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Rechter Kulturkampf in Ungarn: Zensur und Bücherverbrennung?

1. November 2009

Am 6. Oktober, dem nationalen Gedenktag des ungarischen Freiheitskampfes von 1848, wurde im südostungarischen Békéscsaba bei den offiziellen Feierlichkeiten ein Gedicht des ungarischen Dichters György Faludy vorgetragen.

Die ultrarechte Partei Jobbik protestierte dagegen, denn sie betrachtet Faludy als „Zionisten und Magyarenfeind“. Jobbik wollen in Zukunft eine Vorabzensur der Dichter durchsetzen, die bei staatlichen Feierlichkeiten rezitiert werden.

Es gab empörte Reaktionen aus dem linken Spektrum, aber auch von den Christdemokraten MDF.

Der linke Publizist Iván Andrassew reagierte mit einem Aufruf in der linken Presse, sich das nicht gefallen zu lassen, und gerade jetzt Faludy-Verse zu rezitieren. Später äußerte er sich auf seinem Blog überwältigt von der Menge an positivem Feedback. Sein Fazit, sinngemäß: Die Demokratie ist bedroht, doch es gibt Hoffnung.

Und nun das: In der rechtsradikal-konservativen Wochenzeitschrift „Magyar Demokrata“ (Ungarischer Demokrat) wird in einem Artikel von Ádám Pozsonyi dazu aufgerufen, die Werke von jüdischen Autoren aus den Bibliotheken zu stehlen und zu vernichten.

Unter anderem steht da zu lesen:

Sprechen wir es laut aus: Das geistige Leben Ungarns ist schon seit langem unter fremder (lies: jüdischer) Herrschaft (…).

Gründen wir kleine Kommandoeinheiten. Durchkämmen wir in Gruppen von drei oder vier Leuten die Bibliotheken, und stehlen und vernichten wir die Krebsgeschwüre der linksliberalen Vaterlandsverräter und der Geschmacklosigkeit. (…) machen wir den Dreck dieser protegierten Vaterlandslosen, die von unseren vaterlandsverräterischen Medien auf allen Ebenen propagiert werden, unschädlich, so dass sie ihr geistiges Vergiftungswerk nicht fortsetzen können.

Diese Aufgabe sollte nicht unterschätzt werden. Das Schicksal der Welt wird sich auf geistiger Ebene entscheiden, und es ist nicht egal, womit unsere Jugend – deren Anzahl immer weiter sinkt – sich die Seelen vergiftet, und was sie an die folgenden, noch ungeborenen Generationen weitergibt.

„(…) Konrád ist ein Fluch, und von Nádas kommt mir das Kotzen.“ Das sei die Losung (wörtlich: der Marsch) der zu gründenden kleinen Freischärlergruppen, die in einen heldenhaften, heiligen Krieg für die Säuberung des geistigen ungarischen Lebens ziehen. Moralische Skrupel sind hier nicht angebracht. Das sind unsere Mörder, und ihr Gift muss aus unserem Organismus (lies: Volkskörper) ausgeschieden werden. (Volltext s.u.)

In Deutschland undenkbar, in Ungarn kein Problem. Ich habe den Eindruck, daß die Erosion von demokratischen Grundwerten in Ungarn immer rasanter voranschreitet – solche Inhalte breiten sich in den ungarischen Medien immer weiter aus. Aber es gibt eben auch Leute wie Iván Andrassew. In seinem Blog machte er am Freitag auf den Demokrata-Artikel aufmerksam und startet einen weiteren Aufruf:

(…) Ich bitte nur um eins: Schützen wir gemeinsam die Bücher. Ich bitte die Bibliothekare, die Buchverkäufer, die Leser, die Kunden, lassen Sie nicht zu, daß solche Gedanken in diesem Land Fuß fassen und wüten. Ich weiß nicht, wie wir die Bücher vor der Zerstörungswut bücherverbrennender (wörtlich: Gedanken ausmerzender) Gardisten bewahren können, aber wenn es sein muß, verstecken wir sie an einem sicheren Ort, wie das unsere Vorfahren in anderen, verhängnisvollen Momenten der Geschichte (vészterhes történelmi pillanatokban) schon oft getan haben.

