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Rechtsextremes Theater in Budapest: Fidesz und MIÉP als gemeinsame Front gegen Jobbik?

10. Oktober 2011

Vorgeschichte: Pusztaranger: Budapester Fidesz-OB ernennt rechtsextremen Theaterdirektor

Im Hintergrund der Ernennung des rechtsextremen Schauspielers György Dörner und des rechtsextremen Politikers und Schriftstellers István Csurka zum Direktor bzw. Intendanten des Budapester Theaters Új Színház durch den Budapester Fidesz-OB Tarlós steht ein politischer Deal zwischen Fidesz und Csurkas außerparlamentarischer rechtsextremer Partei MIEP, der sich gegen Jobbik als gemeinsamen Gegner richtet. Derzeit gilt Jobbik als zweitstärkste Partei; durch die Rehabilitierung der rechtsextremen MIEP will Fidesz eine neue Front gegen Jobbik aufbauen. An dieser Partnerschaft wird bereits seit 2009 gearbeitet.

Für diese These spricht Folgendes:

„Im März 2009, ein Jahr vor der „Wahlkabinen-Revolution“ gab mit István Stumpf der erste gewichtigere Orbanist Csurkas Parteiblatt „Magyar Fórum“ ein Interview. Das war der Startschuss für die „Heimholung“ Csurkas in den FIDESZ-Orbit. Stumpf hat sich freilich nie von dem anti-semitischen Titelblatt distanziert, auf dem auch sein Kopf prangte. Heute ist er Verfassungsrichter.“

(Gregor Mayers Kommentar, siehe auch ausführlich bei Hungarian Spectrum: The Hungarian Right: Fidesz, Jobbik and MIÉP, vom Mai 2009.)

Stumpf auf dem Cover: Rechte Spalte, zweiter von Oben.

2009 war György Dörner noch bei Jobbik aktiv; vor den Parlamentswahlen 2010 schwenkte er aber um und äußerte sich bei einer Wahlumfrage des Fidesz-nahen Heti Válasz folgendermaßen:

Schauspieler György Dörner: Viele halten mich für einen Jobbik-Anhänger, aber sie irren sich!
Meine wichtigste Erwartung an die neue Regierung ist Ehrlichkeit. (Anm.: Es folgt eine Anspielung auf den Fall der israelischen Spionageflugzeuge über Ungarn). Ich hätte gerne, daß nach den Wahlen wieder eindeutig wird, daß die Nation ihre Angelegenheiten selbst erledigt, und die Regierung nur uns gegenüber verantwortlich ist, sonst niemand. (lies: nicht Israel)(…)
Jobbik sind eine andere Kategorie, diese Partei wurde vom allgemeinen Bedürfnis nach nationalem Radikalismus ins Leben gerufen. Ich definiere mich als nationalradikal, was bedeutet, daß ich so schnell wie möglich Veränderungen sehen will. Deswegen werde ich von vielen als Jobbik-Anhänger gesehen, aber sie irren sich. (Bei meiner Wahlentscheidung) werde ich berücksichtigen, daß Fidesz mit einer starken Ermächtigung auch alleine fähig sein wird, die neue Verfassung zu verabschieden und den (lies, von den Vorgängerregierungen veruntreuten) nationalen Besitz zurückzuholen.
Aber in der Tiefe meines Herzens wünsche ich mir, daß MIÉP lebt und gedeiht; und wenn sie genug Kraft hätten, um ein nationalradikales Programm umzusetzen, würde ich ihnen mit Stolz meine Stimme geben.

Am 18.07.2010 entschuldigte sich der antisemitische Publizist und Orbán-Freund Zsolt Bayer (Fidesz-Mitglied mit Parteibuch Nr. 5) in seiner Sendung im rechtsextremen, aber regierungsnahen EchoTV öffentlich und feierlich bei Csurka: Früher, als er noch „liberal-gesinnt“ gewesen sei, hätte er Csurka verurteilt, heute denke er „national-gesinnt“ und wisse, daß Csurka, über die ganzen Jahre Recht gehabt habe. (Siehe Kommentar von Magdalena Marsovszky, Link zur Sendung folgt.)

Und am 9. Juni 2011 gab László L. Simon (Fidesz), der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Kultur und Presse, Csurkas Magyar Fórum ein Interview, und begründete dies so:

„Ich wurde (…) um ein Interview gebeten und habe es gegeben, nicht zum ersten Mal.  […] Er betonte: Im Magyar Fórum – aber genauso bei 168 Óra oder der Népszava (Anm.: linke Medien) – seien für ihn unakzeptable Artikel. „Daraus folgt nicht, daß wenn mich morgen 168 Óra oder die Népszava um ein Interview bitten, ich ihnen keines geben würde. Das würde ich, so wie jedem in Ungarn registrierten, mit Impressum versehenen, seine Redaktion namentlich nennenden, legalen Presseorgan. Kuruc.infó gehört selbstverständlich nicht in diesen Kreis, aber das Magyar Fórum tut es” – betonte er.  Wie er sagte, ist nicht wesentlich, wem er Interviews gibt, sondern was er sagt. „Ich sage allen das Gleiche – dem Demokrata, dem Magyar Fórum, 168 Óra oder HVG. Ich habe keine zwei Gesichter, zwei Meinungen. […] Ich drücke dieselbe Meinung für das rechtsradikale (wörtlich radikale rechte) und das linksradikale (dito) Publikum aus.“ (Quelle hvg: „Istvan Csurka neuer Verbündeter von Fidesz?“)

