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Veritas-Institut: Staat verordnet Geschichtsbild

1. Dezember 2013

Ab 2014 wird das offizielle Geschichtsnarrativ der ungarischen Regierung von einem eigenen Forschungsinstitut mit dem Namen Veritas (kein Witz) produziert. Als zukünftiger Leiter gilt [Update 2.1.2014: Neuer Leiter ist] der derzeitige Vizerektor der Nationalen Universität für öffentlichen Dienst. Der Militärhistoriker ist auch bei den Rechtsextremen gern gesehener Gast: Er betreibt die Rehabilitierung der Horthy-Gendarmerie.

Zum 2.1.2014 ruft die ungarische Regierung ein eigenes historisches Forschungsinstitut zur ungarischen Geschichte der letzten 150 Jahre ins Leben. Es soll den Namen Veritas tragen und Staatssekretär im Kanzleramt János Lázár unterstehen. Laut Regierungsdekret hat das Institut die Aufgabe, „die ungarischen Regierungstraditionen in würdiger Art und Weise darzustellen“, die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse der letzten 150 Jahre  „glaubwürdig und multidisziplinär zu erforschen, zu analysieren und der Öffentlichkeit zu präsentieren“; das Ganze mit dem Anspruch, „das Nationalbewusstsein zu stärken.“

Hier sollen mit Steuergeldern regierungskonforme Geschichtsnarrative produziert werden, siehe auch Hungarian Spectrum: Veritas Historical Research Institute: State ordered history, November 11, 2013

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Als zukünftiger Leiter dieses Forschungsinstituts wird in den Medien der Militärhistoriker Sándor Szakály gehandelt, derzeit wissenschaftlicher Vizerektor der Nationalen Universität für öffentlichen Dienst (Lebenslauf auf Englisch).

[Update 2.1.2014:  Szakály wurde für fünf Jahre zum Leiter ernannt. „Das Institut erforscht die Periode des Dualismus bis zur Wende, mit dem Ziel, die nationalen Schicksalswenden ohne Verzerrungen offenzulegen und das Geschichtsbewußtsein der ungarischen Gesellschaft zu stärken.“ Magyar Hirlap, 31.12.2013]

Laut Szakály wird das Veritas-Institut ein Budget von  250-300 Millionen Forint und 22-25 Mitarbeiter haben. (Nol)

Am 28.11. hielt Szakály in Szekszárd im Rahmen einer rechtsextremen Veranstaltungsreihe vor etwa 150 Personen einen Vortrag über das Leben von Gyula Gömbös,  führender rechtsextremer Politiker des Horthy-Regimes und Ministerpräsident Ungarns (1932–1936). (Nol) Unter seiner Regierung näherte sich Ungarn dem faschistischen Italien, dem austrofaschistischen Österreich und dem nationalsozialistischen Deutschland an. (wiki)

Zu der vom früheren Miép-Kandidaten und heutigem Szekszárder Jobbik-Stadtrat Dr. Csaba Attila Tóth organisierten Veranstaltungsreihe in der Aula des János Garay-Gymnasiums siehe auch Post Fidesz, Jobbik, Albert Wass und die “Landnahme der Ratten”, 7. Juni 2013.

Gendarmerie reinwaschen

Eines von Szakálys wichtigsten Themen ist die historische „Aufarbeitung“ bzw. positive Neubewertung der ungarischen Gendarmerie, die 1944 an der Deportation der ungarischen Juden nach Auschwitz maßgeblich beteiligt war und deswegen 1945 aufgelöst wurde; hier im Fidesz-nahen rechtsextremen Echo-TV im September. Szakály entlässt die Gendarmerie aus der Verantwortung für die Deportationen (ab 13:00), indem er sinngemäss auf einem Unterschied zwischen Befehlserfüllung und zu verurteilenden, nicht für die Gendarmerie bezeichnenden Einzelfällen besteht, in denen es zu Übergriffen gegen Juden gekommen sei. Außerdem, so wird von den Teilnehmern argumentiert, hätten die Juden selbst nicht gewusst, wohin die Deportation sie führen würde (ab 19:oo). Zum Schluss werden vom Moderator die Kriegsverbrecher Sándor Képíró und  László Csatáry erwähnt und die diesbezügliche Untätigkeit der ungarischen Behörden kritisiert; dadurch wird aber auch impliziert, dass Képíró und Csatáry als „zu verurteilende Einzelfälle“ und die Gendarmerie als „unschuldig“ betrachtet werden.


Musterbeispiel „christlicher“ Pflichterfüllung: Sándor Szakály: „Die Anführer der ungarischen Gendarmerie zwischen 1919 und 1945“

(Bilder: Hungarian Spectrum: The return of the gendarmerie? July 13, 2009)

Die Gendarmerie als tragisches Opfer der Pflicht

Auch bei expliziten Jobbik-Veranstaltungen referiert Szakály immer wieder über die „Königliche Ungarische Gendarmerie“.

szakaly

Aus einem Interview mit dem Jobbik-Magazin Barikád (eingestellt auf der Seite von Jobbik Komárom, ohne Jahresangabe):

F: (…) In Anbetracht der ungarischen öffentlichen Sicherheit, der verheerenden Ausbreitung der Zigeunerkriminalität (sic) und der tragischen Situation der Polizei halten es viele für sinnvoll, die Gendarmerie wieder einzuführen. Dafür spricht Jobbik sich konkret aus. Halten Sie diese Erwägungen für berechtigt?

A: Ich denke, die Frage ist nicht, welchen Namen wir einer Organisation zum Schutz der öffentlichen Sicherheit geben, sondern, inwiefern sie fähig ist, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Einst war es eine Berufung, Gendarm zu sein. Heute Polizist zu sein ist nur noch ein Beruf (…).

F: Warum, glauben Sie, sind gewisse Kreise (egyesek) gegen die Wiedereinführung der Gendarmerie?

A: Meiner Einschätzung nach einerseits deshalb, weil sie die Geschichte der damaligen Gendarmerie nicht kennen, bzw. weil in Vielen noch heute die Erinnerung daran lebt,  bzw. ihnen die Erinnerung daran weitergegeben wurde,  dass die Ungarische Königliche Gendarmerie bei der Deportation der ungarischen Juden eine aktive Rolle spielte.  Im Frühling 1944 bat eine Offiziersdelegation der Gendarmerie um eine Anhörung beim Staatsoberhaupt, dem Reichsverweser Miklós Horthy,  man möge die Gendarmerie nicht für diese Aufgabe einsetzen, da sie seinerzeit nicht für eine solche Aufgabe gegründet worden sei. Wenn sie den Befehl trotzdem ausführen müssten – und es war keine Frage, dass sie ihn ausführen würden – würde das den „Tod“ der Organisation bedeuten. Die Frage fand keine Erhörung, die Mitglieder der Gendarmerie erfüllten die ihnen zugeteilte Aufgabe, und unterschrieben damit – metaphorisch gesprochen, aber in zahlreichen Fällen auch in Wirklichkeit – ihr eigenes Todesurteil. (…)“

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