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Budapest will Strasse nach Antisemitin benennen

1. Juni 2013

Budapest will eine Straße nach der antisemitischen Schriftstellerin Cécile Tormay benennen; die Jüdische Gemeinde und der Jüdische Weltkongress protestieren; jetzt soll die Ungarische Akademie der Wissenschaften entscheiden, die den antisemitischen Bischof Ottokár Prohászka kürzlich als unbedenklich eingestuft hat. Tormays antisemitisches Werk von 1921 ist heute wieder Pflichtlektüre der ungarischen Rechten und Rechtsextremen. Seit 2010 wird emsig ihre Rehabilitierung betrieben, 2012 wurde ihr in Budapest eine Statue errichtet.

[Update 6.6.: Pester Lloyd: Antisemitische Straßenbenennung in Ungarn nach internationalen Proteste rückgängig gemacht. Die entsprechende Entscheidung soll auf der Stadtratssitzung am 12. Juni fallen. Das Denkmal  bleibt.]

Anfang Mai hatte Viktor Orbán dem Jüdischen Weltkongress noch „Null-Toleranz gegenüber Antisemitismus“ versprochen; jetzt hat der Budapester Gemeinderat unter Oberbürgermeister István Tarlós ausgerechnet am 75. Jahrestag des Inkrafttretens des Ersten Judengesetzes in Ungarn beschlossen, eine Straße im II. Bezirk nach der Lieblingsautorin von Miklós Horthy, der Antisemitin Cécile Tormay (1875-1937) zu benennen. Der Antrag wurde von Fidesz-KDNP und Jobbik mit insgesamt 21 Stimmen verabschiedet, die übrigen Abgeordneten enthielten sich (szombat.org: siehe ausführlich Hungarian Spectrum: Another blunder by Fidesz-Jobbik: Naming a street after the anti-Semite Cécile Tormay).

Nach Protesten des Dachverbandes Jüdischer Glaubensgemeinschaften und des Jüdischen Weltkongresses will Oberbürgermeister István Tarlós die Entscheidung nun der Ungarischen Akademie der Wissenschaften überlassen. (index.hu)

Diese hatte erst kürzlich den antisemitischen Bischof Ottokár Prohászka – anders als z.B. Maxim Gorki – als unbedenklich eingestuft (stop.hu). Kriterium war nach dem neuen Gesetz die „aktive Mitwirkung an der Errichtung und Aufrechterhaltung der diktatorischen Regimes des 20. Jahrhunderts“,  d.h. laut der offiziellen Regierungslinie Pfeilkreuzler und Kommunismus, und Prohászka starb bereits 1927. So dürfte auch die 1937 verstorbene Tormay diese Hürde mühelos nehmen.

Cécile Tormays antisemitisches Werk „Bújdosó könyv“ (Diary of an Outlaw, etwa: Untergrundtagebuch) von 1921 wurde in der Horthy-Zeit fünfmal aufgelegt und ist heute wieder in den ungarischen Buchhandlungen zu finden.

tormay_cecile_bujdoso_konyv bujdosó könyv

(Links die aktuelle Neuausgabe mit diskreterem Cover, rechts eine ältere mit deutlicherem Bezug zum Inhalt.)

Das Buch ist nicht nur ein Klassiker der antisemitischen Propaganda, sondern eines der Grundlagenwerke für das nationalistische Geschichtsverständnis der Horthy-Zeit sowie der heutigen ungarischen Rechten und Rechtsextremen. Zentraler Punkt ist die Gleichsetzung von „Bolschewismus“ (und später Sozialismus, bzw. heute allem „Linken“) mit „rassisch jüdischem Terror“ zur  „Vernichtung Ungarns und des ungarischen Volkes“. Zitat aus der englischen Ausgabe von 1923:

„The demon of the Revolution is not an individual, not a party, but a race among the races. The Jews are the last people of the Ancient East who survived among the newer peoples of shorter history. (…) The Jew comes uninvited and declines to go when dismissed. He spreads and yet holds together. He penetrates the bodies of the nations. He invisibly organises his own nation among alien peoples. He creates laws beyond the law. (…) In our country the Dictatorship of the Proletariat was nothing more or less than an organized rule of the mob, under the demoniacal direction of Belial, the spirit of destruction of Jewish mythology.“ (Belege und weitere Textauszüge s.u.)

