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„Rechtsstaat“ per Dekret: Orbán, der „Identitäre Kongress“ und Alexander Dugin

4. Oktober 2014

Der „Identitäre“ internationale Rassistenkongress „Die Zukunft Europas“ am 3.-5.10. in Budapest wurde am 29.9. von Regierungschef Viktor Orbán per Anordnung verboten, laut Bürgerrechtlern ohne gesetzliche Grundlage. Seither sind Jobbik, Hauptredner Alexander Dugin und ein Hauptsponsor abgesprungen. Laut  Hauptveranstalter Richard Spencer sollte der Kongress trotzdem, als „Privatveranstaltung“ stattfinden; in der Nacht zum 4.10. wurde er in Budapest festgenommen. Update: Die Konferenz fand statt, außer den „eigenen“ Medien waren nur regierungsfreundliche westliche Journalisten zugelassen.

Wie ein anwesender Journalist auf Twitter berichtet, wurde Richard Spencer in der Nacht zum 4.10. von einem Großaufgebot der Polizei bei einem „privaten Umtrunk“ von ca. 35 Organisatoren und Teilnehmern im Budapester Clock Pub  festgenommen.

[Update 5.10.2014: Pester Lloyd: Gestörte Konferenz: Proteste und Polizeiaktion gegen Neonazi-Versammlung in Budapest

Laut  Teilnehmerberichten im Netz fand die Konferenz mit etwa 70 Teilnehmenden trotz allem statt. Anwesende Presse: Boris Kalnoky (Die Welt) und Nick Thorpe (BBC).

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Die Veranstalter hielten zudem eine Pressekonferenz ab, anwesend waren BBC (Nick Thorpe), Wall Street Journal, EuroNews, Buzzfeed, Foreign Policy, Sweden DN etc. (Quelle).

Update 6.10.2014: Die Konferenz fand statt, und außer den „eigenen“ Medien waren nur regierungsfreundliche westliche Journalisten zugelassen (Boris Kálnoky, Die Welt und Nick Thorpe, BBC); Kálnoky berichtet entsprechend, Orbán „trifft diesmal keine Schuld“. Wall Street Journal, Euronews etc. mussten draußen bleiben.

Die Welt: „Das passiert beim Geheimtreffen „rassischer Realisten. Eine internationale Konferenz „rassischer Realisten“ in Budapest wurde verboten, fand aber heimlich dennoch statt. Exklusive Einblicke in die Gedankenwelt der „Identitären“.“

Bei dem von Kalnoky namentlich nicht genannten  kanadischen Journalisten, der als Einziger außer ihm und Nick Thorpe zur Konferenz zugelassen war, handelt es sich um den kanadischen Nationalisten Paul Fromm. Er gestaltet eine Radiosendung auf der nationalistischen Seite „Stormfront“ und hat Verbindungen zu den Ku-Klux-Klan-Mitgliedern David Duke, Don Black und Mark Martin. Die Zeitung The National Post beschrieb ihn als „one of Canada’s most notorious white supremacists“. (wiki),  Hier ein Bericht von Fromm, hier  ein Facebook-Video.

Update Ende.]

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Videos zur Polizeiaktion hier und hier. Laut einer US-Partnerseite der Veranstalter sind einige andere Organisatoren derzeit noch auf freiem Fuß und beraten über das weitere Vorgehen.

Der „Identitäre Kongress“ „Die Zukunft Europas“ des rassistischen National Policy Institute NPI, ein internationales Vernetzungstreffen für Rechtsextreme aus den USA, Europa und Russland, sollte trotz des Verbots durch Regierungschef Orbán als „Privatveranstaltung“ an einem geheimen Ort stattfinden, wie Richard Spencer der Budapester Tageszeitung Népszabadság  am Freitag sagte. Trotz des Einreiseverbots gab er das Interview bereits in Budapest; er war über Wien gekommen  und problemlos mit der Bahn angereist.

„Rechtsstaat“ per Dekret

Die Bürgerrechtsorganisation TASZ, die die Veranstaltung nachdrücklich verurteilt, erklärte, die rechtlichen Grundlagen für das Verbot der Veranstaltung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Teilnehmer durch das Innenministerium seien nicht gegeben.

Premier Viktor Orbán hatte Innenminister Sándor Pintér am 28.9. persönlich angewiesen, die Konferenz „mit allen gesetzlichen Mitteln“ zu verhindern, siehe ausführlich Pester Lloyd:  Heuchelei im Amt: Orbán lässt Konferenz der “Identitären” in Ungarn verbieten.

