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Budapest Pride 2011: Jobbik inszeniert Justizposse

27. Juni 2011

Der Budapest  Pride funktioniert seit 2007 als innenpolitisches Barometer. Proteste gegen die Regierung, die den „patriotischen Magyaren“ solche „Abartigkeiten“ zumutet, werden dort lautstark und gewalttätig vorgetragen. Dabei wird mit abstrusen Feindbildern operiert, die mit der Lebenswirklichkeit der ungarischen LGBT (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*) absolut nichts zu tun haben. An der Polemik gegen den Pride beteiligten sich in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit auch Fidesz- und KDNP-Abgeordnete sowie die diesen Parteien nahestehenden Medien.

Dass es beim 16. Budapest Pride relativ friedlich zuging, ist der erhöhten internationalen Aufmerksamkeit während Ungarns EU-Ratspräsidentschaft zu verdanken. Rechtsextreme Aktivitäten gab es jedoch auch dieses Jahr wieder. Die Polit- und Medieninszenierung der rechtsextremen Partei Jobbik lief diesmal unter dem Titel „Landfriedensbruch“.

Jobbik: Budapest Pride ist „Landfriedensbruch“

Bereits am Tag vor der Parade erklärt der Budapester Jobbik-Vorsitzende Gábor Staudt in einer Pressekonferenz, die Parade sei eine „Provokation“ und sollte verboten werden; seine Partei werde dieses Jahr zwar nichts gegen die Parade unternehmen, sie jedoch dokumentieren und, falls es zu Rechtsverstößen käme, Anzeige erstatten. (hvg)

Am Tag der Parade hält Jobbik-Vize Előd Novák eine weitere Pressekonferenz ab, dieses Mal direkt auf der Demoroute. Die Parade bezeichnet er als „Landfriedensbruch“ (sic). Er und seine Frau, die Jobbik-Abgeordnete Dóra Dúró, werden von mehreren Mitgliedern der Neuen Ungarischen Garde in Uniform begleitet, die ein Schild mit der Aufschrift: „Andere dürfen marschieren“ tragen („andere“ ist eine gängige Umschreibung für Schwule).

Mit dieser Aktion, so Novák, wollten sie auf einen Doppelstandard der Regierung aufmerksam machen, die den Schwulen die Parade erlaube, den Gardisten das Marschieren jedoch verbiete. (barikád)

Auch in den staatlichen Fernsehnachrichten wird er zitiert.

Was hierzulande völlig absurd anmutet, ist in Ungarn politische Strategie. Jobbik geht es dabei um die Auslegung des Paragraphen 174/B, der im April geändert wurde, um gegen die rechtsextremen „Bürgerwehren“ vorzugehen, die wochenlang Romadörfer terrorisierten. Dieser kann wegen seiner schwammigen Formulierung auch zum „Schutz der Mehrheitsgesellschaft“ gegen Minderheiten angewandt werden; tatsächlich wurden wegen „Gewalt gegen eine Gemeinschaft“ bislang nur Roma verurteilt, die sich gegen rechtsextreme Angriffe zur Wehr setzen wollten (siehe mein Post Erstes Urteil wegen rassistischer Gewalt: Hohe Haftstrafen für Roma und Erneut Prozeß gegen Roma wegen rassistisch motivierter Gewalt).

Hier geht es allerdings nicht um einzelne Roma in der Provinz, sondern um die symbolische Besetzung des öffentlichen Raumes in der Hauptstadt, die den Rechtsextremen in Uniform verboten ist. Indem sie gegen den Pride als „Minderheitenterror der Devianten“ gegen die zu schützende Gemeinschaft der patriotischen Magyaren polemisieren, versuchen Jobbik, diese Definition des Paragraphen im öffentlichen Bewußtsein zu festigen.  Novák zitierte ihn im Wortlaut, als er davon sprach, daß es sich bei der Parade um „explizit feindliches Auftreten gegenüber einer Gemeinschaft“ handle.

Völkische „Gemeinschaft“ als juristischer Begriff

Diesen Frühling sollte bei einem Prozeß festgestellt werden, ob die „Neue Ungarische Garde“ mit der alten, verbotenen Ungarischen Garde identisch ist oder nicht. Die Anwältin der Verteidigung, Andrea Borbély vom Jobbik-Rechtshilfedienst, baute ihre Verteidigung darauf auf, daß es sich bei der Neuen Ungarischen Garde nicht um einen Verein, sondern um eine „Gemeinschaft von Einzelpersonen“ handele. (Siehe hir6 – sie verlor den Prozeß und ging in Berufung.)

