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Polizeistrategie in Hejőszalonta: Jobbik marschiert, Roma solange ins „Ghetto“

17. April 2011

Zu den Aktivitäten von Jobbiks „Bürgerwehr“ seit Anfang März:

Pusztaranger: Rechtsextreme „Bürgerwehr“ terrorisiert Roma
Pusztaranger: Rechtsextreme „Bürgerwehr“ plant nächsten Großeinsatz – Roma kündigen Gegendemo an ; Gyöngyöspata Solidarity – How to Help ; Gyöngyöspata Solidarity/Commmunity.hu: Ghetto Logic: the Hungarian Police in Hejoszalonta; Pester Lloyd: Machtergreifung – Neonazis übernehmen Polizeigewalt in Ungarn; Der Standard: Jobbik-gestütze Bürgerwehr patrouilliert gegen Roma; ORF: Ungarn: „Bürgerwehr“ gegen Roma; Amnesty.at: Urgent Action / Ungarn: Bürgerwehren bedrohen Roma.

Zu Hejôszalonta: Die Presse: Ungarn: Jobbik ruft zu Demo „gegen Zigeunerterror“; ntv: Ungarns Roma in AngstRechtsradikale marschieren wieder

Zu Hajdúhadház: Die Presse: Ungarn: Rechtsradikale patrouillieren in Roma-Viertel; Der Standard: Rechtsextreme „Patrouillen“ in Roma-Viertel

Aktuelle Entwicklung

Seit letzter Woche kommt jetzt endlich Bewegung in die Sache – oder doch nicht? Nach Protesten von Menschenrechtsorganisationen und der EU-Kommission hat der Innenminister am 13.4. verkündet, die Patrouillen in Hajdúhadház seien beendet worden. Jobbiks „Bürgerwehr“ marschierte darauf gegen das Verbot weiter.

Am 13.4. wurde die Polizei erstmals gegen die Mitglieder der Bürgerwehr aktiv – sie nahm zuerst Personalien auf, schließlich wurden fünf Personen verhaftet.

Am 16.4. stellte das Gericht das Verfahren gegen sie ein, sie sind wieder auf freiem Fuß. Fünf Jobbik-Abgeordnete haben deswegen Anzeige gegen den verantwortlichen Polizeikommandanten gestellt.

Siehe auch tt.com: Gericht entließ Mitglieder rechtsradikaler Bürgerwehr:

Laut der zuständigen Richterin, Timea Deli, hätten die Verhafteten nicht gegen das Gesetz verstoßen.Bei dem Verhör habe sich weiter herausgestellt, dass das Patrouillieren der Bürgerwehr in Hajduhadhaza von der Bevölkerung mit „herausragender Sympathie“ begleitet würde, so Deli. Laut Aussendung des Innenministeriums legte die Polizei Berufung gegen das Gerichtsurteil ein und vertritt weiter jenen Standpunkt, dass das Marschieren der Bürgerwehr in Hajduhadhaza als Gesetzverstoß zu betrachten sei. Die in schwarzen Uniformen, „provokativ auftretenden“ Mitglieder würden im Kreise der Roma „Ängste schüren, was in einem Rechtsstaat inakzeptabel“ sei.

Schöne Worte, dafür, daß die Polizei sie seit Anfang März hat marschieren lassen; da mußte wohl doch erst dieses hier passieren (am 12.4.), man beachte die ähnliche Formulierung, Hervorhebung von mir:

ORF: EU-Kommission: Kritik an Ungarns Umgang mit Roma

Die EU-Kommission hat die Behandlung von Angehörigen der Roma in Ungarn scharf verurteilt. Die Einschüchterungen von Roma durch Angehörige einer rechtsextremen Miliz seien „unannehmbar“, sagte Justizkommissarin Viviane Reding heute nach dem Treffen der EU-Justizminister in Luxemburg.

Sie forderte die ungarischen Behörden zum Handeln auf. Ungarns Vizeregierungschef Tibor Navracsis versicherte, Ungarn sei bereit, alle seine Bürger zu schützen. Er verzichtete jedoch darauf, die der rechtsextremen Jobbik-Partei nahestehende Miliz namens „Eine bessere Zukunft“ direkt zu verurteilen.

Anmerkung dazu: Soweit ich weiß, hat die ungarische Nachrichtenagentur bislang nicht davon berichtet (wer’s besser weiß, korrigiere mich).

Für heute ist in Hajdúhadház wieder eine Jobbik-Großdemo geplant.

*

Was bei den Medienberichten bislang zu kurz kam:

Polizeistrategie in Hejôszalonta: Jobbik marschiert, Roma solange ins „Ghetto“

Der Fackelumzug von Jobbik in Hejôszalonta am 2.4. war offiziell ein Gedenkmarsch für das Mordopfer zu ihrem Haus, aber die Marschroute führte im Kreis durch die vier von Roma bewohnten Straßen. Eine Menschenkette entlang der Marschroute wurde von der Polizei nicht genehmigt, die Gegendemonstration mußte eine Straße weiter abgehalten werden.