Es kann nicht angehen, daß lesende Menschen sich mit so etwas einverstanden zeigen, so etwas dulden. Es kann nicht angehen, dass dies in Ungarn zu einer Frage von Glauben, Weltanschauung oder politischer Einstellung wird.

Ich bitte Sie, es im Sinne Pozsonyis (…) zu sehen: Diese Aufgabe sollte nicht unterschätzt werden, denn „das Schicksal der Welt wird sich auf geistiger Ebene entscheiden.“ Schätzen wir uns nicht zu gering! Und ich bitte Sie: Was immer geschieht, wir werden moralische Skrupel haben!

Ich bitte Sie, mit dem Gedanken einverstanden zu sein, den der Demokrata überraschenderweise auf einer anderen Seite derselben Ausgabe zitiert:

„Nationen werden liquidiert, indem man ihnen zuerst ihr Gedächtnis nimmt, ihre Bücher, ihre Bildung und ihre Geschichte vernichtet. Und dann beginnt jemand, andere Bücher zu schreiben, ihr eine andere Art von Bildung anzubieten, und ihr eine andere Geschichte zu ersinnen. Langsam wird die Nation aufhören, ihre Gegenwart zu begreifen, und vergisst ihre Vergangenheit. (Milan Kundera)“

Die Tageszeitung Népszabadság hat sich Andrassews Aufruf heute angeschlossen.

Edit 3.10.: Hungarian „patriot“ wants to destroy books – von Karl Pfeifer auf Antifa-Hungary

Edit 8.11.: Der Demokrata-Artikel hat es bis ins schwedische Fernsehen geschafft. Hier mehr dazu auf einem ungarischen Schweden-Blog.

Edit 27.11.: Der Post wird gerade extrem oft besucht. Hier gibt’s die Fortsetzung: Mein Post über den schwedischen Report vom 8.11., und Jobbiks Reaktion darauf, 24.11.

Edit 28.11.: Mit 170 hits hat dieser Post gestern den Tages-Besucherrekord des ganzen Blogs gebrochen, das ist sogar mehr als bei den Romamorden. 

Noch ein Nachtrag zu Ádám Pozsonyi: Ich habe immer mal wieder auf anderen Blogs Kommentare gelesen, die seinen Artikel verteidigen als ironischen literarischen Befreiungsschlag eines zornigen jungen Autors/ Ex-Punks/ Bürgerschrecks gegen das verknöcherte literarische Establishment, quasi Aufstand gegen die übermächtige Vätergeneration, und wenn derzeit die politische Lage nicht so gespannt wäre, hätte kein Hahn danach gekräht.

Ich sage nur: Mag ja sein, aber Ádám, so wird das nichts mit dem Literaturnobelpreis.

Edit 5.12.: Andere dazu: „Ein Witz (hoffentlich): Ein Bibliothekseklat in Ungarn.“ Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.

*

Hier im Volltext:

(Edit: Hier und hier noch andere deutsche Versionen)

Ádám Pozsonyi: „Auf in den Kampf!“

(Magyar Demokrata 2009, Nr. 43, S. 40, Printausgabe. Volltext zitiert von hier. Übersetzung Pusztaranger.)

Die Einrichtung einer Kulturpolizei ist mir schon lange ein großes Anliegen, doch sind weder ich noch meine Freunde in einer Position, diese praktische und dem allgemeinen Wohl dienende Maßnahme in die Tat umzusetzen.

Sprechen wir es laut aus: Das geistige Leben Ungarns ist schon seit langem unter fremder (idegen, lies: jüdischer) Herrschaft, aber so sehr waren die Reste ungarischen Denkens nicht einmal in den finstersten Jahren des 20. Jahrhunderts aus dem allgemeinen Denken ausgemerzt wie heutzutage. Da unsere politische und geistige Elite fremd (lies: jüdisch) ist, müssen wir handeln, wie unsere heldenhaften Vorfahren (…) damals, als unser Land durch Trianon verstümmelt wurde.