Dieselbe Andrea Borbély äußerte sich auch im Fernsehen zur Berechtigung der Jobbik- “Bürgerwehr“, in Hejôszalonta zu marschieren – hier handle es sich um eine „Gemeinschaft von Staatsbürgern“, die sich ehrenamtlich für die öffentliche Sicherheit engagieren wollten (youtube, siehe besonders 0:50 und 3:55.)

Zurück zum Pride:

Rechtsextreme Gegendemonstration: „Den Strick für die Schwulen“

„Offiziell“ hatte Jobbik mit der Gegendemonstration nichts zu tun, wie im letzten Jahr wurden die Proteste wieder an andere rechtsextreme Organisationen „outgesourct“; Jobbik-Leute waren jedoch immer zugegen. Angemeldet wurde die Gegendemonstration – direkt auf der Marschroute des Pride – von der rechtsextremen Organisation HVIM (64 Burgkomitate), deren Ehrenvorsitzender der Jobbik-Abgeordnete Gyula György Zagyva ist. (Siehe mein Post:Budapest Pride 2011: Rechtsextreme Gegendemo angemeldet)

Die „Gegendemonstranten“ skandieren „dreckige Schwulensäue“ und „dreckige Juden“, und halten Plakate mit der sinngemäßen Aussage „Den Strick für die Schwulen“ hoch. Legitimiert wird das von der Anwesenheit des Jobbik-Abgeordneten Zagyva; die Polizei schreitet nicht dagegen ein.

(Zagyva links, mit vermummtem „Gegendemonstranten“)

Die Pride Parade wird von der Polizei über Nebenstraßen um die Gegendemonstration herumgeleitet und die Rechtsextremen mit Absperrgittern eingekesselt. Als sie das bemerken, erklärt Zagyva die Demonstration für beendet, die Polizei hält sie jedoch weitere anderthalb Stunden dort fest. Sie versuchen erfolglos, auszubrechen, Tränengas wird eingesetzt. (jobbik.hu)

Und hier begegnen wir wieder der Anwältin Andrea Borbély vom Jobbik-Rechthilfedienst. Im rechtsextremen Internetsender N1 konstatiert sie Einschränkungen der Freiheitsrechte friedlicher Demonstranten (bei 2.45).

Auf der anderen Seite der Kamera, im T-Shirt der „1.SS-Panzerdivision“:

(von hier; daß das der Kameramann von N1 ist, siehe Hungarian Spectrum, Kommentare).

Die Pride Parade erreicht den Endpunkt ohne weitere Zwischenfälle.

Jobbik zeigt zwei Österreicher an – wegen Landfriedensbruch

Nach der Abschlußkundgebung wird eine Gruppe aus Wien auf dem Weg zu ihrem Bus von zwei jungen Frauen mit Reizgas angegriffen und von Männern in HVIM-T-Shirts bedroht. Sofort sind Zivilpolizisten zur Stelle, die Wiener können in ihren Bus einsteigen. Polizei und Rechtsextreme umstellen den Bus. Dann erscheint der Jobbik-Abgeordnete Zagyva mit Anwältin Borbély auf der Bildfläche, sie behaupteten gegenüber der Polizei, die Wiener hätten die beiden Frauen angegriffen; Borbély erklärt sich spontan zu deren Anwältin und erstattet Anzeige.

Daraufhin lassen die staatlichen Sicherheitskräfte, die die Parade bisher vor Gewalt geschützt hatten, den Bus nicht mehr wegfahren. Alle Wiener werden (teilweise mit Amtsgewalt) aus dem Bus geholt. Ihnen werden auf der Straße die Pässe abgenommen, während sie von Rechtsextremen fotografiert und gefilmt werden. Siehe radicalqueer, Fotos auf szentkoronarádió, das Video hier.

In einer Gegenüberstellung wählen die Rechtsextremen willkürlich zwei Männer aus, die dann von der Polizei verhaftet werden. Die beiden jungen Frauen werden als Zeuginnen vernommen. Durch diesen Vorfall wird der Bus mit fünfzig Personen zwei Stunden lang festgehalten; die beiden Verhafteten sind erst in den frühen Morgenstunden wieder auf freiem Fuß. Sie können mit einem Verfahren wegen „schwerem Landfriedensbruch“ rechnen. (ORF Stories und Pusztaranger: Budapest Pride 2011: Jobbik zeigt Wiener Aktivisten an und Auf dem Budapest Pride verhafteter Wiener Aktivist im Exklusivinterview mit Tilos Rádió.

