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„Tag der Ehre“2011 – Gedenkveranstaltungen bei Neonazis, Jobbik und Fidesz

12. Februar 2011

Europas größtes Neonazitreffen zum „Tag der Ehre“ – dem Ausbruch aus dem von der Roten Armee eingekesselten Budaer Burgberg 1945, bei dem über 39.000 deutsche und ungarische Soldaten ums Leben kamen – auf dem Budapester Heldenplatz wurde dieses Jahr polizeilich verboten (NOL), die Geheimdienste waren aktiv und beobachteten die rechtsextreme Szene (hvg).

Die Neonazis haben kurzfristig umdisponiert und hielten ihre „Gedenkveranstaltungen“ (mit geladenen Gäste von NPD, Freies Netz Süd sowie der bulgarischen BNZP) in den Wäldern von Buda ab.

Auf den ersten Blick macht sich das positiv: Die Orbán-Regierung greift hier entschiedener gegen rechtsextreme Umtriebe durch als die Vorgängerregierung in den vergangenen Jahren.

Allerdings gab es Ausnahmen. So konnte gestern Abend der abgespaltene Flügel der verbotenen Ungarischen Garde in voller Montur aufmarschieren und vor dem Kriegsdenkmal im 2. Budapester Bezirk (die umstrittene Turul-Statue) Kränze niederlegen (NOL).

Und Jobbik hat das Event aufgegriffen und veranstaltete gleich mehrere Gedenkveranstaltungen zum „Tag der Ehre“ in der Provinz (u.A. in Debrecen, Karcag, Mosonmagyaróvár, Hatvan und Pér), zum Teil unter Verwendung des ursprünglichen Veranstaltungsplakates (schwarz im Bild).

Die größeren Veranstaltungen wurden gemeinsam mit anderen rechtsextremen Organisationen wie HVIM sowie der verbotenen Ungarischen Garde angekündigt und fanden auch nicht etwa irgendwo im Wald, sondern mitten im Stadtzentrum statt, so auch in Ungarns zweitgrößter Stadt Debrecen (wo die Veranstalter der Demo für Medien- und Meinungsfreiheit derzeit noch polizeilich gesucht werden!). Parlamentsabgeordnete und Gemeinderatsmitglieder hielten die Ansprachen, und wo es Kriegsdenkmäler gibt, wurden dort Kränze niedergelegt. Auf diese Weise soll der ganze zweite Weltkrieg rückwirkend auf dieses Ereignis hin symbolisch umgedeutet werden: Ungarische und deutsche Soldaten gemeinsam gegen den Bolschwismus.

(Plakat von 1944: „Mit vereinten Kräften gegen den Bolschewismus. Für das Überleben Europas und Ungarns!“ Gefunden auf einem ungarischen Neonaziportal.)

Auch im Nachbarland Rumänien kündigten Jobbik-Ableger Gedenkveranstaltungen an, so in Gheorgheni, Odorheiu Secuiesc, Sfântu Gheorghe und Târgu Mures.

„Bürgerliches“ Gedenken – wer sind „unsere Toten“?

Was bei den Rechtsextremen „Tag der Ehre“ heißt, wird bei den bürgerlichen Rechten „Tag des Ausbruchs“ genannt. Seit 2005 wird auf dem Budapester Burgberg am 11. Februar ebenfalls eine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung abgehalten, und zwar vom Fidesz-Bezirksbürgermeister, dem Militärhistorischen Museum und Veteranenverbänden. Die rechtsextremen und „bürgerlichen“ Gedenkveranstaltungen unterscheiden sich in der Rhetorik, aber in ihren Inhalten sind sie identisch.

(Ankündigung: Mehr dazu in Kürze auf Hagalil: „Vom Blood & Honour Hungaria zur „bürgerlichen“ Erinnerungspolitik“ von Magdalena Marsovszky, Link wird nachgereicht.)

(Fahnenträger: Ervin von Galántay, 1945 Freiwilliger mit 14 Jahren. Fotos von Magdalena Marsovszky.)