Diese Botschaft wird im Original noch durch Portraits von Volkskommissaren und „Terroristen“ im Stil anthropologischer Schautafeln anschaulich gemacht: Dem über den „roten Terror“ entsetzten Leser präsentiert sich ein Panoptikum „jüdischer Täterphysiognomien“.

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(Aus der englischen Ausgabe von 1923)

Tormay-Rehabilitierung

Die regierungsnahe Magyar Nemzet wertet dieses Buch 2012 als historisches Zeitdokument:

„Den Namen und die Werke von Cécile Tormay kennen darum nur wenige, weil sie in den Jahrzehnten des Sozialismus auf dem Index stand, denn sie war es, die in ihrem Roman Bujdosó könyv den Zusammenbruch nach dem Ersten Weltkrieg und die grausame  Geschichte der Räterepublik beschrieben hatte.“

Tormays Rehabilitierung als „größte ungarische Schriftstellerin der Jahrhundertwende“ wird von der Regierung und „nationaler Zivilgesellschaft“ seit 2010 emsig betrieben; eines ihrer Werke war 2012 der erste Band der vom Regierungsbeauftragten Imre Kerényi herausgegebenen Reihe ungarischer Klassiker, des „nationalen Literaturkanons“.

Bei der Einweihung einer Tormay-Gedenktafel in Budapest im Oktober 2012 sagte Kerényi, Tormay sei zwar Antisemitin gewesen, aber in ihrem Fall habe es sich “um den Salonantisemitismus der besseren Kreise” gehandelt, “der nie zu tätlicher Gewalt gegen Juden geführt” habe (siehe Post: Rehabilitierung der Horthy-Ära: Kommunale Denkmalschwemme für AntisemitInnen, 4. November 2012)

2013 wurde unter der Schirmherrschaft von Menyhért Dobos, dem Geschäftsführer des staatlichen Fernsehsenders Duna TV, ein Literaturwettbewerb zu Tormays Wirken ausgeschrieben.

Seit April 2012 steht in Budapest eine neue Statue von Cécile Tormay; sie wurde vom  Bürgermeister des VIII. Bezirks und Fidesz-Sprecher Máté Kocsis (ehemals Mitglied der rechtsextremen MIÉP) und dem Vizepräsidenten des ungarischen Parlaments, Sándor Lezsák (Fidesz) eingeweiht und vom katholischen Pfarrer László Zsongor Aczél geweiht.

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(Quelle)

Eine 1943 errichtete Tormay-Statue war 1945 umgestürzt worden; in seiner Rede betonte Sándor Lezsák, „anders als Statuen könne man Lebenswerke nicht umstürzen, und wenn sie auch über Jahrzehnte verschwiegen werden, erwachen die in ihnen enthaltenen Werte doch immer aufs Neue zum Leben. So auch im Fall von Tormays Werken, angefangen von den frühen Werken bis zu den Letzten.“ (budapestinfo.eu) Eine klare Generalabsolution.

Die kritische Thematisierung von Tormays Antisemitismus wird dabei stets als politisch motivierter Angriff und böswillige („linke“, „judeobolschewistische“) Verleumdung einer großen nationalen Schriftstellerin diffamiert. So bezeichnete die Fidesz-KDNP-Fraktion im Budapester Gemeinderat die Kritik der MSZP-Fraktion an der Strassenbenennung als „extremistische Hetze“, die Jobbik-Fraktion als „Hysteriemache und Provokation“; sie rief zudem Tarlós auf, „sich der jüdischen politischen Einflussnahme nicht zu beugen.“ (Magyar Hirlap)

Horthy bei der Einweihung der Tormay-Statue 1943. 1944 wurden unter Horthy von den ungarischen Behörden über 430 000 ungarische Bürger nach Auschwitz deportiert.

