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Internationale Antisemitismuskonferenz in Israel: Nachrichtensperre für regierungskritischen ungarischen Beitrag

12. Juni 2013

Für den Antisemitismus in Ungarn ist ausschließlich Jobbik verantwortlich, und Fidesz das einzige Bollwerk gegen Jobbik, so lautet die Linie der ungarischen Regierung im Ausland, wie kürzlich wieder auf der Konferenz des Global Forum for Combating Antisemitism in Israel zu beobachten war. Im regierungskritischen ungarischen Länderbericht auf dieser Konferenz wurde jedoch etwas anderes behauptet, und darauf hingewiesen, dass auch der heutige Staatspräsident, der Minister für Humanressourcen, der Präsident und der Vizepräsident des ungarischen Parlaments in den letzten Jahren antisemitische Autoren der Horthy-Zeit würdigten (und auch der Kanzleramtsminister). Nichts davon gelangte an die ungarischen Medien. Der Verband jüdischer Glaubensgemeinschaften in Ungarn Mazsihisz hielt es trotzdem für nötig, sich umgehend von diesem Report zu distanzieren. Er ist von staatlichen Geldern abhängig.

Am 28.-30. Mai 2013 fand in Jerusalem die internationale Konferenz 4th International Conference of the Global Forum for Combating Antisemitism statt, mitveranstaltet von der israelischen Regierung. Ungarn war dort mit Staatssekretär im Justizministerium Bence Rétvári und einem seiner Mitarbeiter, sowie Delegierten mehrerer jüdischer  Institutionen und NGOs vertreten, der Stiftung Jüdisches Erbe in Ungarn (Mazsök), des Tom Lantos-Instituts, des Verbandes jüdischer Glaubensgemeinschaften (Mazsihiz) und der Stiftung „Tat und Schutz“ (bei der OSCE-Konferenz Security needs of Jewish communities in OSCE region morgen in Berlin vertreten).

Doch der eigentliche ungarische Tagungsvortrag wurde von einer unabhängigen Aktivistin gehalten, die von den Veranstaltern eingeladen worden war.

Im Vorfeld hatten  Abe Foxman, der Vorsitzende der Anti-Defamation League, sowie Ephraim Zuroff, der Direktor des Simon Wiesenthal Center in Jerusalem, die Einladung ungarischer Regierungsvertreter in der Jerusalem Post scharf kritisiert; Zuroff sagte, Ungarn sei eines von vier Ländern,

„whose current record on anti-Semitism is among the worst in Europe. (…) In Hungary, World War II fascists, including Admiral Miklos Horthy, who bears significant responsibility for the mass deportation of 437,000 Hungarian Jews to Auschwitz, are publicly honored (…). Their “greetings” will be another opportunity to whitewash the problem and extol the wonderful policies of the governments they represent.“ (jpost.com)

Damit ist die Begrüßungsansprache von Staatssekretär Bence Rétvári treffend zusammengefasst (Video): Er bezeichnete den Antisemitismus als „Krankheit der Gesellschaft“, die mit allen Mitteln bekämpft werden müsse; Jobbik sei im ungarischen Parlament allerdings in der Opposition, und die ungarische Regierung habe die antisemitischen Äußerungen von Jobbik-Politikern immer verurteilt. Dann gab er im Wesentlichen den Inhalt des Merkblattes „Maßnahmen der ungarischen Regierung zur Bekämpfung des Antisemitismus“ wieder (mehr zu diesem Merkblatt hier).

Als einzige ungarische Referentin für die eigentliche Tagung war von den Veranstaltern Eszter Garai-Édler eingeladen worden, die Aktivistin, auf die das rechtsextreme Hetzportal Kuruc.info letztes Jahr ein Kopfgeld aussetzte, nachdem sie vor dem Haus des Nazi-Kriegsverbrechers László Csatáry demonstriert hatte. Danach war sie von Rechtsextremen massiv bedroht worden, doch die Polizei stellte Anfang 2013 die Ermittlungen ein, vgl. Posts

Die Vertreter der ungarischen Regierung und der jüdischen Institutionen waren zu Garai-Édlers Vortrag erschienen. In der anschließenden Diskussion bezeichnete Gellért Sölch, Mitarbeiter von Rétváris Stab im Justizministerium (bis 2010 Fidesz-Gemeinderat aus Rétváris Wahlbezirk) die Referentin sinngemäß als „radikalen, pathologischen Einzelfall“, der nicht repräsentativ für die ungarische öffentliche Meinung sei. Die anwesenden Vertreter der jüdischen Organisationen äußerten sich nicht.

Von Garai-Édlers Beitrag gelangte nichts an die ungarischen Medien. Im MTI-Bericht ist verfälschend von „Kritik mehrerer ziviler Aktivisten“ die Rede, die „teils gemäßigt, teils harsch ausgefallen“ sei.

Auch in der Kommunikation der teilnehmenden jüdischen Organisationen sind keine inhaltlichen Informationen über den Vortrag zu finden. Im Bericht der Stiftung „Tat und Schutz“ wird er überhaupt nicht erwähnt, und der Verband jüdischer Glaubensgemeinschaften Mazsihisz  distanzierte sich ausdrücklich von ihm:

„Der Report gibt nicht die offizielle ungarische Position, und auch nicht die Position des Verbandes jüdischer  Glaubensgemeinschaften in Ungarn wieder, was die Mazsihisz-Vertreter vor Ort auch deutlich machten.“

Offenbar geht diese Distanzierung an die Adresse der Regierung. Die genannten Organisationen sind regierungsnah bzw. von staatlichen Geldern abhängig.