Auf der Webseite des 1. Budapester Bezirks ist die Rede des Bezirksbürgermeisters und Fidesz-Parlamentsabgeordneten Gábor Tamás Nagy eingestellt, die ich hier in Auszügen wiedergeben möchte.

Darin beruft er sich auf ein „gemeinsames Wissen“ der Gedenkenden – „was ist es, was uns über die Ehrung der Opfer hinaus jedes Jahr aufs Neue hier zusammenruft?“

Zitat:

Die „Erkenntnis, daß die Geschichte der Generationen vor uns (…) auch unsere Geschichte ist: Was mit ihnen geschah, geschieht auch uns, mit den Budaer Bürgern von heute genau wie den damals Geborenen. Ob wir wollen oder nicht, ob wir sie kennen und uns bewußt machen oder nicht, tragen wir sie unauslöschlich in uns (…) – in unserer Seele, unserer Umgebung – unserem Zuhause, unsern Straßen und Plätzen.

Die aktive Bejahung dieser Schicksalsgemeinschaft (sic, sorsközösség-vállalás) über Epochen hinweg macht uns zu einer Gemeinschaft, das Bewußtsein dieser Schicksalsgemeinschaft macht uns, die wir hier leben, zu Bürgern von Buda, genauso wie die Gemeinschaft der zum Magyarentum Gehörenden uns zur Nation macht. Das zu erkennen ist Grundlage der Vaterlandsliebe. Im aktiven Erleben dessen können wir Opfer für unser Vaterland bringen. (…) Ich gestehe ganz ehrlich, daß es eine Frage gibt, die mir keine Ruhe gelassen hat. Was war es nur, das die Soldaten, die von den Kriegsgräueln genug hatten, am 11. Februar 1945 dazu gebracht hat, sich Hitlers Befehl vom 28. Dezember, in dem er den Ausbruch verbot, zu widersetzen? Warum haben sie in den Salven der brennenden Panzer, der ratternden Maschinengewehre und Maschinenpistolen das sichere Verderben riskiert ? Mit welchen Gefühlen haben sie den todspeienden russischen Gewehren todesmutig entgegengeblickt ?

(…) Was für eine – heute unbegreifliche und unerklärliche – Kraft hat die die Stadt verteidigenden Soldaten und Bewohner, die in den Schicksalstagen von 1945 im Angesichts des Todes und unter bewußtem Einsatz ihres Lebens um das Überleben kämpften, in diesen unvorstellbaren Todestanz gerissen ?

(…) In der deutschen Memoirenliteratur (sic – was liest der Mann für Bücher?) wird diese Schlacht oft als „zweites Stalingrad“ erwähnt, das Durchhaltevermögen der die Burg verteidigenden Soldaten und der Stadtbewohner und ihre mit menschlichem Verstand nicht zu erfassende und nicht zu erklärende Kraft speiste sich wirklich aus dieser inneren Entscheidung.

Wir können sie auch Mut nennen – die Fähigkeit, mit der der Mensch seine Entscheidungen, Taten und Handlungen, statt sie an den äußeren Umständen auszurichten, aus freien Willen, der seiner inneren Überzeugung, Wahrheit und ehrlichem Glauben entspringt, umsetzt und vollbringt.

Unsere Toten kann uns niemand nehmen!

Es ist endlich an der Zeit, die hinter uns gelassene Lügenpropaganda der letzten fünfzig Jahre (als solche) zu entlarven (levetkőzni), die uns zuerst verboten hat, darüber zu reden, und später zu vergessen befahl, ins kollektive Unterbewußte verdrängte, daß auch wir unsere Toten hatten und haben. Unsere Toten, die wir nicht beweinen, die wir nicht betrauern konnten, für die wir keine Tränen vergießen durften. Denn die Ehrung der Helden und das Gedenken an die Opfer standen nur den Befreiern, den Soldaten der Roten Armee und dem sowjetischen Volk zu. (…) Ja, die Zeit ist da, statt der Wahrheit der Sieger unsere eigene Wahrheit zu suchen, auszusprechen und zu akzeptieren. Das Recht auf ehrendes Gedenken (…) steht uns genauso zu wie jeder anderen Nation. Gedenken wir also unserer Toten mit erhobenem Kopf. (…) Nehmen wir die Botschaft des heutigen Tages von der Schlacht um Buda und die Erinnerung an die militärischen und zivilen Opfer des Weltkrieges mit in unseren friedlichen Alltag hinüber. Denn auch in Friedenszeiten – und besonders jetzt, 2011 – besteht großer Bedarf an den Erfahrungen der Kriegsgeneration, die da lauten: Der Sinn, die Schönheit, der Sieg und die Größe unseres Schicksals sind nicht draußen in den Fakten, sondern liegen in uns, in unseren eigenen Entscheidungen, Taten und Handlungen.

