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Rechtsextreme Demo gegen Alföldi-Inszenierung „Stephan, der König“

1. September 2013

Mit einem Kommentar der Dramaturgin Anna Lengyel.

[Update 3.9.2013: Am 2.9. wurde Róbert Alföldi in Szentendre auf offener Straße von drei jungen Männern angegriffen. Er konnte sich in ein Museum flüchten und die Polizei rufen. Gegen zwei von ihnen wird wegen Landfriedensbruch ermittelt. atv]

Bei der Budapester Uraufführung der Rockoper „Stephan, der König“ in der Inszenierung von Róbert Alföldi am Freitag mussten die Besucher an etwa hundert rechtsextremen Demonstranten vorbei, die sie als „Vaterlandsverräter“, „dreckige Schwulensäue“, „dreckige Juden“ etc. beschimpften („Warum führt ihr sowas nicht in der Synagoge auf, warum beleidigt ihr ständig meine Nation! Dreckige Schwulensäule!“, Video s.u.).

Dem Demonstrationsaufruf der Wächter der Karpatenheimat hatten sich unter anderem die Ungarische Nationale Garde und die Jobbik-nahen National gesinnten Biker angeschlossen.

Die Polizei war vor Ort und verhinderte Übergriffe auf die Besucher und die friedliche Gegendemonstration mehrerer antifaschistischer Gruppen, darunter die Facebook-Gruppe „Toleranz“, Szolidaritás und  die Liga der Ungarischen Widerstandskämpfer und Antifaschisten MEASZ. Vor genau einem Jahr war deren Vorsitzender Vilmos Hanti nach einer Demonstration vor dem Neuen Theater von Neonazis zusammengeschlagen worden.

Das Regierungsmedium Magyar Nemzet berichtete von „Demonstrationen extremistischer Gruppen für und gegen die Aufführung“. Der zivilgesellschaftliche Protest gegen die Nazis wird im Bericht unterschlagen, umso mehr wird die  „Homosexuellenfreundlichkeit“ der „extremistischen“ Pro-Alföldi-Demonstranten herausgestellt.


T-Shirt: „Ich bin Magyare, kein Jude“

Friedliche Gegendemonstration: „Orbán ist verantwortlich!“

„Ich bin Ungar, kein Gardist!“ (Szolidaritás, Facebook)

Kommentar der Dramaturgin Anna Lengyel

„Das Mädchen, das nicht „Schwuchtel“ gebrüllt hat“, verdient heute in Ungarn einen Artikel auf dem grössten Nachrichtenportal. Es geht um die Neuinszenierung der dreißigjährigen historischen Rockoper „Stephan, der König“. Der Komponist Levente Szörényi, ein loyaler Freund der Regierung, sorgte für Aufsehen, als er Róbert Alföldi mit der Neuinszenierung zum 30. Jubiläum beauftragte. Er meinte, er habe das künstlerische Mittelmaß satt (er nannte Namen), Alföldi sei ein hervorragender Regisseur und solle darum die Oper auf die Bühne bringen. Der Regisseur und Schauspieler Alföldi, in Ungarn wegen seiner Fernsehauftritte bekannt, fand in den letzten Jahren auch internationale Anerkennung, als er 2008 die Intendanz des Nationaltheaters übernahm und eine absolute Erfolgsgeschichte daraus machte. Seine zeitgenössischen, zum Teil herausragenden Inszenierungen waren komplett ausverkauft, die Ticketverkäufe stiegen um 40%. Sein Theater mit internationalen Gästen und Gastspielen in Europa, und einem moralisch wie künstlerisch unheimlich stark geschmiedeten Ensemble, zog vor allem junge Menschen an. Noch berühmter wurde er, als die ungarischen Rechtsextremen ihn als „Schwuchtel“, „Juden“ und „Perversen“ beschimpften und vor dem Theater gegen ihn demonstrierten, da er „des Nationaltheaters nicht würdig sei“. Im Parlament wurde er [von Jobbik-Vize Elöd Novák] als „Roberta“ verhöhnt; indem die Regierung sich nicht dazu äußerte, signalisierte sie ihre Zustimmung. 2013 wurde das Theater an den Orbán-Gefolgsmann Attila Vidnyánszky übergeben, der dreißig (!) voll ausverkaufte Produktionen absetzte, um dafür in den ersten zwei Monaten der neuen Intendanz neben einer Premiere nur seine eigenen alten Inszenierungen der letzten zehn Jahre aus verschiedenen Häusern anzubieten, während etwa zwei Drittel des Ensembles Däumchen drehen darf. Alföldi dagegen hat seither endlose Aufträge (für diese Spielzeit allein im deutschsprachigem Raum zwei), darunter „Stephan, der König“. Das Stück selbst war meines Erachtens nie gut, aber wie ich finde, hat Alföldi das Maximum herausgeholt. Attila Vidnyánszky erklärte bei seinem ersten öffentlichen Ensembletreffen, was das Ensemble unter Alföldi machte, sei „feige“ und keine hohe Kunst usw. – leider stand in diesem Moment kein Mitglied des Alföldi-Ensemble auf (am Ende der letzten Spielzeit kündigte etwa ein Viertel aus moralischen Gründen, einigen kündigte Vidnyánszky). In einem Interview erzählte er, dass er von „Stephan, der König“ nur zehn Minuten im Fernsehen gesehen habe – aber genug, um festzustellen, wie schlecht und falsch die Inszenierung sei.

Einige zehntausend Menschen wollten die Inszenierung trotzdem live sehen, sogar für den im ungarischen Theater fast unerhörten Preis von 100 Euro. Diejenigen, die dann gestern zur Budapester Premiere eilten – unter ihnen auch zehnjährige Kinder, die man im Video deutlich sieht – mussten von rechtsextremen Demonstranten Schimpfereien wie „Junkies, Schwuchtel, Abschaum“ erdulden, von Unmenschen in T-Shirts mit der Aufschrift „Magyare bin ich, kein Jude“.
Die meisten Demonstranten hatten die Inszenierung nicht gesehen, einige zehn Minuten davon, was ja aber bekanntlich reicht. Attila Vidnyánszky, der neue Intendant des ungarischen Nationaltheaters, spielt im Gegensatz zu Alföldi vor nur halbvollem Haus, aber auf der Straße hat er Gefolgschaft.

3 Kommentare leave one →
  1. Don Kichote permalink
    1. September 2013 20:24

    Das sind ja tolle Aussichten zurück in die Zukunft, in eine Zeit in der Horthy noch Kult war. In dem Video auf Index.hu hörte ich auch von den Rassisten „ihr Junkies“. Nicht das es schlimmer wäre wie die anderen Beschimpfungen, es erinnerte mich aber an einen Journalisten…. Hat Orbans-Fidesz nichts dazu gesagt oder irgendein Politiker oder irgendein Bürgermeister, @Pusztaranger?

  2. ViktorIna permalink
    2. September 2013 12:14

    „A kultúrárol azt sem tudják, eszik-e vagy megiszák“

  3. Kay Okein permalink
    5. Oktober 2013 23:31

    Hey Pusztaranger, Du hast glaube ich in der zweiten Zeile aus Versehen Antisemitismus statt Antiziganismus geschrieben.

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