Womit Jobbik erreicht hätten, was sie wollten.

Nachspiel im Parlament: Jobbik zeigt alle an

Zagyva kündigte inzwischen an, die Polizei wegen brutaler Übergriffe und Amtsmißbrauch zu verklagen. Gegen ihn wird aber derzeit selbst wegen Gewalt gegen Journalisten ermittelt, seine Abgeordnetenimmunität wurde ihm aberkannt (Index).

Hier posiert er noch im Mai mit einem Samuraischwert im Parlament:

(Gefunden hier.)

Jobbik-Sprecherin Dóra Duró verkündete zudem im Parlament, daß Jobbik alle Pride-Teilnehmer wegen Landfriedensbruch verklagen werde, und kritierte den „Doppelstandard der Regierung“, da die „Ungarische Garde nicht in Uniform erscheinen darf, die devianten Exhibitionisten und solche, die Geschlechtsverkehr mit Hunden imitieren, aber schon.“ Dabei ging sie auch auf die verhafteten Wiener ein: „Ausländische Homos konnten ungehindert Landfriedensbruch betreiben“, und bemängelte, daß die Polizei gegen Jobbik vorging, aber gegen die Pride-Teilnehmer nicht.

Durós Wortwahl ist unterste Schublade („Schwulensäue“ etc.); für ihre homophobe Attacke wurde sie vom Parlamentspräsidenten László Kövér nicht zurechtgewiesen. Auch Staatssekretär im Justizministerium Bence Rétvári (KDNP), der ihr antwortete, ging nicht darauf ein. Er konstatierte vielmehr, daß Jobbik ihre politische Identität noch nicht gefunden hätten. Manchmal verträten sie das Christentum, manchmal heidnische Riten, sie protestierten gegen das vergangene System, aber duldeten doch dessen Leute in den eigenen Reihen (Anm.: Genau wie Fidesz). Laut Rétvári befinde Fidesz sich nicht in einer Identitätskrise, und in der neuen Verfassung sei der Schutz der Familien angemessen gewährleistet. (Origo, beide Wortmeldungen im Video auf youtube.)

Ungarische NGOs kritisieren, daß Rétvári seine Antwort nicht zu einer Stellungnahme für Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte, sondern lediglich für eine polemische Attacke gegen Jobbik nutzte (hatter.hu). Mit Durós homophober Kernaussage hatte er offenbar keine Probleme.

In der ab 1. Januar 2012 gültigen neuen Verfassung ist „der Schutz der Familien angemessen gewährleistet“ – was genau das in der Praxis bedeutet und wie der Budapest Pride 2012 ohne die diesjährige internationale Öffentlichkeit ablaufen wird, bleibt abzuwarten.

*

(PS: Sorry für die Formatierung, WordPress spinnt.)

7 Kommentare leave one →
  1. 29. Juni 2011 21:18

    Wie kann man nur so verblödet sein, wie zum Beispiel die Leute die so ein Blog gründen und regelmäßig nur Dummheiten darauf schreiben.

    Das ein abgebrandter Kommunisten Trabant im Header ist überascht mich mal überhaupt nicht…

    Aber benutze den Begriff „Puszta“ nicht, da du gegen das Ungarische Volk bist und somit auch keine Ungarischen Wörter oder Begriffe verwenden solltest!

    JOBBIK ist eine Rechts orientierte (überzeugte!) Demokratische Partei, eine worauf Ungarn seit der Wende wartet.

    Wenn man keine Ahnung hat, sollte man lieber den Mund halten!

    KITARTÀST MAGYAROK !!!

    • pusztaranger permalink
      30. Juni 2011 08:27

      Ach, ein echter kleiner Nazi, und deutsch kann er auch einigermaßen, hatten wir hier lange nicht. Nur zu, Du Demokrat, lies, kommentiere und zeig uns, was Du drauf hast. Solche O-Töne kommen immer gut und landen im Tab Feldpost.

    • patriotic_squad permalink
      30. Juni 2011 19:41

      Sie haben ins Schwarze getroffen!Auch in Deutschland wünschen sich viele Menschen solch eine Wende,eine wirkliche Wende,die in Ungarn stattfand.Und das hier ist doch nur ein Übrigbleibsel aus der dunklen Gurcsany-Ära.

      Anmerkung Pusztaranger: Kitartás ist hier als ungarischer rechter O-Ton interessant, Kommentare wie dieser bzw. von Rechten aus dem deutschsprachigen Raum bringen uns keine neuen Erkenntnisse, und wenn’s mir zu blöd wird, lösche ich das in Zukunft weg.

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