Kein Wort vom Holocaust. Kein Wort über die Mittäterschaft der ungarischen Bevölkerung. Mit „unseren Toten“ und der „Schicksalsgemeinschaft“ sind nur die Täter gemeint, und die Opfer des Holocaust und ihre Nachfahren werden ausgeblendet.

(Der ältere Herr links: Zsolt Lányi, ehemaliger Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Heimatschutz; Präsident des Veteranen-Kameradenkreises des Ungarischen Königlichen Ersten und Zweiten Sturmbataillons. Mitte: Oberst Dr. Vilmos Kovács, Vizedirektor des Militärhistorischen Instituts und Museums.

Rechts neben dem Mann in Tarnkleidung: Dr. Gábor Tamás Nagy, FIDESZ- Parlamentsabgeordneter und Bürgermeister des 1. Budapester Bezirks (Burgviertel).

*

Zivile Gedenkveranstaltungen zur Befreiung Budapests

12.2. 2011

15:00 Szabadság tér, Gedenkveranstaltung am sowjetischen Ehrenmal
16:00: Astoria, antifaschistische Demo

13.2.2011

14:00 Szent István park, Gedenkveranstaltung
18:00 Kossuth tér bei der Károlyi-Statue, Gedenkveranstaltung und Protest

Update 13.2.: freie-radios.net: Naziaufmarsch in Ungarn. „Im ungarischen Budapest marschierten am gestrigen Samstag den 12. Februar rund dreihundert Neonazis anlässlich des „Tags der Ehre“ auf. Telefoninterview mit tübinger Antifaschisten die vor Ort waren.“

19 Kommentare leave one →
  1. 13. Februar 2011 08:21

    die „antifa“ hat ja gestern wieder mal geglänzt und einen äußerst sinnvollen und durchdachten purzelbaum geschlagen: der redner der „antifasistischen liga“ hat die „verdienste stalins“ bei der gedenkfeier gewürdigt.

  2. Susanne permalink
    14. Februar 2011 12:05

    Unfassbar, was 65 Jahre gären kann. Das zeigt für mich auch, wie sehr kommunistische Regime zu Aufarbeitung „fähig“ waren, andere Länder sind nur dann besser dran, wenn sie weniger aufzuarbeiten hatten.

    • pusztaranger permalink
      14. Februar 2011 12:54

      In Polen sieht das derzeit aber anders aus; und es ist auch nicht so, als wäre diesbezüglich in den letzten 20 Jahren in Ungarn gar nichts Positives passiert, das stimmt einfach nicht. Nur wird das alles jetzt symbolisch überschrieben. Die Fidesz- und Jobbik-Politiker, die solche Dinge von sich geben, sind hochintelligente Leute, die ganz genau wissen, welche Kommunikationsstrategien bei ihrem Wahlvolk funktionieren. (Und nein, ich bin kein MSZP-Fan, nie gewesen.)

      • Susanne permalink
        14. Februar 2011 20:06

        Für mich können Sie gern auch MSZP Anhänger sein, das muss ja nicht bedeuten, dass man dem Ostblock mit allem Drum und Dran nachtrauert. Ich hätte gedacht, in Polen hatte man weniger aufarbeiten müssen, weil es eindeutig ein Opfer der Nazis war, unabhängig davon, was man sich selbst auch zuschulden kommen ließ. Ungarn hat da einen schwierigeren Stand, auch wenn es Punkte gäbe, die vielleicht für etwas weniger Wahnsinn sprechen als bei den Nazis. Paradoxerweise hat ja Budapest auch noch eine recht große jüdische Gemeinde. Ich würde wirklich gern wissen, wie mit der Geschichte Ungarns zwischen 1918 und 1945 in der Nachkriegszeit und unter Kadar umgegangen wurde, denn irgendwie müssen diese Ansichten, die Sie leider auch noch als Kommunikationsstrategien bezeichnen, die beim Wahlvolk ankommen, weitergegeben worden sein.