Eszter Garai-Édlers Report (hier als pdf)  ist kein diplomatischer Vortrag, und war auch nicht als solcher angefordert worden. Sie beginnt ihn mit einem jüdischen Witz, wie er in Budapest Tradition hat:

„Kann man Viktor Orbán, dem ungarischen Premierminister, glauben? Der weise Rabbi antwortet: „Grün und Kohn gehen durch eine Seitenstraße, als ihnen ein Hund entgegenkommt. Kohn bekommt es mit der Angst, aber Grün beruhigt ihn: „Warum hast du Angst vor diesem Hund? Siehst du nicht, dass er mit dem Schwanz wedelt?“ – „Schon, aber schau doch“, sagt Kohn, „er knurrt und fletscht die Zähne. Man weiß nicht, welchem Ende des Hundes man glauben kann.“

Dann fasst sie auf sieben Seiten kurz und anschaulich zusammen, dass nicht nur Jobbik allein für den Antisemitismus in Ungarn verantwortlich zu machen ist, und dass auch hochrangige Regierungsvertreter sich in den letzten Jahren aktiv an der Rehabilitierung antisemitischer Persönlichkeiten der Horthy-Zeit  – Albert Wass („Landnahme der Ratten“, siehe Post), Ottókár Prohászka und József Nyírő – beteiligten. Hier die Bildbeispiele:

Der jetzige Staatspräsident János Áder, damals Vizevorsitzender des ungarischen Parlaments, 2008 bei der Einweihung eines Albert-Wass-Denkmals in Debrecen (neben ihm der reformierte Bischof Gusztáv Bölcskei):

ader_wass
Parlamentspräsident László Kövér wurde 2012 wegen dieser seiner Würdigung des Pfeilkreuzler-Schriftstellers József Nyírő (Bild: „Der Apostel der Székler kehrt nach Hause zurück“) von Israel ausgeladen, vgl. Spiegel Online.

kover_nyiro

Der heutige Minister für Humanressourcen Zoltán Balog und der heutige Vizepräsident des ungarischen Parlaments Sándor Lezsák bei der Einweihung der Statue des katholischen Bischofs Ottokár Prohászka (1858-1927) in Lakitelek 2008.  Prohászka  ist u.A. Autor des Werkes „Die Judenfrage in Ungarn“ von 1920:

Prohaszka-wiki

prohaszka_balog_lezsak2008

Auch auf Viktor Orbáns Freundschaft  mit dem antisemitischen und rassistischen Publizisten Zsolt „Zigeuner sind Tiere“ Bayer wird mit einem Bild eingegangen.

Abschließend wird auf die erstaunliche Ähnlichkeit der Uniformen von Parlamentspräsident László Kövérs neuer Parlamentsgarde mit deutschen Wehrmachtsuniformen hingewiesen:

parlamentsgarde_wehrmacht

***

Diese Liste lässt sich noch fortsetzen:

Die Fidesz-Abgeordnete Mária Wittner vor einigen Jahren mit der Ungarischen Garde:

wittner_garda

Im April 2012 weihten Fidesz-Sprecher Máté Kocsis (ehemals Mitglied der rechtsextremen MIÉP) und Sándor Lezsák in Budapest eine Statue der antisemitischen Schriftstellerin Cécile Tormay ein, vgl. Post: Budapest will Strasse nach Antisemitin benennen, 1. Juni 2013.

Árpád János Potápi (Fidesz), der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Nationalen Zusammenhalt, enthüllte kürzlich zum Trianon-Gedenktag gemeinsam mit einem Jobbik-Kommunalpolitiker und anderen Rechtsextremen ein Albert Wass-Denkmal, s. Post Fidesz, Jobbik, Albert Wass und die “Landnahme der Ratten”, 7. Juni 2013.

Und auch Kanzleramtsminister János Lázár, der Vorsitzende des Gedenkausschusses zum Holocaust-Gedenkjahr 2014, enthüllte bereits ein Albert Wass-Denkmal, am Trianon-Gedenktag 2010 in seiner Gemeinde Hódmezövásárhely.

Im Holocaust-Gedenkausschuss sitzt neben dem Minister für Humanressourcen Zoltán Balog auch der deutsche Botschafter Matei Hoffmann, der Balog erst kürzlich das Bundesverdienstkreuz verliehen hat.


(hodmezovasarhely.hu)

3 Kommentare leave one →
  1. Don Kichote permalink
    13. Juni 2013 07:44

    Es fehlt hier noch unser Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland Joachim Gauck,
    der als möchte-gern Humanist und ehemaliger Pfaffe, Balog den Rassisten-Verehrer mit dem deutschen Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband geehrt hat. Dieser, Balog, der die gesellschaftliche Segregation der Roma-Kinder als Chance der Integration verkauft. Damit empfiehlt sich Joachim Gauck in diese Reihe der Rassistenvehrehrer.

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