*

Neueste Entwicklungen:

Csurka: „Kein ausländischer Müll mehr“

Der frischgebackene Intendant Csurka hat verkündet, dass in seinem Theater ab nächstes Jahr nur noch „nationales ungarisches Drama“ gespielt wird und kein „ausländischer Müll“ mehr. Derzeit stehen dort noch Moliére, Dostojewski, Steinbeck und Coelho auf dem Programm. Csurka will „politisches Theater“ machen und ein Drama über die Privatisierung und die Gyurcsány-Regierung in Auftrag geben, „eine der größten nationalen Tragödien.“ (Népszabadság)

Dörners „Kooperationspartner“ im Ausland distanzieren sich

Mittlerweile distanzieren sich Theater aus dem Ausland von Dörner, die er ohne vorherige Absprache in seiner Bewerbung als geplante Kooperationspartner aufgelistet hat, so das Ungarische Kammertheater Arad (RO), das Tamási Áron Theater in Sfântu Gheorghe (RO) (Presseerklärung hier) und das  Bonner Euro Theater Central:

Ausländische Zeitunge über rechtsextremes Theater

Auch die Bonner Direktorin war überrascht
(…) Die Direktorin des Bonner Theaters erklärte, obwohl György Dörner sie in seinem Antrag erwähnt, habe er keinen Kontakt zu ihnen gesucht. „Mich und meine Mitarbeiter hat ausgesprochen schockiert, daß Herr Dörner und sein Mitarbeiter (sic) uns namentlich aufgeführt hat! Das wundert uns sehr, da kein einziger unserer Mitarbeiter jemals mit ihm in Kontakt war. Auch unsere Kontaktpersonen in Ungarn und Rumänien kennen ihn nicht persönlich.“ – erklärte Gisela Pflugradt-Marteau.“ (Szinhaz.hu)

Proteste der Theaterszene, Reaktionen des Oberbürgermeisters

Die DirektorInnen von neun Budapester Theatern protestieren in einem offenen Brief an OB Tarlos gegen Dörners Ernennung (András Bálint (Radnóti Theater), Enikő Eszenyi (Vígszínház), Pál Mácsai (Örkény Theater), Gábor Máté (József Katona Theater), János Meczner (Budapester Puppentheater), Tamás Puskás (Centrál Theater), György Szabó (Trafó), Tamás Szirtes (Madách Theater) und Zsófia Zimányi (Thália Theater). (Origo)

Tarlos’ Antwort: Er „hält die Diskussion über die Ernennung (…) für abgeschlossen. (…) Die Stadtverwaltung hält es für unakzeptabel, daß selbst die kleinste Veränderung schon solche aggressiven Aussagen bei den Theaterdirektoren auslöst.“ (Origo)

Das Protestschreiben der Theatergesellschaft, auf das sich auch der dpa-Bericht stützt (Spiegel) bezeichnete OB Tarlós als „unbedachte, unwürdige Stimmungsmache“. Es habe lediglich zwei personale Veränderungen bei den Theaterleitungen gegeben, alle anderen Direktoren seien nicht entlassen worden, somit könne davon, daß er „politisch Land gewinnen“ wolle, keine Rede sein (szinhaz.hu).

Kritische Stimmen sagen, Tarlós habe Dörner nicht ernannt, sondern die von oben erfolgte Ernennung lediglich unterschrieben, genau wie Staatspräsident Pál Schmitt es mit allem zu tun pflegt, was Viktor Orbán ihm vorlegt. (Tibor Jobbágy auf Galamus.hu)

Fidesz-EU-Abgeordneter Deutsch nimmt Dörner in Schutz

Der Fidesz-EU-Abgeordnete Tamás Deutsch, Jugend- und Sportminister der ersten Orbán-Regierung, ist Spezialist dafür, den Standpunkt der Regierung allgemein verständlich über twitter unters Volk zu bringen. Damit weckte er im Juli auch internationale Aufmerksamkeit, siehe

Sein aktueller Kommentar zu Dörners Ernennung (Quelle):

Ich halte György Dörner für einen großartigen Schauspieler. Die Wahl seiner Werteordnung respektiere ich, wie die eines jeden Menschen, mit seinem politischen Standpunkt bin ich nicht einverstanden. Aber warum ist es so, daß die künstlerische Beurteilung der Sozlib-Künstlerintelligenz nicht von ihren oft schändlichen politischen Ansichten beeinflußt wird, dagegen ein Mensch, der sich als nationalen Werten verpflichteter Künstler sieht, wegen seiner (mit Recht diskutablen, unter Umständen (esetleg!) sogar unakzeptablen) politischen Ansichten gleich seine künstlerische Tätigkeit aufgeben sollte? Was wäre mit der ungarischen Kultur des 20. Jahrhunderts, wie würde sie aussehen, um wieviel ärmer wäre sie, wenn die unzähligen, mit entsetzlichen kommunistischen Ansichten „gesegneten“ Künstler nicht gewirkt hätten, keine Kunstinstitutionen geführt hätten, weil sie kommunistische Scheißhäusler waren?