Gründen wir kleine Kommandoeinheiten. Durchkämmen wir in Gruppen von drei oder vier Leuten die Bibliotheken, und stehlen und vernichten wir die Krebsgeschwüre der linksliberalen Vaterlandsverräter und der Geschmacklosigkeit. Falls es schwierig ist, Exemplare hinauszuschmuggeln, reißen wir Seiten heraus, kritzeln wir darin herum, machen wir den Dreck dieser protegierten Vaterlandslosen, die von unseren vaterlandsverräterischen Medien auf allen Ebenen propagiert werden, unschädlich, so dass sie ihr geistiges Vergiftungswerk nicht fortsetzen können.

Diese Aufgabe sollte nicht unterschätzt werden. Das Schicksal der Welt wird sich auf geistiger Ebene entscheiden, und es ist nicht egal, womit unsere Jugend – deren Anzahl immer weiter sinkt (Große Sorge der Ultrarechten: Dass die Ungarn aussterben.) – sich die Seelen vergiftet, und was sie an die folgenden, noch ungeborenen Generationen weitergibt.

„(…) Konrád ist ein Fluch, und von Nádas kommt mir das Kotzen.“

Das sei die Losung (wörtlich: der Marsch) der zu gründenden kleinen Freischärlergruppen, die in einen heldenhaften, heiligen Krieg für die Säuberung des geistigen ungarischen Lebens ziehen. Moralische Skrupel sind hier nicht angebracht. Das sind unsere Mörder, und ihr Gift muss aus unserem Organismus (lies: Volkskörper) ausgeschieden werden. Wenn schon die „ungarische“ Regierung, der „ungarische“ Schriftstellerverband und der Verein des „ungarischen“ Buchhandels das nicht tut. Nebenbei bemerkt sortieren auch sie uns aus, nur verfügen sie über einen weitaus größeren materiellen Hintergrund, sie gehen dabei viel niederträchtiger vor, und verheimlichen es nicht einmal.

Unser Ziel ist erreicht, wenn jeder Ungar (wörtl. ungarischer Mensch, völkisch konnotiert) beim Anblick eines Bandes von Esterházy oder Bacher (…) unwillkürlich in Richtung Mülleimer blickt und mit halb geschlossenen Augen, eventuell unterdrücktem Gähnen, eine wegwerfende Handbewegung macht.

Auf in den Kampf, meine Freunde, auf in den heiligen Krieg (szent küzdelem)!

*

Nun, von sowas kommt mir das Kotzen, und ich hoffe meinen werten LeserInnen auch.

Der Demokrata steht der nationalkonservativen Oppositionspartei FIDESZ nahe. Die werden bei den Parlamentswahlen im nächsten Frühling die absolute Mehrheit haben. Und das sind noch gar nicht mal die Ultrarechten – das sind Jobbik, mit einer Prognose von über 10%.

Hier noch das aktuelle Titelbild des Demokrata – das präsentiert sich nicht etwa wie ein ultrarechtes Kampfblatt, sondern wie eine ganz seriöse Zeitschrift, was?

molnar-demokratacimlap

Wer da lächelt, ist der skandalträchtige FIDESZ-Abgeordnete Oszkár Molnár, der hier schon öfter erwähnt wurde. In den letzten Wochen hat er landesweit durch antisemitische Tiraden auf sich aufmerksam gemacht. Titel: „Ich nehme nichts zurück.“

Doch dazu mehr im nächsten Post.

5 Kommentare leave one →
  1. 1. Dezember 2009 11:21

    Vielen Dank, dass es so aufmerksame und kritische Geister gibt! Auch ich sehe die Entwicklung in Ungarn mit großer Sorge – ultrarechtes Gedankengut findet wegen der nationalen Grundhaltung allzu leichtfertig einen „guten“ Nährboden.
    Wachsamkeit allein wird zuwenig sein – es gilt die Besonnenheit vor allem auf Seiten der Fidesz einzufordern! Wenn man einst staatstragend sein will, dann muss man gegen derartige machenschaften klare Worte erwarten.

  2. Gyökössy Kinga permalink
    6. Dezember 2009 12:56

    Es ist furchtbar, wenn wir anständige Ungarinnen, so was erleben müssen, nach den 2. Weltkrig, und hier in D. lebend. Ich liebe mein Heimat mit sein Schönheit, Literatur. Und ich bin stolz, daß wir berühmte Schriftsteller haben, egal welche Abstammung sie haben, und ich hoffe, daß solche Aufruf, keine normale, kultivierte, Bibliothek-besucherInnen nachgechen werden.

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