Und die Romabevölkerung mußte vor der Veranstaltung auf polizeiliche Anordnung ihre Häuser räumen und sich am anderen Ende des Dorfes versammeln, weil man sie so „besser schützen“ könne. Siehe auch Commmunity.hu.

Bild ntv: „Die Polizei schützt ein Roma-Viertel in Hejöszalonta“ – indem sie ihr Viertel für die Rechtsextremen räumen müssen.

In diesem Video von Ádám Csillag ist zu sehen, wie die Romabevölkerung auf Aufforderung der Polizei in einem Marsch durchs Dorf zum Sammelpunkt zieht, wo sie hinter Absperrgittern das Ende der Jobbik-Demonstration abwarten müssen. Man habe ihnen gesagt, das sei nötig „wegen der Provokationen“ – wenn man sie provoziert, soll das keine Probleme geben (bei etwa 4:00). Das impliziert, daß das Sicherheitsrisiko für die Polizei in erster Linie die Roma sind, die auf Provokationen der Rechtsextremen gewalttätig reagieren könnten.

(Eine ähnliche Logik ließ sich auch beim Budapester CSD 2010 beobachten – die Parade mußte vor dem Ende der Strecke umkehren, weil dort hinter der Absperrung „Gegendemonstranten“ (=gröhlende, gewaltbereite Neonazis) warteten; TeilnehmerInnen wurden zudem von der Polizei gewarnt, diese nicht zu „provozieren“, weil die Veranstaltung sonst aufgelöst würde.)

Der Soziologe Tibor Derdák, der vor Ort war und mit Polizisten sprach, sagte:

Wenn die Polizisten einen Befehl bekommen, dann führen sie ihn aus. Die Polizisten, die wir hier getroffen haben, waren alle sehr freundlich, kultiviert, zivilisiert – der Befehl ist das Problem. Das heißt, die ungarische Polizei bekommt nicht den Befehl, den sie in solchen Situationen bekommen muß. Daß wenn auf der Straße uniformierte, marschierende Konkurrenz erscheint, die Polizei sie von dort wegzuräumen hat. Einen solchen Befehl haben diese (…) Polizisten nicht bekommen.

(Siehe unten im Video.)

Derweil konnte Arpád Miklós, Jobbik-Fraktionsvorsitzender im Komitat Borsod, in einem Redebeitrag am Ende des Fackelumzugs vor dem Haus des Mordopfers zum gewaltsamen Umsturz aufrufen:

„Wenn wir sehen, daß die Regierung nicht die nötigen Maßnahmen ergreift, dann muß man ihnen die Macht aus den Händen reißen. (Applaus). Viktor Orbán und die Zweidrittelmehrheit haben zwei Möglichkeiten. Entweder muß sie der Polizei die Ermächtigung geben, die ehrlich arbeitenden Menschen zu schützen, oder aber sie muß uns erlauben, uns selbst zu schützen.

Zurufe: Zu den Waffen! Zu den Waffen!

Wenn sie der Polizei weder die Ermächtigung erteilt, gegen die Kriminellen vorzugehen, noch uns erlaubt, uns zu schützen, dann wird die Konsequenz die sein, daß wir uns organisieren und ihnen die Macht mit Gewalt entreißen.

Zurufe: Zu den Waffen! Zu den Waffen!“

(Siehe unten im Video.)

*

So weit sind wir auch schon:

Antirassismustag in Budapest: Hitlergruß vor dem Polizeipräsidium

In Budapest gab es dieses Jahr mehrere Demonstrationen zum Antirassismustag am 21. März. Roma-Aktivisten und die liberale Kleinpartei SZEMA demonstrierten vor dem Parlament, siehe Dokumentationsarchiv, auch Amnesty machte eine Veranstaltung.

Und am Abend demonstrierten die Ungarische Garde, HVIM, Pax Hungarica und andere rechtsextreme Organisationen angemeldet und legal vor dem Budapester Polizeipräsidium gegen „Zigeunerkriminalität“.

Bei 2:08 kann man sich János Lantos,  den Sprecher von Pax Hungarica,  beim Gruß der Pfeilkreuzler („Kitartás!“) anschauen, verbunden mit dem Hitlergruß. (Pax Hungarica, das sind diese hier).

Die Polizei meldete der ungarischen Presseagentur MTI, die Demo sei friedlich verlaufen und es habe keine Festnahmen gegeben.

Und die wußten durchaus, was da auf sie zukam: Dieselben Gruppen haben eine Woche zuvor in Mezôkövesd auf Privatgelände Ungarns erstes Szalási-Denkmal eingeweiht.

(Bild von Nepszava.com)

*

Video vom Jobbik-Aufmarsch und Gegendemo in Hejôszalonta am 2.4.

Übersetzung Pusztaranger:

Roma-Aktivistin Agnes Daróczi: Wir alle verurteilen den Mord an Terézia Hornyák und trauern um sie.

