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György Schöpflin an Ulrike Lunacek: Alles nur eine Definitionsfrage.

16. Februar 2012

Am 10.2. hatte der Publizist Zsolt Bayer die grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek in seiner Sendung im rechtsextremen EchoTV wüst beschimpft, Lunacek reagierte am Montag mit einer Beschwerde beim Sender und stellte in Aussicht, die ungarische Medienbehörde anzurufen. Der Vorfall hatte ein Nachspiel im EU-Parlament, und am Mittwoch meldete sich der Fidesz-Europaabgeordnete György Schöpflin mit einer Mail an Ulrike Lunacek zu Wort, die von mehreren ungarischen Medien kolportiert wurde (siehe unten). Hier die englische Originalversion, mit herzlichem Dank an Ulrike Lunaceks Pressesprecher Wolfgang Machreich:

Von: SCHÖPFLIN György (…)
Datum: 15. Februar 2012 02:01:50 GMT-08:00
An: „LUNACEK Ulrike (…)“MEP & ASSISTANTS-7th-Legislature“ (…)
Betreff: RE: Outrageous comments about me, Comm. Kroes and the EP in Hungarian Echo TV
Dear Mrs Lunacek,

I have listened to the comments made about you in the Echo TV discussion that you noted in your letter and had the advantage of being able to do so in the original Hungarian.

The comments about you made by the participants can certainly be categorised as impertinent and discourteous, but that is nothing more than the cut-and-thrust of debate that those in the public sphere have to live with. You are perfectly entitled to describe them as „outrageous“, but the definition of outrageous will always be subjective.

There was only one point where you might have a claim for defamation, where the participants accused you of falsehood, viz. that you claimed that there had been anti-Semitic posters held up during the pro-government demonstration on the 21 January. If you can prove that such placards were, in fact, present, then the accusation made against you was untrue. Given your extensive sources in Hungary, I am sure that you will be able to produce this evidence in short order.

At the same time, given that your starting point is a subjective experience („outrageous“), you will, I am sure, let me do something analogous. I must confess to being perplexed at your repeated intervention in Hungarian affairs and there are times when I wonder what your motives might be. Why Hungary? Why not some other country? Can you definitively demonstrate that matters are so much worse in Hungary than in some other country? Only you can answer this question, but if you cannot, then do not be surprised that some people will suspect you of applying a double standard.

György Schöpflin

MEP for Hungary (Fidesz) and formerly Jean Monnet Professor of Politics, University of London (…)

Presseecho in Ungarn

Schöpflins Mail wurde bislang von der linksliberalen Népszabadság und Zsolt Bayers regierungsnahem Magyar Hirlap Online aufgegriffen und von politics.hu erwähnt. Magyar Hirlap titelt, „Die österreichische Grüne will Zsolt Bayer anschwärzen“, und dort wird immer noch pauschal behauptet,  „die österreichische Abgeordnete hatte die Teilnehmer des Friedensmarschs im Europäischen Parlament des Antisemitismus angeklagt.“

Für das rechtsextreme Portal Hunhir bietet Schöpflins Brief eine willkommene Steilvorlage, Lunacek wegen ihrer Beschwerde bei EchoTV als „Jüdin“  anzugreifen („Mit diesem Namen und diesem Gesicht Haß zu verbreiten, führt nur zum Erstarken des europäischen Antisemitismus“, hier.) Allerdings stecke nicht Lunacek selbst dahinter, sondern die „Achse Brüssel- New York – Tel Aviv“ (hunhir, Artikel übernommen von nemenyi.net). Und während Schöpflin von Lunaceks „extensive sources“ in Ungarn spricht, die sicher schnell Beweise finden werden, „übersetzt“ Hunhir dies in der Artikelüberschrift als Lunaceks „Verwandte in Ungarn“ (antisemitischer Code),  die diese Beweise schon für sie fabrizieren würden („Vaterlandsverräter von der Zwergenminderheit“, lies: „Juden“).

Dabei genügt eine einfache Google-Recherche. Die mittlerweile bekanntesten Beispiele:


EU-Fahne, roter Stern und Davidstern – ab damit in die Tonne. (Népszava)

EU-Wolf mit Schläfenlocken (The Contrarian Hungarian/Facebook):

(Edit: Auch bei mandiner.hu – eine seriöse Quelle. Bild einzeln; im Fotoreport. Danke Contrarian Hungarian für den Hinweis.)