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(Öffentliche Denkmalseite kozterkep.hu)

***

„Judeobolschewismus“ als Hungarikum: Auszüge aus Cécile Tormay: An Outlaw’s Diary

(Englische Ausgabe von 1923)

„I alone can save Hungary !“ It was with these words that Michael Karolyi started his lies on the 31st of October, 1918. „I hand the powers of government to the Proletariat of Hungary,“ he declares on the 21st of March, 1919, when lies fail him. In the interval he has squandered and sold Hungary. The mask has fallen, and behind it appears boldly the rabble which he calls the Proletariat of Hungary.
Practically all its leaders appear in the list of the „Revolutionary Government Council.“ Just as in Karolyi’s Government it is headed by a deceptive Christian clown; Alexander Garbai is the President. The others are all foreigners. All the People’s Commissaries are Jews, there is now and then a Christian among the assistant commissaries, then again Jews and still more Jews. Jews are to administer the capital, Jews are at the head of the police. A Jew is to be governor of the Austro-Hungarian Bank. (S.11)

The demoniacal organisers, the raving wire-pullers and prompters have taken their place, and for the first time in the long history of Hungary, Hungarians are excluded from every inch of ground, whether in the hills and the vales of the Carpathians, or on the boundless plains. The country has been divided up among Czechs, Roumanians, Serbians and Jews. (S.12)

Humanity has sometimes forgotten for centuries the plans and the power of the Jews. (…) In the years before the war the suspicions of the Hungarian nation, so often aroused before, had been lulled to sleep. We saw how the Jews, coming from the East, took possession of the land after acquiring the liquor shops of the villages. From the little draper’s shop in the town they laid grasping hands on our whole economic life. We saw them during the war withdrawing into safety and acquiring millions while our own folk gained crutches.
We heard that the Zionist Congress of Paris carried the following resolution: „Jewry must try to get possession of Budapest first, then Hungary, so as to have a base for the establishment of its world-rule.“ And many of us read in 1917, during the war, the declaration of their leading spirit in Hungary, published in Vildg, the mouthpiece of Freemasonry : „We reserve our institutions, our means and our men for a superhuman effort later on.“ Now the later on has arrived, has emerged from obscurity. Twentyfour Jewish People’s Commissaries lead the rest and pronounce judgment of life and death upon Hungary. (S.38)

These are the men who have Hungary’s fate at their mercy ! The very thought makes one’s blood boil. Is all our ancient pride of race, all our glorious history, to be thus trampled under foot by Jews ? (S.40)

The demon of the Revolution is not an individual, not a party, but a race among the races. The Jews are the last people of the Ancient East who survived among the newer peoples of shorter history. As the carriers of biblical tradition they have been assured a certain tolerance and they look for the accomplishment of certain ancient curses. Despised in some places, they were feared in others, but everywhere they remained for ever foreigners.
The Jew comes uninvited and declines to go when dismissed. He spreads and yet holds together. He penetrates the bodies of the nations. He invisibly organises his own nation among alien peoples. He creates laws beyond the law. He denies the conception of  ‚patrie‘ but has a ‚patrie‘ of his own which wanders and settles with him. He scoffs at other people’s conception of God and yet builds churches of his own everywhere. He laments the fallen walls of Jerusalem and drags the ruins invisibly with him. He complains of his isolation but builds secret ways as arteries of the boundless city which has by now spread practically throughout the world. His connections and communications reach everywhere. Otherwise how can it be possible that his finances and his press should, wherever they may be centred, strive for the same goal all over the world ? How is it that his racial interests are identical in a Ruthenian village and in the heart of New York ? He praises one individual, and the praise rings over the globe. He condemns another, and that man’s ruin begins wherever he be. Orders are given in mysterious secrecy. What the Jew finds ridiculous in other people, he keeps fanatically alive in himself. He teaches anarchy and rebellion only to the gentiles, he himself obeys blindly the directions of his invisible leaders. (S.59)

