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Ungarisches Nationaltheater featuring Jeanne d’Arc, Rui Tavares und Daniel Cohn-Bendit

29. November 2013

Jeanne d’Arc im Dienst der ungarischen Politik: Lasterhafte EU-Politiker in Gestalt von Rui Tavares und Daniel Cohn-Bendit haben Jeanne d’Arc mit ihren Machenschaften auf den Scheiterhaufen gebracht, doch süß und ehrenhaft ist der Tod fürs Vaterland. Zur heutigen Premiere von Arthur Honeggers dramatischem Oratorium „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ im Ungarischen Nationaltheater.

Die Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet am 8.12. eine internationale Konferenz in Berlin: Whatever happened to the Hungarian Theatre?  mit hochkarätigen Gästen aus der ungarischen und internationalen Kulturpolitik.

Welche Rolle soll das Theater kultur- und identitätspolitisch zukünftig in Ungarn spielen? (… )Die Heinrich-Böll-Stiftung will einen pluralistischen Dialog ermöglichen und lädt Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Kultur und Politik am 8. Dezember 2013 nach Berlin ein, um bei der Tagung “Whatever happened to the Hungarian Theatre?” die kontroversen Fragen der politischen, nationalen und kulturellen Identität Ungarns zu diskutieren. (…)

Ein Höhepunkt dürfte das Podium mit dem Intendanten des Budapester Nationaltheaters Attila Vidnyánszky und dem Leiter des Theaters Krétakör Árpád Schilling werden. Das Programm hier.

Von einem der illustren Gäste, László L. Simon, dem stellvertretenden Direktor der Ungarischen Kulturstiftung, war im letzten Post die Rede; heute geht es um Attila Vidnyánszky, den Intendanten des Budapester Nationaltheaters.


(Bei seiner Ernennung durch Superminister Zoltán Balog, 70ra7.hu)

Anlässlich der heutigen Premiere  seiner Inszenierung von Arthur Honeggers dramatischem Oratorium  „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ äußerte er sich gegenüber der ungarischen Presseagentur MTI folgendermassen:

Der wichtigste Gedanke des Stückes sei,

„sich im Namen der Liebe für eine Gemeinschaft, für eine Nation, für ein Land und für eine Heimat, in ihrer Allmächtigkeit und im Namen Gottes aufzuopfern, sich nach seinem Willen zu befreien, frei zu werden und dies in die Tat umzusetzen.“

[Update: Dazu ein Kommentar der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky ganz unten.]

Eine Szene seiner Inszenierung („unser Theater ist immer aktuell, auch noch in tausend Jahren“) hat aktuelle politische Bezüge. Die „Kartenszene“ handelt davon, „dass Johanna wegen der Machenschaften von Politikern auf dem Scheiterhaufen  endet“. Auf riesigen Spielkarten sind  europäische Zeitungen und Karikaturen von EU-Abgeordneten zu sehen, die sich in der Vergangenheit kritisch über die Orbán-Regierung äußerten, unter anderem Rui Tavares und Daniel Cohn-Bendit, worauf im MTI-Bericht eigens hingewiesen wird. (MTI, Népszava)

(fidelio.hu; links: Karikatur von Herman Van Rompuy)

(Guy Verhofstadt, Daniel Cohn-Bendit, Martin Schulz. Bild: hvg)

johanna_nemzeti


(Grüne EU-Abgeordnete protestieren 2011 gegen das ungarische Mediengesetz, Spiegel Online)

[Update 3.12.: In dieser Theaterkritik vom 2.12. heisst es, der Dialogtext wurde ergänzt. Ein Darsteller macht sich über die Figur des Gerichtsvorsitzenden, des Schweins – im französischen Original Cochon – mit dem Wortspiel lustig, „[Sie heißen ] doch nicht  Cohn-Bendit?“

Update Ende]

Nationaltheater als Tempel der sakralisierten Nation

Desweiteren sagte Vidnyánszky der MTI, das Stück passe „von seiner Message her  genau, schön und exakt zum Profil des Nationaltheaters, seinem Glaubensbekenntnis, seiner Gedankenwelt.“

Vidnyánszky betrachtet sein Theater als „sakralen“ Raum: „Ich denke, dass das Theater der Nation, so wie auch die Seele der Nation, in metaphysischen Dimensionen aufgefasst werden muss.“ (Quelle, März 2013) Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Aussegnung des Nationaltheaters durch einen Priester. „Das war wichtig. Wer gläubig ist, versteht das (…).“ (Origo)

Die Diskussion in Berlin dürfte also spannend werden.

(artnews.hu)

[Update: Kommentar der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky:

„Vidnyanszky sieht die höchste Tugend darin, sich für die Nation aufzuopfern. Nach dem Faschismusforscher Roger Griffin ist die „Mystifizierung der Nation“ eines der wichtigsten Elemente des Faschismus. Das ist nichts Anderes als eine Art irdische Metaphysik. Was in der christlichen Liturgie eine Erlösung nach dem Tode von den eigenen Sünden bedeutet, bedeutet in der völkischen Liturgie eine „Erlösung im diesseitigen Dasein“, d.h. Erlösung von den Feinden der eigenen „Rasse“, d.h. von den „Nicht-Ariern“. Etwas frei nach Ulrich Beck (Der kosmopolitische Blick. Oder: Krieg ist Frieden, FfM, 2004, 34): Die Praxis der Verschwörungstheorie ist der Terrorismus selbst. Die Vor-Phase eines solchen staatlichen Terrors erlebt man in Ungarn. Der Aufruf ist schon da.“

Update Ende.]

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