      • pusztaranger permalink
        15. Februar 2011 13:25

        „Für mich können Sie gern auch MSZP Anhänger sein, das muss ja nicht bedeuten, dass man dem Ostblock mit allem Drum und Dran nachtrauert.“
        das war als Disclaimer für meine rechten LeserInnen gedacht.

        „Ich würde wirklich gern wissen, wie mit der Geschichte Ungarns zwischen 1918 und 1945 in der Nachkriegszeit und unter Kadar umgegangen wurde, denn irgendwie müssen diese Ansichten, die Sie leider auch noch als Kommunikationsstrategien bezeichnen, die beim Wahlvolk ankommen, weitergegeben worden sein.“
        Ich werde die Tage mal recherchieren und hier posten, was ich gefunden habe.

  3. Susanne permalink
    16. Februar 2011 19:52

    „Ich werde die Tage mal recherchieren und hier posten, was ich gefunden habe.“
    Ich bedanke mich schon im Voraus, sollte dazu etwas zu finden sein. In Deutschland frage ich ab und an, wenn unterschwellige Vorbehalte gegen Frankreich etc. geäussert werden (findet wirklich statt, sollte daran vielleicht jemand zweifeln…), und dann sind die Punkte immer unglaublich banal…

    • pusztaranger permalink
      23. Februar 2011 10:41

      muss leider noch etwas vertrösten, komme gerade nicht dazu.

  4. galut permalink
    23. Februar 2011 21:50

    Die Zwischenkriegszeit wurde nach 45 natürlich verteufelt und verdammt. Die Sicht war eine sehr einseitige und pauschale: das Horthyregime galt als faschistisch, die Gesellschaft als reine anachronistische Ausbeutergesellschaft usw. Zugleich wurden aber (paradox, war aber so) die hunderttausende von Pfeilkreuzlern in die KP übernommen. Die einseitige Verdammung der Zwischenkriegszeit ohne jegliche Differenzierung fand erst in den 80ern eine gewisse Aufweichung und Differenzierung. Gerade wegen dieses Umgang mit der Zwischenkriegszeit seitens des kommunistischen Regimes wird heutzutage leicht und schnell jede Kritik (und es kann solche sehr viel geben!) an der Zwischenkriegszeit von dem „nationalen Lager“ als aus „linker Ecke“ kommend diffamiert und abgetan, mag die Kritik noch so berechtigt sein.

    • Susanne permalink
      6. März 2011 10:25

      Das heisst, das Horthy-Regime wurde sozusagen pauschal abgelehnt, aber einige daran beteiligte Personen geschont durch KP-Mitgliedschaft? Das macht es natürlich schwerer, persönliche Beteiligung an den „Diktaturen“ zu identifizieren.

      Die Logik der derzeitigen Horthy-Nostalgiker wäre dann lediglich (jedenfalls für einige), dass wenn die „kommunistische“ Zeit „schlecht“ war, und die MSZMP die Horthy-Ära abgelehnt hat, dass diese daher (logischer Schluss) „positiv“ ist? Das wäre ja eigentlich keine „inhaltliche“ Beurteilung, aber reicht sicher aus, um ein einfaches Programm („kein Trianon“, „keine fremden Elemente“) zu schustern.

  5. Susanne permalink
    7. März 2011 00:22

    Vielen Dank für den Hinweis, von der speziellen Bedeutung der Heiligen Krone für den Staatsaufbau hatte ich zuvor nicht gehört. Das macht es aber ein wenig nachvollziehbarer, wieso Viktor Orban erst seinen jetzigen Machtantritt für das wahre Ende der kommunistischen Periode betrachtet, wie auch immer rückwärtsgewandt es ist und dem demokratischen Verfassungsverständnis zuwiderläuft.

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