In past centuries the Rumanians and Serbs fled to us for asylum against their own tyrants, and to us also came the wandering Jew. But now they are all working together to wipe us from the face of the earth. Yet we shared with them everything we had, and they readily received our protection. (S.110)

Through every action of practical Marxism, through all its ordinances and institutions, even through the communication of its news, there grins cruelty the repulsive, morbid cruelty of sensuality. The brave kill, the cowards torture. The Hungarian people can be wild, ruthless, coarse and even vindictive, but through all its history it has never been cruel. It is not a sensual race. It expresses sensuality neither in its ancestral religion, nor in the conception of its gods of pagan times, nor in its legends, stories, folk-songs, humour or art. The cruelty of the Bolsheviks, on the other hand, is imbued with the sensuality of pathological aberration. Its origin is neither Slav nor Turanian, but of another race living in our midst. The history of the Hebrews, the Covenant, the Talmud and the Jewish literature of the various languages of the world, everything that originates with Jews, is overflowingly sensual. Cruelty finds its fantasy and energy in sensuality. The bloody invasitm of the Turks, the merciless oppression of the Austrians, were incomparably milder than the cruelty of the Bolsheviks. (S.153f)

In our country the Dictatorship of the Proletariat was nothing more or less than an organized rule of the mob, under the demoniacal direction of Belial, the spirit of destruction of Jewish mythology. (S.218)

12 Kommentare leave one →
  1. Karl Pfeifer permalink
    1. Juni 2013 14:29

    Die Namensgebung Tormay hat mit dem Pfauentanz zu tun, im Inland macht man gemeinsame Sache mit Jobbik, gegenüber dem Ausland erklärt man sich doch im Zweifrontenkampf zu befinden, gegen die bösen Linken und gegen Jobbik. Einerseits will man Jobbik „den Wind aus den Segeln“ nehmen und haut sich deswegen auf ein Packl mit ihnen im Budapester Stadtrat, andererseits wenn dann Proteste kommen, tut Bürgermeister Tarlós, der aus dem Dunstkreis von Fidesz kommt, so als hätte er keine Ahnung und übergibt die Sache der ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA). Das ist wirklich ein Hungaricum, die MTA hat eine Kommission ernannt, die bezüglich Straßennamen Empfehlungen macht.
    Sie hat ursprünglich den rassistischen Antisemiten Bischof Ottokár Prohászka nicht empfohlen, doch der Vorsitzende der MTA, der auch aus dem Dunstkreis von Fidesz kommt, ließ Prohászka in die Liste der empfohlenen Straßennamen eintragen.
    Übrigens ist es kein Zufall, dass Tormay deren Name, bevor ihr Vater von Franz Josef in den Nobelstand erhoben wurde, Krenmüller war und Prohászka, Sohn eines tschechischen Vaters und einer deutschen Mutter, der erst als teenager Ungarisch lernte, zu chauvinistischen Antisemiten Ungarns wurden.

  2. peter permalink
    1. Juni 2013 18:36

    Wenn es jetzt eine nach ihr benannte Straße gäbe, wäre ich gegen eine Umbennung (wer in Ungarn war schon kein Antisemit ?), eine Neubenennung nach ihr aber ist sicher unzeitgemäß, so wie in Deutschland heute keiner auf die Idee käme, eine Straße nach Luther zu benennen. Ich habe auch nichts dagegen, immer wieder zu erwähnen, welchen Diskriminierungen die Juden in Ungarn ausgesetzt waren und wie die Ungarn mit den deutschen Behörden bei der Verfolgung der Juden zusammengearbeitet haben. Bei Ereignissen, die nach dem März 1944 stattgefunden haben, sollte aber mindestens darauf hingewiesen werden, dass Ungarn damals von Deutschland besetzt war und das KZ Auschwitz im Deutschen Reich lag. Die Seite richtet sich ja in erster Linie an deutsche Leser und dort scheint sich in der Zwischenzeit eine Lesart der Dinge durchzusetzen, nach der russische Kriegsgefangene mehr Verantwortung für den Holocaust tragen als die vielen Globkes und Weizsäckers.

