Zum Inhalt springen

Der Holocaust als „fremdenpolizeiliche Maßnahme“ des ungarischen Staates

17. Januar 2014

Der neue Leiter des Veritas-Instituts hat die Rolle des ungarischen Staates beim Massaker von Kamenez-Podolsk 1941 mit etwa 23 600 jüdischen Opfern als „fremdenpolizeiliche Maßnahme“ bezeichnet. Auf der offiziellen Gedenkveranstaltung der ungarischen Regierung zum internationalen Holocaust-Gedenktag wird er eine Rede halten. 2011 war Szakály Gutachter im Prozess des Kriegsverbrechers Sándor Képíró,  der darauf freigesprochen wurde. [Update 18.1.2014: Der Leiter des Holocaust-Gedenkzentrums Szabolcs Szita wollte Szakálys Äußerung nicht kommentieren.] Update 19.1.2014: Der Verband jüdischer Glaubensgemeinschaften MAZSIHISZ fordert Szakálys Rücktritt.]

Der Militärhistoriker Sándor Szakály, von der ungarischen Regierung ab 1. Januar für fünf Jahre zum Vorsitzender des neuen Veritas-Instituts ernannt (vgl. Post: Veritas-Institut: Staat verordnet Geschichtsbild, 1. Dezember 2013) hat in einem Interview mit der ungarischen Nachrichtenagentur MTI anlässlich seiner Ernennung  die Rolle des ungarischen Staates beim Massaker von Kamenez-Podolsk 1941 mit etwa 23 600 jüdischen Opfern als „fremdenpolizeiliche Maßnahme“ bezeichnet (MTI-Meldung hier, vgl. 444.hu, 168ora.hu).

Beim Massaker von Kamenez-Podolsk ermordeten Angehörige des deutschen Polizeibataillons 320 und Mitglieder eines „Sonderaktionsstabes“ des Höheren SS- und Polizeiführers (HSSPF) Russland-Süd, SS-Obergruppenführer Friedrich Jeckeln, Ende August 1941 in der Nähe der westukrainischen Stadt Kamenez-Podolsk rund 23.600 Juden. Zuvor hatte das mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich verbündete Ungarn einen Großteil der Opfer in das von der Wehrmacht eroberte sowjetische Territorium deportiert. Das Massaker war die bis dahin größte Mordaktion des Holocaust. Es fand gut einen Monat vor den Massenerschießungen von Babyn Jar statt und gilt als ein entscheidender Schritt von der selektiven Mordpolitik zur angestrebten vollständigen Auslöschung des Judentums. (wiki, vgl. auch United States Holocaust Memorial Museum)

kamenez_podolsk

(Kamenez-Podolsk, 27. oder 28. August 1941, Juden werden zur Erschießung außerhalb der Stadt geführt, United States Holocaust Memorial Museum, Gyula Spitz, Quelle)

Das Portal Hírhatár „gratuliert“ Szakály zu seinem Timing dieser Äußerung ausgerechnet am 69. Jahrestag der Befreiung des Budapester Ghettos.

Das Veritas-Institut erforscht laut eigenen Angaben „die Periode des Dualismus bis zur Wende, mit dem Ziel, die nationalen Schicksalswenden ohne Verzerrungen offenzulegen und das Geschichtsbewußtsein der ungarischen Gesellschaft zu stärken.“ (Magyar Hirlap, 31.12.2013)
Eines von Szakálys wichtigsten Themen ist die historische “Aufarbeitung” bzw. positive Neubewertung der ungarischen Gendarmerie, die 1944 an der Deportation der ungarischen Juden nach Auschwitz maßgeblich beteiligt war und deswegen 1945 aufgelöst wurde (siehe Post); sowie der Vernichtung der zweiten ungarischen Armee am Don 1943 als „Heldentod (vgl. Karl Pfeifer, Hagalil). Mit diesen seinen Schwerpunkten ist er gern gesehener Gast auf Jobbik-Veranstaltungen, zuletzt am 12.1.2014  in Zalaegerszeg („Ehrengedenken für die Helden vom Don“; Veranstalter Róbert Pete ist der Jobbik-Vorsitzende von Zalaegerszeg; die Veranstaltung wurde beworben auf der Jobbik-Parteiseite und dem Jobbik-Portal alfahir.)
doni_megemlekezes_o72_2_copy2

Szakály entlastete Nazi-Kriegsverbrecher

Sándor Szakály war einer der beiden Experten im Prozess gegen den Nazi-Kriegsverbrecher Sándor Képíró 2011 (vgl. FAZ: Simon Wiesenthal Center: Die Jagd nach den letzten Kriegsverbrechern, 10.07.2007), der die vorgelegten, belastenden Dokumente als unvollständig bezeichnet hatte (Aussage auf youtube),  worauf der Angeklagte in 1. Instanz freigesprochen wurde (vgl. NZZ: Nazi-Prozess in Budapest: Sandor Kepiro freigesprochen).