Beim Innenministerium war man im Vorfeld über Veranstaltung und Referenten informiert, ein grundsätzliches Verbot war jedoch noch Mitte September nicht geplant, wie aus einem Antwortschreiben des Innenministeriums an den Bund der Ungarischen Antifaschisten und Widerstandskämpfer MEASZ vom 17.9. hervorgeht, der mit anderen NGOs im Vorfeld gegen die Konferenz protestiert hatte. Ein Einschreiten der Polizei wurde dort nur „bei Verdacht auf gesetzwidriges Verhalten oder Straftaten“ „im Interesse des Sicherheitsgefühls der Bürger und der öffentlichen Sicherheit“ in Aussicht gestellt. (Quelle)

Nach internationaler Negativpresse hatte sich das ungarische Außenministerium am 23.9. von der Konferenz distanziert: „Extremistische Kreise wollen diese Konferenz dazu gebrauchen, um dem Ruf Ungarns vor der internationalen Öffentlichkeit zu schaden, was inakzeptabel ist“ (Quelle). Von einem Verbot war noch nicht die Rede, Orbáns diesbezügliche Anordnung erfolgte erst am 28.9. (Quelle).

Rechtsstaatlichkeit, speziell der Schutz von Bürger- und Minderheitenrechten, wird unter Orbán nicht durch funktionierende rechtsstaatliche Instanzen garantiert, sondern durch Orbán persönlich. So erklärte er sich in der Vergangenheit mehrfach zum persönlichen Garanten für den „Schutz der Juden in Ungarn“, vgl. Ágnes Heller im Freitag: „Ich will nicht, dass Orbán „uns als Juden“ schützt. Ich verteidige meine Rechte als Staatsbürgerin.“

Mit dem Verbot der rechtsextremen Konferenz verspricht man sich offenbar positives Medienecho im Ausland und für den Wahlkampf.

Jobbik, Hauptredner und ein Hauptsponsor abgesprungen

Der rechtsextreme russische Publizist und Eurasien-Ideologe Alexander Dugin hatte seine Kongressteilnahme am 3.10. ohne Begründung abgesagt (atv), ebenso Philippe Vardon (mno).

Nach dem Verbot hatte der ursprünglich geplante Veranstaltungsort (Larus Kongresszentrum) den Vertrag gekündigt; einer der Hauptsponsoren, der Arktos Verlag – einer der führenden Verlage der Neuen Rechten in Europa, der u.A. auch Dugins Werke veröffentlicht  (wiki) – hatte am 2.10. seine Unterstützung zurückgezogen, wovon der Verlag die  regierungsnahe Magyar Nemzet brieflich unterrichtete  (hvg, mno).

Seit dem Verbot der Konferenz war der Name des Jobbik-Vizefraktionsvorsitzenden Marton („Judenliste„) Gyöngyösi von der Rednerliste der Veranstaltung verschwunden.

Ideologische Differenzen mit Jobbik?

Gyöngyösi erklärte dem Portal VS auf Nachfrage, er habe seine Teilnahme aus Zeitgründen wegen des Wahlkampfs abgesagt; zudem distanzierte er sich von der amerikanischen Seite, sowohl er persönlich als auch Jobbik verurteilten die vom NPI vertretene  „Höherwertigkeit der weißen Rasse“. „Ich habe einen Teil meines Lebens in östlichen Ländern verbracht“, sagte er zur Erklärung. Mit Alexander Dugin und der übrigen Referenten habe er hingegen kein Problem.

Richard Spencer hatte seinerseits in seinem Interview mit der Népszabadság ideologische Differenzen mit Jobbik angesprochen: „Sie glauben an asiatische Phantasien“ und paktieren „mit Türken und dem nahen Osten.“

Von diesen Differenzen war wohlgemerkt erst seit dem Verbot der Veranstaltung die Rede. Im Zweifelsfall sind die „eurasischen“ Bündnispartner für Jobbik attraktiver.

Kommentar von dpa-Korrespondent Gregor Mayer auf Facebook, 3.10.:

„Meine Lesart (von Dugins Absage): Orbán pflegt selbst gute Beziehungen zum Kreml, und er beharrt dabei auf Exklusivität. Die „Identitären“-Kiste ging von der Jobbik aus, deren (gesellschafts-)politische Vorstellungen das Orbán-Regime zwar in vielen Bereichen umsetzt, mit der es aber zugleich auch um Wählerzustimmung konkurriert. Nach Orbáns „Verbot“ dürfte man im Kreml Dugin zu verstehen gegeben haben, dass man da keine „diplomatischen Verwicklungen“ wünscht. Wie es „ordnungsgemäß“ zu laufen hat, demonstrierte die offizielle Entsendung des ungarischen Vize-Staatssekretärs Gergely Prőhle zu einer ähnlichen Konferenz in Moskau. Deren Veranstalter war die russische Regierung bzw. ein Oligarch, der die von Russland gesteuerten Separatisten in der Ost-Ukraine mitfinanziert.“

4 Kommentare leave one →
  1. 6. Oktober 2014 00:52

    Hat dies auf akinblog rebloggt und kommentierte:
    Seltsame Geschichte – man will ja wohl nicht das Rederecht von Faschisten verteidigen. Doch andersrum ist es natürlich schon seltsam, wenn der Premier per Ukas verordnen kann, wer sich in Ungarn treffen darf…

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