    • Don Kichote permalink
      2. Juni 2013 06:17

      Herr Peter, „Bei Ereignissen, die nach dem März 1944 stattgefunden haben, sollte aber mindestens darauf hingewiesen werden, dass Ungarn damals von Deutschland besetzt war und das KZ Auschwitz im Deutschen Reich lag.“. Ich weiß schon wie Sie ticken, die Ungaren sind wirklich zu bedauern, wurden diese doch, von den Deutschen, zum Holocaust „gezwungen“, die „armen“ Ungaren. Glauben Sie tatsächlich, dass deutsche Leseart Sie nicht erkennt, Herr Peter? Und glauben Sie tatsächlich, dass ein Unrecht ein Anderes erblassen lässt?

    • Karl Pfeifer permalink
      2. Juni 2013 07:18

      Peter ihre „Fakten“ stimmen nicht. Noch bevor der Besatzung durch die Wehrmacht hat Ungarn ca 20.000 zum großen Teil staatenlose Juden im Sommer 1941 nach Kamenets-Podolsk deportiert, wo die meisten ermordet wurden.
      Die ungarische Armee und Gendarmerie veranstaltete im Januar 1942 ein Pogrom mit mehr als 1.500 Opfern (hauptsächlich Juden und Serben) in und rund um Novisad (Ujvidék, Neusatz) wobei diese ungarischen „Ordnungskräfte“ sich nicht mit Mord begnügten, sondern die Opfer auch beraubten.
      Seit 1941 wurden jüdische ungarische Männer an der Front als Arbeitssklaven eingesetzt, viele von ihnen wurden über die Minenfelder gejagt und von ihren Landsleuten umgebracht. All das geschah mehr als zwei Jahre vor der deutschen Besatzung.
      Nach der deutschen Besatzung am 19.3.1944:
      Götz Aly und Susanne Heim sowie die ungarischen Historiker László Varga und Krisztián Ungváry haben dokumentiert, wie die ungarische Administration unter Reichsverweser Miklós Horthy „Überstunden“ leistete und Eichmann drängte, doch die Deportation der ungarischen Staatsbürger im Frühjahr und Frühsommer 1944 zu beschleunigen. In die Viehwaggons zu je 70-80 Personen trieben diese Menschen nicht Deutsche sondern ungarische Gendarmen. Die ungarische Gendarmerie wurde nach der Wende rehabilitiert.
      Horthy & Co sind verantwortlich für die Deportation von (eingerechnet die von Ungarn besetzten Gebiete) mehr als einer halben Million ungarischer Staatsbürger.
      Ihre Behauptung, in Deutschland setze sich durch, dass russische Kriegsgefangene mehr Verantwortung für den Holocaust tragen trifft sicher nicht auf mainstream Medien zu.

      • peter permalink
        2. Juni 2013 09:33

        Nichts was Sie schreiben, ist mir neu (außer dass die deutschen Wurzeln der Schriftstellerin für ihren Chauvinismus verantwortlich sein sollen). Ich habe trotzdem das Gefühl, dass hier die Nichterwähnung Deutschlands nur mit der Aktualpolitik zu tun hat und nicht mit einer Neubewertung der geschichtlichen Ereignisse. Letztens ist es mir ähnlich ergangen, als es um die Übernahme der Kosten für das Museum des KZ Auschwitz und die zögerliche Haltung Ungarns ging. Ich bin immer davon ausgegangen, dass es zum deutschen Selbstverständnis gehört, die Kosten dafür allein zu tragen.