(Opfer in Novi Sad, Deutsche Welle)

Zum Tod des ebenfalls nicht verurteilten Kriegsverbrechers László Csatáry bezweifelte Szakály in den regierungsnahen Medien ebenfalls die Faktenlage aufgrund der vorgelegten Dokumente und warf dem Simon Wiesenthal-Zentrum mangelnde Objektivität vor: Personen als „Nazis“ zu bezeichnen sei nur im Fall von nachweislichen NSDAP-Mitgliedern zulässig; als Offizier der ungarischen Polizei sei Csatáry „die Mitgliedschaft in politischen Parteien jedoch verboten gewesen“. (Magyar Hirlap, vgl. Interview Magyar Nemzet Online/Lánchídrádió).

Im April 1944 war Csatáry als Kommandant der Königlichen Ungarischen Gendarmerie in Kaschau (slowakisch: Košice, ungarisch: Kassa) für das in einer Ziegelfabrik eingerichtete Ghetto zuständig, in das die Juden aus den ländlichen Regionen des Komitats Abaúj-Torna gewaltsam verschleppt wurden. (…) Csatáry wird als willfähriger Helfer Adolf Eichmanns für die Deportation von 15.700 Juden nach Auschwitz verantwortlich gemacht. (wiki)

Als Experte beim Holocaust-Gedenktag 2014

Auf der offiziellen Gedenkveranstaltung der ungarischen Regierung zum internationalen Holocaust Gedenktag am 27.1. im Budapester Holocaust Gedenkzentrum mit Viktor Orbán wird Sándor Szakály im Konferenzteil „Ungarn im Schatten der Tragödie“ (lies: Der Holocaust war eine unaufhaltsame Tragödie, Ungarn ist unschuldig) den Vortrag „Der Frühling 1944 im Spiegel der Memoiren“ halten.

Man darf gespannt sein, im Spiegel wessen Memoiren – Szakálys Forschungsschwerpunkten nach ist davon auszugehen, dass es sich um  Lebensbeichten pflichtbewußter „unschuldiger“ Gendarmen handelt. Denn als Experte für die Zeugnisse von Holocaust-Überlebenden ist Szakály bislang nicht in Erscheinung getreten.

Update 18.1.2014:

Holocaust Gedenkzentrum: No comment

Szabolcs Szita, der Leiter des Budapester Holocaust-Gedenkzentrums, wollte Szakálys Äußerung der Népszabadság gegenüber nicht kommentieren. Die Népszabadság zitiert ihn darum nach einen früheren Vortrag, in dem er die Deportationen nicht als Einzelfall, sondern Teil eines Vernichtungsplanes (wörtlich „Attentat“) durch die ungarischen Behörden bezeichnete, der nur durch äußere Umstände gestoppt wurde.

Die offizielle Gedenkveranstaltung der ungarischen Regierung zum Holocaust-Gedenktag, auf der Szakály einen Vortrag halten wird, findet im Holocaust-Gedenkzentrum statt.

Szita leitet das Zentrum seit 2011; der vorige Leiter war abgesetzt worden, nachdem die ungarische Regierung die historische Bewertung der Deportationen durch die ungarische Armee nach den Wiener Schiedssprüchen in der damaligen Dauerausstellung bemängelt hatte. Staatssekretär András Levente Gál hatte erklärt, es sei nicht hinzunehmen, dass die Aktivitäten der ungarischen Armee in Siebenbürgen in einen „kausalen Zusammenhang“ mit den Deportationen von Juden unter nazideutscher Besatzung gestellt werden. (Pester Lloyd, vgl. taz: Ungarns Verbindungen zum NS. Leiter von Gedenkstätte abgesetzt, 20.5.2011)

Die Deportationen von Juden durch die ungarische Armee nach den Wiener Schiedssprüchen – nicht nur aus Siebenbürgen – sind die nach Kamenez-Podolsk.