Fidesz-Kolumnist Zsolt Bayer bemüht Auschwitz

In seiner Kolumne vom 8.10. im regierungsnahen Magyar Hírlap gratuliert Bayer Dörner und Csurka „von Herzen“ zu ihrer Ernennung und bedient ansonsten den Diskurs, daß internationaler Erfolg nur solchen ungarischen Kulturschaffenden vorbehalten sei, die sich den Forderungen der „liberalen Hegemonie“ einer „engen Interessengruppe“ (=antisemitische Codes) beugen:

„Unterwirf dich und diene ihnen – das ist heute das Erfolgsgeheimnis.
Verweigere den und das, was verweigert werden muß – das ist das andere Geheimnis. Sei so wie die amerikanische Schönheitskönigin: Wenn du gefragt wirst, was dein größter Wunsch ist, hauche mit tränenfeuchten Augen: „Der Weltfrieden“… Dann wird aus dir Theaterdirektor, gefeierter Dichter oder Schriftsteller, Schauspieler, Meinungsmacher, Orakel und politischer Prediger (prédikátor).
Aber wenn du den Weltfrieden, Auschwitz, die Schwulenrechte, die Zigeuner, und zu allem Überfluß auch noch den Schmerz von Ákos Kertész* nicht verstehst, nun, dann bist du für all das ungeeignet.“ (Zitiert von Galamus).

*siehe: Pester Lloyd: Ein Zeitungsartikel als Staatsaffäre und “Antiungarisches Verhalten”: Budapest entzieht Kertész die Ehrenbürgerschaft.

Zsolt Bayer wurde dieses Jahr auf Betreiben von Fidesz-Politikern der Madách-Kulturpreis verliehen (siehe mein Post); sieht bislang nicht so aus, dass er ihn wegen seiner antisemitischen Äußerungen wieder abgeben müßte.

2 Kommentare leave one →
  1. Karl Pfeifer permalink
    11. Oktober 2011 06:55

    Warum gibt eine Partei die eine „Wahlkabinenrevolution“ durchgeführt hat und über eine solide 2/3 Mehrheit im Parlament verfügt solche unangemessene Friedenszeichen an Rechtsextreme?
    Vermutliche Antwort von Fideszapologeten, weil sie Jobbik den „Wind aus den Segeln“ nehmen will.
    Doch wie immer sie es drehen und wenden, vieles verbindet die aktuelle Fidesz Anführer mit den Rechtsextremisten.

    • pusztaranger permalink
      11. Oktober 2011 07:47

      „weil sie Jobbik den „Wind aus den Segeln“ nehmen will.“
      wer so argumentiert ist uninformiert, MIEP ist in keiner Weise besser als Jobbik. Mit dieser Geste hat Fidesz eindeutig eine Grenze überschritten.

      Ich denke, die Strategie geht sowieso nicht auf. Um die rechtsextremen WählerInnen zu kriegen, besonders die Jungen, muss Orbán ihnen nicht nur symbolische Geschenke machen, sondern ihr Widerstandspotential für sich einspannen, und das geht nur, solange sie ein gemeinsames Feindbild haben, eine Bedrohung, gegen die „das Volk“ sich von unten organisieren kann, wie bei den Krawallen von 2006. Was Fidesz damals mit herangezüchtet hat, ist inzwischen zum Selbstläufer geworden, und das Schema wiederholt sich. Jobbik & Co werfen Orbán vor, daß er mit Gyurcsány nicht konsequent genug abrechnet – der große „Tag der Abrechnung“ dürfte am Nationalfeiertag über die Bühne gehen, und sobald Gyurcsány im Alltag nicht mehr als aktives Feindbild funktioniert und präsent ist (weil er in U-Haft sitzt o.Ä.), ist Orbán für die Rechtsextremen endgültig der neue Gyurcsány. Besonders wenn ab 2012 die Maßnahmen greifen, die nicht „nur“ die Roma betreffen, sondern auch jede Menge „unverschuldet in Not geratene Magyaren“. Während die alten MIEPler ihre Theaterstücke spielen, wird Jobbik sich weiter als die Partei der sozial Schwachen (Magyaren) profilieren, „des unterdrückten magyarischen Volkes“ wie gehabt. Und die jungen Rechtsextremen sind sowieso nicht auf traditionelles Theater angewiesen, bei der riesigen rechtsextremen Jugendkultur mit Konzerten, Festivals etc.

      Hab eben nachgeschaut, bei Barikád ist man noch im Triumphrausch über den Sieg der nationalen Sache, aber Kuruc schreibt jetzt schon, daß Csurka an Fidesz ausverkauft hat (Fidesz-bérenc), mit entsprechenden Bildern dazu.

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