      • Karl Pfeifer permalink
        3. Juni 2013 05:36

        Peter, die deutschen Wurzeln waren nicht der Grund, sondern die Tatsache, dass es während der Habsburgermonarchie einen sehr großen Druck zur Magyarisierung von Juden und Deutschen gegeben hat in der ungarischen Reichshälfte und dass dann, manche der soeben magyarisierten Menschen sich durch Chauvinismus hervortaten.
        Natürlich gab es auch unter den Magyaren diesen Chauvinismus, diese Mißachtung der anderen Kulturen und Sprachen, die dann auch zu Trianon beigetragen hat.
        Es besteht unter seriösen Historikern heute kein Zweifel daran, dass es die ungarische Administration unter Horthy war, die dafür Verantwortung trägt, dass binnen kürzester Zeit ( Mai – Anfang Juli 1944 mehr als eine halbe Million ungarischer Staatsbürger zur Vernichtung deportiert wurden. Sie meinen also, dass sei ein Kavaliersdelikt und Ungarn trage keine Verantwortung, es war ja besetzt. Nur ohne den Eifer und den Einsazt der ungarischen Behörden wäre es nicht dazu gekommen. Horthy ernannte am 23. März 1944 den ungarischen Gesandten in Berlin Döme Sztójay zum Ministerpräsidenten und verlieh diesem leidenschaftlichen Antisemiten am 23. Juni 1944 den Titel vitéz.
        Im neuen ungarischen Buch des Historikers Krisztián Ungváry über das Horthyregime weist dieser nach, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass die deutschen Behörden vor der Besatzung Ungarn gedrängt hätten die als „Juden“ markierten Bürger zu deportieren. Sztójay hat das in seinen Berichten behauptet, aber sonst fand Ungváry keine Unterlagen dafür.
        Ich denke, die gegenwärtige Tendenz der ungarischen Regierung, die Wünsche der rassistischen und antisemitischen Jobbik Partei zu erfüllen, in erster Linie für Ungarn gefährlich sind und auch den Volksparteien es schwierig machen werden das Orbánregime weiterhin zu decken.

  3. peter permalink
    3. Juni 2013 15:26

    Ich halte sicher nichts vom neuen Personenkult um Horthy, auch wenn er nicht von Orban erfunden wurde (wenn ich mich richtig erinnere, war schon die Beerdigung in Kenderes und Antalls Kranz umstritten, ohne das damals größere Proteste zu verzeichnen waren. Möglicherweise hat man ihm damals die Taten seiner Regierung nicht so zugeschrieben wie heute oder hat ihm eine „bremsende“ Wirkung angerechnet).Trotzdem habe ich das Gefühl, dass im Kampf gegen die „Restauration“ in Ungarn häufig a lo masik oldalara gefallen wird: Stojay wurde auf deutschen Druck ernannt und auch das Tragen des gelben Sternes wurde erst nach der deutschen Besatzung angeordnet. Ich denke, es reicht, wenn man Horthy bzw, seine Regierungen wegen der antisemitischen Politik bis zur Besetzung (und deren Auswirkung auf die Zeit nach der Besatzung) kritisiert. Das dritte Judengesetze sollte wohl ausreichende Grundlage für einen Vergleich mit Deutschland bieten (übrigens dieses Jahr wohl Prüfungsgegenstand: http://erettsegizz.com/tortenelem/zsidotorvenyek/; in der Musterlösung steht (noch ?), dass „der auf den wg. seiner Deutschlandfreundlichkeit abgelösten Bardossy folgende Kallay sich weigerte, die Deportierung der Juden in Angriff zu nehmen“). Die Tatsache, dass Veesenmayer erst in den 70ern in der Bundesrepublik seinem eigenen Bett gestorben ist, während man Stojay 1946 aufgeknüpft hat, scheint zwar dafür zu sprechen, dass zweiterer kausaler war für die Ermordung als ersterer. Dies entspricht aber wohl nicht der Wahrheit. .