Update 19.1.2014:

Mazsihisz fordert Szakálys Rücktritt

Der Verband jüdischer Glaubensgemeinschaften MAZSIHISZ fordert heute mit ungewohnt klaren Worten Szakálys Rücktritt: „Relativierung des Holocaust“, „versuchte Geschichtsfälschung“; der Holocaust solle nicht Gegenstand des Wahlkampfs werden, und alle Beteiligten mögen „damit aufhören, die Geschichte umzuschreiben“.  „Wenn Ungarns Regierung die Auseinandersetzung mit dem Holocaust ernsthaft betreiben will, muss sie die Prozesse, die die Glaubwürdigkeit der Veranstaltungsreihe 2014 ruinieren und die Pietät verletzen, sofort stoppen.“ Genannt werden das im Bau befindliche Gedenkzentrum am Josefstädter Bahnhof, die Horthy-Konferenz im Haus des Terrors im Dezember, die Sendung „Geschichten von Lebensrettern“ im Staatsradio (hier, „Horthy hat die Juden gerettet“ etc.), das geplante Denkmal der deutschen Besatzung und Szakálys Äußerung.
Aus diesen Gründen „erwägt Mazsihisz, dem Holocaust Gedenkjahr fernzubleiben, und wird die in der Ausschreibung gewonnenen Mittel nur dann in Anspruch nehmen, wenn die Gedenkreihe in einen für unsere Gemeinschaft  akzeptablen Rahmen zurückkehrt.“

Die ungarische Nachrichtenagentur MTI hat die Erklärung nach 4 Stunden noch nicht gebracht.

22 Kommentare leave one →
  1. Don Kichote permalink
    18. Januar 2014 08:33

    Die Ungaren haben die Opfer ausgesucht und deportiert die Deutschen haben diese erschossen. Eigentlich hätte man erwarten können, bei soviel wegsehen, dass die Überschrift „ausländische Polizeiaktion“ geheißen hätte. Das wäre einem aber ganz fremd vorgekommen. Eventuell hätte fremdländische Polizeiaktion noch besser gepasst. Und weiter …. Wie wir gerade erfahren haben wurden 23000 jüdische Mitbürger von der SS fürs Leben erschossen.

    MfG der Gutachter

    Diese Heuchelei lebt heute fort. Ich kann es immer wieder in Beiträgen lesen die Ungaren kennen ihre eigene Geschichte nicht. Vor allem sind sie nie schuld und können kein Wässerchen trüben. Ich muss mich nur in meiner Nachbarschaft umsehen.

    • 18. Januar 2014 19:38

      Interessant zu erfahren, dass man als (nicht jüdischer) Ungar immer mehr Schuld ist, als vorher angenommen. Für die vergangenen Kriegsverbrechen wurden die Verantwortlichen verurteilt und (meistens hingerichtet). Alle, die nicht direkt in einer leitenden Position waren, hatten weder das nötige Hintergrundwissen noch die Befugnis was zu ändern. Der einfache Mann konnte höchstens mögliche Opfer verstecken, aber mehr auch nicht. Somit ist der Versuch (aus reinem politischen Kalkül, denn schliesslich haben wir Parlamentswahlen in April) Ungarns derzeitige Regierung anzuschwärzen, um damit politisches Kapital zu schlagen. Bloss, die meisten Menschen durchblicken dieses und erledigen das ganze Gehäule mit einem traurigen Stöhnen.

      Herr Szakálys Abeit auf dem Gebiet als Historiker ist bemerkenswert und hat jedes Recht, das Thema genauer unter die Lupe nehmen, und über seine Erkenntnisse zu berichten. Der hier versuchte Charaktermord gegen ihn ist genau die Ursache, weshalb die meisten Leute die Nase voll haben, und nichts mehr vom Holocaust hören wollen.

      • Don Kichote permalink
        19. Januar 2014 09:26

        „Für die vergangenen Kriegsverbrechen wurden die Verantwortlichen verurteilt und (meistens hingerichtet)“ Das ist nicht richtig aus mehreren Gründen. Dafür muss man aber die Geschichte kennen, wie ich schon sagte, „Diese Heuchelei lebt heute fort.“

        „Alle, die nicht direkt in einer leitenden Position waren, hatten weder das nötige Hintergrundwissen noch die Befugnis was zu ändern.“ Diesen wirklich dummen Satz ist so ausgenudelt, er bedeutet ich habe keine Schuld.

        Sie sind die lebende Bestätigung meines Kommentars, danke.

      • 19. Januar 2014 19:29

        An Don Kichote: …von wegen dummer Satz. Ich glaube, die meisten Ungarn sind durchaus bereit und neugierig, Ungarns Rolle in Holocaust besser kennenzulernen, damit eine klare Linie gezogen werden kann. Deswegen ist es durchaus zu befürworten, dass es Leute gibt, die auf diesem Gebiet forschen. Ein klarer Blick ist durchaus willkommen. Wie Jesus es sagt (Johannes 8-32): „…und die Wahrheit wird euch frei machen.“ zwar im Kontext der Glaube, aber der Satz gilt universell.

