrichtenportal Origo war es ein Journalist der FAZ, der auf der Pressekonferenz diese Frage stellte und vereinzelt Applaus dafür bekam.  „Wurden diese Flugblätter ausgeteilt, weil auch der Staat den Film gefördert hat, oder ist das ein ungeschickter politischer PR-Versuch?“ (Origo)

(Update 17.2.: Hier im Video von der Pressekonferenz : „Sie relativieren, was dort stattfindet, (Dolmetscherin weiter): and regret it, but with crocodiles‘ tears, and I’m just wondering if this is going to support your movie, or as public relations, it is not going to be any good for the ministry.“ (Applaus.) (ab 1:04)

Hier nun das Flugblatt des – laut Briefkopf – Ministeriums für öffentliche Verwaltung und Justiz, Staatssekretariat für soziale Integration – der Wirkungsstätte von Staatssekretär für Soziale Integration Zoltán Balog (der sich gerade offenbar nicht nur in PR, sondern auch in Pressezensur versucht, siehe Pester Lloyd: Just the Wind: Ungarn-Beitrag der Berlinale hat heute Premiere. Versuch der Presse-Zensur durch ungarisches Ministerium.)

Zum Vergrößern anklicken:

Kommentar PR: Über den Inhalt werden andere schreiben, hier sei nur gesagt, es ist nie eine gute Idee, bei so wichtigem Pressematerial an der Übersetzung zu sparen („Schrottflinte“).

Update 18.2.: Hier die englische Version /English version here:

Presse zum Film:


Regisseur Bence Fliegauf mit seinen DarstellerInnen auf der Pressekonferenz der Berlinale (Origo)

(ab 1:04)

16 Kommentare leave one →
  1. Judith B. permalink
    17. Februar 2012 07:04

    Die Aktion war unnötig „wie ein Kropf auf dem Hals einer schönen Frau“. Leider ist es nicht verstanden worden, aus dem Film eine positive Botschaft abzuleiten. Es wurde eine gute Gelegenheit verpasst, auf die vielgerühmte Meinungsfreiheit und auf die künstlerische Möglichkeiten in Ungarn hinzuweisen,soweit dies vorhanden .

  2. Karl Pfeifer permalink
    17. Februar 2012 08:03

    Danke Pusztaranger für die Publikation dieses Flugblatts.

    Erst am Ende des Flugblatts steht die Information, dass die ungarische Regierung den Film
    subventioniert hat, bis dahin kommen aber die wenigsten Leser.
    In Deutschland und Österreich ist man in der Regel fasziniert, wenn Ungarn deutsch sprechen. Doch wenn eine Regierungsbehörde schon ein Flugblatt druckt, dann wäre es vielleicht vorteilhaft gewesen, einen Übersetzer herbeizuziehen, der in der Lage ist einen fehlerfreien Text vorzulegen.
    Dieses Flugblatt ist eines der vielen Armutszeugnisse der ungarischen Regierung, die meisterhaft die Gewehre nach hinten schiessen läßt, oder damit wir die Sprache des für Fußball begeisterten Viktor Orbán gebrauchen, die sind noch stolz auf ihre Eigentore. Die werden dank Fidesz-KDNP zum Hungaricum

  3. 17. Februar 2012 11:01

    man beachte die verwendung des wortes „zigeuner“ in einem quasi offiziellen schreiben. das sind wirklich dummdödel, die vom tuten und blasen keine ahnung haben, aber dafür um so lauter sind.

  4. g.stillt permalink
    17. Februar 2012 19:38

    Fliegauf evoziert die Bedrohung, Lebensgefahr allein in den Blicken, die sich auf die Roma richten – den Blicken der Kamera wie jenen der Nachbarn in Pogromlaune.

    http://www.fr-online.de/berlinale-2012/berlinale-wettbewerb-am-letzten-tag,7166624,11649526.html

    “Aber es sei gut, dass man in Ungarn einen solchen Film machen könne, der ein Tabu bricht. Dass zeige, dass man in einer Demokratie lebe.”, sagt fliegauf.

  5. Mike Landwehr permalink
    18. Februar 2012 18:04

    Kann mir nicht vorstellen, dass dieses Flugblatt echt ist. Sie wären ja noch dümmer, als ich es mir vorgestellt habe. Das Papier strotzt vor Rechtschreibefehler, und ist nicht unterschrieben. Letzteres ist schon ungewöhnlich. Hat sich das Ministerium nicht dazu geäussert?

    • pusztaranger permalink
      18. Februar 2012 18:41

      Tagesspiegel:
      „Zum Erstaunen des Filmteams – und auch der Berlinale-Offiziellen, die grundsätzlich kein „fremdes Material“ auf den Pressekonferenzen verteilt sehen mögen – wurden diese Zettel auch auf der Pressekonferenz zum Film auf den Stühlen ausgelegt. Spricht man Balog darauf an, gibt er sich ahnungslos. Und wenn, sei das etwa ein Problem?“

  6. Anatol permalink
    18. Februar 2012 20:11

    Der Film hat soeben den „Silbernen Bären“ gewonnen! Eine Chance für die Ungarn, sich dem (Roma)-Rassismus zu stellen….

  7. Karl Pfeifer permalink
    19. Februar 2012 07:42

    Die Leute, die für dieses Flugblatt des Ministeriums für öffentliche Verwaltung und Justiz Staatssekretariat für soziale Integration die Verantwortung tragen, sind wahrscheinlich dümmer als der Durchschnitt, der mit vorauseilenden Gehorsam agierenden Orbán-Untertanen, denn sie glauben, die Zuschauer der Berlinale wären noch dümmer als sie selbst. Ansonsten hätten sie nicht ihr Elaborat mit dem Hinweis eröffnet: „Die Aktion ist jedoch eine fiktive Geschichte, die die (sic) [den] tatsächlichen Ereignisse[n] nicht folgt“.

    Der Tagesspiegel berichtete über die Diskussion in der ungarischen Botschaft deren Thema der von der Berlinale ausgezeichnete ungarischer Film war.
    http://www.tagesspiegel.de/kultur/ungarn-im-kino-die-weisswaescher-von-der-donau/6225216.html

  8. 19. Februar 2012 14:13

    Immer wieder köstlich, wenn Behörden und Politiker versuchen, eine gehaltvolle Meinung zum echten Leben abzugeben – oder zu einem Film, der vermeintlich schlauer ist als trocken Brot.

    Filmkritik – „Defendor“ (2009) – Anonymous analog

    Herzlichst gelächelt und den Kopf geschüttelt…

  9. pec permalink
    19. Februar 2012 20:23

    “ es ist nie eine gute Idee, bei so wichtigem Pressematerial an der Übersetzung zu sparen “

    Auch die Jurnalisten sparen mit dem Rechtschreibstudien: “Csak a Szél“ ist falsch, „Csak a szél“ korrekt, wenigstens der Titel sollte korrekt zitiert werden.

  10. 21. Februar 2012 06:33

    Ich finde, das Flugblatt passt voll ins Bild. „Kontroll“ wurde ja auch mit staatlicher Unterstützung gedreht, und am Ende war sich der BKV-Chef nicht zu blöd, ein Statement vom Blatt abzulesen, dass das alles nicht die Wirklichkeit in der Budapester Metro zeigt.

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