    • Karl Pfeifer permalink
      4. Juni 2013 04:14

      Wieder einmal schreibt Peter die Unwahrheit. Sztojay wegen deutschem Druck ernannt. Die Deutschen schlugen Imrrédy vor, den Horthy mit dem Argument ablehnte, er wolle keinen „Juden“ als Ministerpräsident. Sicher haben die Deutschen Horthy nicht gezwungen Sztojay am 23. Juni 44 den Titel vitéz zu verleihen. Kállay forderte im Györi Nemzeti Hirlap 1942 die Endlösung und bereitete auch damit diese vor.
      Ministerpräsident Miklós Kállay: „Es gibt keine andere Endlösung als die Aussiedlung der 800.000 Juden“ Györ Nationale Zeitung, Christliche politische Tageszeitung 1942 04 21
      Ich weiß, dass man den Juden gegenüber weitere Maßnahmen treffen muss (sturmartige Zustimmung, Applaus). Ich weiß, dass man sie allmählich und zwar nicht im langsameren, sondern im schnelleren Tempo aus den meisten Beziehungen des ungarischen Lebens ausschalten muss…Man muss das Judentum aus allen vom gesellschaftlichen und nationalen Standpunkt wichtigen Positionen entfernen, solange die Möglichkeit der Endlösung nicht gegeben ist.”
      Für jüdische Levente gab es bereits 1942 das gelbe Armband. Aber was soll es, sie Peter werden hier weiter versuchen, die ganze Schuld den Deutschen zu geben und zu „vergessen“ wie versessen das Horthyregime darauf war, eine Endlösung herbeizuführen. Erst Anfang Juli, nach den Protesten der Alliierten und Neutralen ließ Horthy die Deportation provisorisch stoppen. Im übrigen lesen sie das Tagebuch von Sándor Márai 1944-45 wo er genau beschreibt, wie sich die ungarische Gesellschaft damals – mit wenigen löblichen Ausnahmen – verhielt.

      • peter permalink
        4. Juni 2013 20:17

        Fehlt nur noch, dass Hitler gar keine Antisemit gewesen sein könne, schließlich habe er Imredy vorgeschlagen, unter dessen Vorfahren sich bekanntermaßen Juden befanden. Ich wusste es bisher so, dass Imredy gerade wegen seines Antisemtismus gestoppt wurde, wozu es dienlich war, dasss er jüdische Vorfahren hatte, was wegen des offensichtlichen Widerspruchs zu seiner Politik geeignet war, ihn zu stürzen (so ähnlich wie der Fall in der Jobbik). Die Tatsache, dass Deutschland seine Vergangenheit besser aufgearbeitet hat als Ungarn, ändert doch nichts an den historischen Realitäten und eine Verdrehung derselben führt nicht dazu, das letzteres schneller geschieht.

        In Deutschland ist man enorm sensibilisiert: Wenn die Verteidiger einer Rechtsradikalen zufällig Sturm, Stahl und Heer heißen, ist man gleich empört. In Ungarn können die Leute mit einem sic! hinter dem Halbsatz „ahogy hajt a vered“ einfach nichts anfangen und ich denke, dass ist auch nicht zwingend, da helfen noch so viele Bilder aus deutschen Geschichtsbüchern nichts. Ungarn hat sicher noch vieles zu tun, um im Umgang mit der Vergangenheit sensibler zu werden, aber es muss die deutsche Verfahrensweisen nicht eins zu eins übernehmen.

  4. Karl Pfeifer permalink
    4. Juni 2013 22:08

    Peter, Imrédy hatte zu nahe Kontakte zur deutschen Gesandtschaft in Budapest, er erhielt Geld von den Deutschen und das gefiel Horthy nicht. Die antijüdischen Gesetze waren sicher nicht der Grund, denn das dritte (1941) war strenger als das Nürnberger Rassengesetz von 1935.
    Das Problem heute in Ungarn ist die massive Geschichtsfälschung, die dort betrieben wird. Eva Balogh hat auf Hungarian Spectrum, darauf aufmerksam gemacht, wie die Geschichte 1918-19 gelaufen ist.
    Niemand kann von aussen den Ungarn eine korrekte Geschichtsschreibung aufzwingen. Es lohnt seriöse ungarische Historiker wie Karsai und Ungváry zu lesen.

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