      • Don Kichote permalink
        20. Januar 2014 10:32

        Diesen Satz, hat die deutsche Bevölkerung damals verwendet um sich selbst unschuldig zu sprechen. Genau das selbe gab es in Ungarn und anderswo. Deshalb war es möglich 6 Mio. Juden industriell zu ermorden. Und wenn die Ungarn bereit und neugierig wären, könnten die sich informieren. Es wird aber keiner in die Haushalte kommen und erzählen wie es tatsächlich war.

        Und bei Ihnen stört mich das Wort durchaus, das implementiert ein eventuell. Da gibt es noch einen Satz „Ich denke, es ist äusserst bedenklich, dass ihr vorscheiben wollt“ Wir wollen gar nichts vorschreiben, es ist von der Geschichte geschrieben worden. Schöne Grüße an Arpad Jakab

      • kulturkrampf permalink
        22. Januar 2014 14:48

        die berühmte sehnsucht: “ ,damit eine klare Linie gezogen werden kann.“

        denken sie, dass diese „klare linie“ nicht die gefahr der vereinfachung/verdrängung birgt?

  2. 18. Januar 2014 14:02

    Ich denke, es ist äusserst bedenklich, dass ihr vorscheiben wollt, wie man über den Holocaust denkt. Orwell und Huxley drehen sich in ihren Gräbern um.

    • Don Kichote permalink
      19. Januar 2014 09:30

      Ein Satz für ein Lehrbuch.

      • pusztaranger permalink
        19. Januar 2014 11:48

        Szakálys Äußerung hat immerhin dazu geführt, dass das Thema wieder in den (oppositionellen) Medien ist, z.B. hier ein guter Artikel in der Magyar Narancs, und dass ältere Artikel von kompetenten Historikern wieder auf Facebook geteilt und gelesen werden. Und auf Facebook finden sich immer mehr persönliche Geschichten über deportierte ermordete Großeltern und Eltern, auch Fotos. Die Geschichtsfälschungen der ungarischen Regierung lösen also als unbeabsichtigte Nebenwirkung gesellschaftliche Erinnerungsprozesse aus. Allerdings hat die Regierung seit diesem Jahr das Monopol auf die Produktion von Lehrbüchern für den Schulunterricht.

      • Don Kichote permalink
        19. Januar 2014 15:56

        So wie es aussieht, Puszta Ranger, sind diese Geschichts“lehrbücher“ schon lange im Gebrauch. Wie alt schätzen Sie Arpad Jakab?

    • Stefan HH permalink
      20. Januar 2014 08:37

      Orwell hat gar keine Zeit dazu, er macht gerade Überstunden im Amt des Ministerpräsidenten….

  3. István permalink
    19. Januar 2014 18:26

    Diese „Einsichten“ gibt es schon viel zu lange Don. Ich kenne genug Leute zwischen 20 und 40, die wissen wie heldenhaft die Ungarn im 2. Weltkrieg gegen Deutschland gekämpft haben. Schon die Aussage, dass Ungarn Verbündeter Deutschlands war führt zu einem „nem lehet“ – weil nicht sein kann, was nicht sein darf…

    • Don Kichote permalink
      20. Januar 2014 10:49

      Wenn man die Last der Geschichte nicht tragen kann, wird man auch die Last der Zukunft nicht tragen können und man wird immer weiter die selben Fehler machen. Grüße Don

  4. Otto permalink
    20. Januar 2014 14:18

    Das Wort Holokaust-Überlebender ist eine Kontradiktio in Adjekto, indem das altgriechische Wort Holokaust nämlich Ganzopfer* heißt. Ein Ganzopfer kann also niemand überleben, sonst wäre es kein Ganzopfer ….

    Es meint (gr. holos – ganz + kao – verbrennen) ein Oper wird ganz und gar, mit Haut und Haaren auf dem Altar verbrannt.

Trackbacks

  1. Der Holocaust als “fremdenpolizeiliche Maßnahme” des ungarischen Staates | dokumentationsarchiv
  2. Ungarische jüdische Gemeinden erwägen Boycott des Holocaust-Gedenkjahrs | Pusztaranger
  3. Verband Ungarischer Jüdischer Gemeinden Mazsihisz zeigt Orbán die rote Karte | Pusztaranger
  4. Renaissance der Zwischenkriegszeit | Débrayage
  5. Geschichtsrevisionist Sándor Szakály im ungarischen Kulturinstitut Wien | Pusztaranger
  6. Erinnerungsarbeit 2.0 | Pusztaranger
  7. Budapester Holocaust-Gedenkzentrum kooperiert mit geschichtsrevisionistischem Veritas-Institut | Pusztaranger
  8. Parlamentspräsident László Kövér auf dem “Tag der Heimat” 2014 | Pusztaranger

Hinterlasse einen Kommentar