Arpád Miklós, Jobbik-Fraktionsvorsitzender Komitat Borsod: Wir organisieren uns, und nehmen ihnen mit Gewalt die Macht aus den Händen.

Zwischenruf: Zu den Waffen! Zu den Waffen!

Tibor Derdák, Soziologe: Die Polizei bekommt nicht den Befehl, den sie in solchen Situationen bekommen muß.

0:32: Fackelaufmarsch

1.07: Daróczi: Wenn irgendwo etwas so Abscheuliches passiert wie Mord, dann empört uns das ganz genauso, es tut uns genauso weh, wir verurteilen es genauso. Aber deshalb mit Fingern auf uns zu zeigen und uns kollektiv als Kriminelle zu stigmatisieren, lassen wir das zu?

Publikum: Nein.

Daróczi: Erdulden wir das?

Publikum: Nein.

Daróczi: Dann lasst uns gemeinsam sagen, was wir wollen: Frieden, Rechtsstaatlichkeit, ein nazifreies Ungarn!

1.37: Tamás Sneider, Jobbik-Vize: Die LMP sagt, daß sie hinter den kriminellen Zigeunern / den Tätern stehen, das ist unakzeptabel! Sehen wir uns diese Partei an, die jetzt an der Regierung ist,

Zwischenruf: Bezahlte Handlanger der Juden! (zsidóbérencek)

Schild am Rednerpult: Viktor Orbán: „Wir machen Ordnung in zwei Wochen“

Redner: Was zeigt die Statistik? Daß die Anzahl der Gewaltverbrechen in Ungarn im letzten Jahr um 35% gestiegen ist!

Frage: Was erwartest du von der Polizei?

János Orsós (Roma): Daß die Polizei nicht immer nur meine Personalien überprüft.

2.06: Tibor Derdák: Wenn die Polizisten einen Befehl bekommen, dann führen sie ihn aus. Die Polizisten, die wir hier getroffen haben, waren alle sehr freundlich, kultiviert, zivilisiert – der Befehl ist das Problem. Das heißt, die ungarische Polizei bekommt nicht den Befehl, den sie in solchen Situationen bekommen muß. Daß wenn auf der Straße uniformierte, marschierende Konkurrenz erscheint, die Polizei sie von dort wegzuräumen hat. Einen solchen Befehl haben diese zivilisierten (…) Polizisten nicht bekommen. Ich wohne selbst in so einem Dorf,

Frage: Ist es nicht gefährlich, mit Zigeunern zu wohnen?

Derdák (lacht): Ich habe nicht gemerkt, daß es gefährlich wäre.

Redner: Ich bitte euch jetzt, daß wir mit der gewohnten Disziplin gemeinsam zum Haus der ermordeten Tante Teri marschieren,

2.59: (sammeln sich, marschieren los.)

Roma und Symphatisanten hinter der Absperrung skandieren: Nazis, geht nach Hause! (oder freier: Nazis, verpisst euch!)

3.12: Rechtsextreme marschieren, rufen „Hunde!“, „Mörder!“, „Zigeunerkriminalität!“

3.13 Junge Frau: „Ein zigeunerfreies Ungarn!“

Mann: „Seid ehrliche, ordentliche Leute!“

Die Rechtsextremen filmen die Roma demonstrativ.

3.48: Gergô Balla, Jobbik-Abgeordneter: Zuallererst möchte ich diesen LMP-lern und Menschenrechtlern ausrichten, die hier die Zigeuner aufgehetzt haben, sie sollen sich mal ihren Kalender ansehen, heute ist Samstag. Samstags muß die Arbeit ruhen.

(Antisemitische Anspielung – LMP-ler sind alle „Juden“.)

Gelächter.

Sie sagen, innerhalb zwei Wochen ist Ordnung in Ungarn. Wir hier in Ostungarn merken davon nichts.

4.13: Arpád Miklós, Jobbik-Fraktionsvorsitzender Komitat Borsod: Dann warten wir die Wahlen erst gar nicht ab. (Applaus). Wenn wir sehen, daß die Regierung nicht die nötigen Maßnahmen ergreift, dann muß man ihnen die Macht aus den Händen reißen. (Applaus). Viktor Orbán und die Zweidrittelmehrheit haben zwei Möglichkeiten. Entweder muß sie der Polizei die Ermächtigung geben, die ehrlich arbeitenden Menschen zu schützen, oder aber sie muß uns erlauben, uns selbst zu schützen.

Zurufe: Zu den Waffen! Zu den Waffen!

Wenn sie der Polizei weder die Ermächtigung erteilt, gegen die Kriminellen vorzugehen, noch uns erlaubt, uns zu schützen, dann wird die Konsequenz die sein, daß wir uns organisieren und ihnen die Macht mit Gewalt entreißen.

Zurufe: Zu den Waffen! Zu den Waffen!

5.24 Széklerhymne wird gesungen.

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