Zuerst verdeckt getragen (Bild: Demokrata.hu, Medienpartner der Veranstaltung)…

… und später offen in der Menge:

(Pester Lloyd)

Nun kann man natürlich auch diese Transparente als Definitionsfrage abtun, und die Kommunikation von EchoTVund Magyar Hirlap läßt vermuten, daß die Sache darauf hinausläuft. Die Antisemitismusforscherin Magdalena Marsovszky jedenfalls hat definitiv antisemitische Transparente auf dem „Friedensmarsch“ gesehen, und begründet das wie folgt:

Der Antisemitismus ist in Ungarn nicht im engeren Sinne als Hass gegen eine real existierende Bevölkerungsgruppe, also gegen Menschen mit jüdischer Identität, zu verstehen. Die Abneigung richtet sich gegen symbolische „Juden“, gegen „Fremde an sich“ und zielt eher gegen Politiker und Medienvertreter (und hier vor allem gegen sozialistische und liberale), die einem missfallen, als gegen reale Juden. Ob nun der ungarische Antisemitismus als „kultureller Code“, als „Weltanschauung“ definiert wird, er richtet sich jedenfalls gegen die „Anderen“, die im Gegensatz zum Mythos vom „magyarischen Vaterland“ und der „durch das eigene Blut getränkten Heimaterde“ (im Sinne des völkischen Blut- und Boden-Mythos) den Kosmopolitismus,  die Internationalität, die Urbanität und die Intellektualität verkörpern. (…)

In diesem Sinne kann sich aber der Antisemitismus auch gegen die Europäische Union oder gegen die die Nato richten, die auch „fremdbestimmt“ (zionist occupied) seien und nur die Absicht hätten, „kleine Völker“, wie z.B. „das Magyarentum“ zu unterjochen oder zu kolonisieren. Auch der Prozess der Globalisierung wird vielfach als „planvoll gesteuerte Vernichtung“ der magyarischen Kultur, der Traditionen, der Werte und letztendlich der ganzen Nation und des ganzen Volkes durch die Juden gesehen. „Globalisten“ und „Globalisierung“ sind allseits bekannte antisemitische Codes und stehen oft auch synonym für den Zionismus. Der Ausdruck „Wir lassen uns nicht kolonisieren“ auf der Demonstration entspricht dieser Denkweise.

Typisch für den Antisemitismus ist auch das verkürzt-antikapitalistische Denken, das sich oft gegen die westlichen „Multis“ richtet. Rechte Wirtschaftswissenschaftler, wie z.B. László Bogár sprechen z.B. immer wieder von den „globalen Kapitalstrukturen und deren ergebensten heimischen Vasallen“ und bedienen damit ebenfalls das antisemitische Stereotyp der „zionistischen Fremdbestimmung“. In diese Denkweise lässt sich die feindliche Einstellung gegen die IMF einordnen.

All diese Stereotypisierungen des Antisemitismus, die man strukturellen Antisemitismus nennen kann, konnte man auf den Transparenten dieser  Demonstration finden.“

Vgl.: Völkisches Denken, antisemitische Mobilisierung und drohende
Gewalt in Ungarn, von Magdalena Marsovszky, veröffentlicht auf Republikon.hu (pdf).

5 Kommentare leave one →
  1. 17. Februar 2012 11:12

    finde ich lustig, wie hier wieder mal argumentiert wird. wieder die sachen, ihr seid ja idioten und versteht kein ungarisch. auch die berufung darauf, daß in ungarn einfach ein rauerer ton herrsche, finde ich ganz einfach lächerlich. also ich kenne keine leute und ich kenne relativ viele leute, mehr als für eine repräsentative umfrage nötig wären, und auch ganz einfache menschen hier in ungarn, die so reden würden wie bayer zsolt, ja nicht einmal auf der straße würden sie so reden.
    auch ist es lustig, wie diverse eiferer in foren wie bei standard.at professionelle übersetzer schulmeistern, dass sie eine beschimpfung tendenziös übersetzt hätten, dass in der übersetung nicht wortwörtlich dortsteht, was im original dorsteht. ja, das ist eben der unterschied zwischen einem professionellen übersetzer und einem, der schon einmal ein wörterbuch in der auslage einer buchhandlung gesehen hat. mir ist auch neu, daß man eine beschimpfung objektiv übersetzen kann. und ich habe doch einige jahre erfahrung bezüglich übersetzung und übersetzungstheorie und noch mehr erfahrung bezüglich beschimpfungen.

  2. Karl Pfeifer permalink
    17. Februar 2012 15:28

    Oben schrieb ich dass es klar sein muss, dass Herr Navracsics kein „úriember“ ist, das gleiche kann man auch über den Herrn Prof. Schöpflin sagen, der meint, eine Politikerin müsse sich von einem Lohnschreiber schmähen lassen. Kritik, Ironie, Satire müssen Politiker erdulden, nicht aber grobe Beleidigungen.

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